Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

heit freut; sieht sie ebendenselben eines
schwarzen Lasters angeschuldigt; sieht ihn aus
ihren Armen weggerißen; geschleppt zum Ker-
ker; eben desjenigen Bubenstücks, weshalb
sie ihn so gern gegen die ganze Welt verthei-
digen möchte, überführt; hört über ihn das
fürchterlichste Urtheil des Todes aussprechen,
und findet zwar seine Richter mitleidig bei
ihren Thränen, doch unerweichbar das Ge-
sez
, wornach sie ihn richten. O entsezlich
war ihr Abschied, als sie zum Hochgericht ihn
führten, noch entsezlicher beinahe ein anderer
Gedanke, der sie straks drauf ergrif.

Diese Unglücklichen waren -- wie wir
schon gesagt haben -- nach überstandener
Todesstrafe aufs Rad geflochten, ihre Köpfe
oben auf den Pfahl gesteckt worden. So ver-
zerrt von dem lezten Streich und Schmerz,
so geröstet von der Sonne, zerfressen von den
Raben, verabscheut von allen Vorbeigehen-
den, sollte nunmehr das Haupt verwesen, auf
dessen Mund sie sonst so oft den Kuß der Lie-

heit freut; ſieht ſie ebendenſelben eines
ſchwarzen Laſters angeſchuldigt; ſieht ihn aus
ihren Armen weggerißen; geſchleppt zum Ker-
ker; eben desjenigen Bubenſtuͤcks, weshalb
ſie ihn ſo gern gegen die ganze Welt verthei-
digen moͤchte, uͤberfuͤhrt; hoͤrt uͤber ihn das
fuͤrchterlichſte Urtheil des Todes ausſprechen,
und findet zwar ſeine Richter mitleidig bei
ihren Thraͤnen, doch unerweichbar das Ge-
ſez
, wornach ſie ihn richten. O entſezlich
war ihr Abſchied, als ſie zum Hochgericht ihn
fuͤhrten, noch entſezlicher beinahe ein anderer
Gedanke, der ſie ſtraks drauf ergrif.

Dieſe Ungluͤcklichen waren — wie wir
ſchon geſagt haben — nach uͤberſtandener
Todesſtrafe aufs Rad geflochten, ihre Koͤpfe
oben auf den Pfahl geſteckt worden. So ver-
zerrt von dem lezten Streich und Schmerz,
ſo geroͤſtet von der Sonne, zerfreſſen von den
Raben, verabſcheut von allen Vorbeigehen-
den, ſollte nunmehr das Haupt verweſen, auf
deſſen Mund ſie ſonſt ſo oft den Kuß der Lie-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="128"/>
heit freut; &#x017F;ieht &#x017F;ie ebenden&#x017F;elben eines<lb/>
&#x017F;chwarzen La&#x017F;ters ange&#x017F;chuldigt; &#x017F;ieht ihn aus<lb/>
ihren Armen weggerißen; ge&#x017F;chleppt zum Ker-<lb/>
ker; eben desjenigen Buben&#x017F;tu&#x0364;cks, weshalb<lb/>
&#x017F;ie ihn &#x017F;o gern gegen die ganze Welt verthei-<lb/>
digen mo&#x0364;chte, u&#x0364;berfu&#x0364;hrt; ho&#x0364;rt u&#x0364;ber ihn das<lb/>
fu&#x0364;rchterlich&#x017F;te Urtheil des Todes aus&#x017F;prechen,<lb/>
und findet zwar &#x017F;eine <hi rendition="#g">Richter</hi> mitleidig bei<lb/>
ihren Thra&#x0364;nen, doch unerweichbar das <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
&#x017F;ez</hi>, wornach &#x017F;ie ihn richten. O ent&#x017F;ezlich<lb/>
war ihr Ab&#x017F;chied, als &#x017F;ie zum Hochgericht ihn<lb/>
fu&#x0364;hrten, noch ent&#x017F;ezlicher beinahe ein anderer<lb/>
Gedanke, der &#x017F;ie &#x017F;traks drauf ergrif.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Unglu&#x0364;cklichen waren &#x2014; wie wir<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;agt haben &#x2014; nach u&#x0364;ber&#x017F;tandener<lb/>
Todes&#x017F;trafe aufs Rad geflochten, ihre Ko&#x0364;pfe<lb/>
oben auf den Pfahl ge&#x017F;teckt worden. So ver-<lb/>
zerrt von dem lezten Streich und Schmerz,<lb/>
&#x017F;o gero&#x0364;&#x017F;tet von der Sonne, zerfre&#x017F;&#x017F;en von den<lb/>
Raben, verab&#x017F;cheut von allen Vorbeigehen-<lb/>
den, &#x017F;ollte nunmehr das Haupt verwe&#x017F;en, auf<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Mund &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o oft den Kuß der Lie-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0136] heit freut; ſieht ſie ebendenſelben eines ſchwarzen Laſters angeſchuldigt; ſieht ihn aus ihren Armen weggerißen; geſchleppt zum Ker- ker; eben desjenigen Bubenſtuͤcks, weshalb ſie ihn ſo gern gegen die ganze Welt verthei- digen moͤchte, uͤberfuͤhrt; hoͤrt uͤber ihn das fuͤrchterlichſte Urtheil des Todes ausſprechen, und findet zwar ſeine Richter mitleidig bei ihren Thraͤnen, doch unerweichbar das Ge- ſez, wornach ſie ihn richten. O entſezlich war ihr Abſchied, als ſie zum Hochgericht ihn fuͤhrten, noch entſezlicher beinahe ein anderer Gedanke, der ſie ſtraks drauf ergrif. Dieſe Ungluͤcklichen waren — wie wir ſchon geſagt haben — nach uͤberſtandener Todesſtrafe aufs Rad geflochten, ihre Koͤpfe oben auf den Pfahl geſteckt worden. So ver- zerrt von dem lezten Streich und Schmerz, ſo geroͤſtet von der Sonne, zerfreſſen von den Raben, verabſcheut von allen Vorbeigehen- den, ſollte nunmehr das Haupt verweſen, auf deſſen Mund ſie ſonſt ſo oft den Kuß der Lie-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/136
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/136>, abgerufen am 05.05.2024.