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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Schlummer liegen muß, wird vielleicht sogar ein wenig aufgerüttelt werden.

Zuvörderst wird mir vorgeworfen, daß ich mich freventlich in die Pflege der Gerechtigkeit gemischt und einen gerichteten Maleficanten der Todesstrafe entzogen habe. Ich frage Euer Gestrengen: wer, der auf dem Felde oder an der Straße ein verwundetes Thier, sei's nun ein Pferd oder einen Hund, gefunden, wird sich nicht dessen erbarmen? Wer suchte einen Ertrunkenen, so er ihn, von den Wellen ausgeworfen, am Ufer liegend, bewußtlos träfe, nicht wieder zum Leben zu bringen, wenn er Leben an ihm gewahr würde? So bin ich durch Zufall aus den gerichteten Kornergeorg gestoßen und habe nur einer Pflicht als Christ, wie als Mensch, zu genügen geglaubt. Ihr meint, gestrenge Herren, ich hätte ihn euch zurückbringen sollen. Aber er hatte ja seine Strafe ausgestanden, die man Keinem zweimal giebt, das Urtheil war an ihm vollzogen worden, und ihr Herren kümmertet euch nicht mehr um ihn. Ich wollte einen Menschen aus ihm machen. Es war eine Thorheit, ich sehe es jetzt ein; aber solche Strafe verdient es wohl nicht, daß man die Menschen für besser gehalten, als sie sind. Als ich ihn niederschlug, weil sein Undank mich empörte, was hab' ich da gethan? Ich habe da nicht nur mein Eigenthum vertheidigt, mit dem er sich davon machen wollte, sondern auch mich meines Lebens gewehrt, da er, wie ihr wisset, ein Messer im Gurte trug Sollte ich warten, bis daß

Schlummer liegen muß, wird vielleicht sogar ein wenig aufgerüttelt werden.

Zuvörderst wird mir vorgeworfen, daß ich mich freventlich in die Pflege der Gerechtigkeit gemischt und einen gerichteten Maleficanten der Todesstrafe entzogen habe. Ich frage Euer Gestrengen: wer, der auf dem Felde oder an der Straße ein verwundetes Thier, sei's nun ein Pferd oder einen Hund, gefunden, wird sich nicht dessen erbarmen? Wer suchte einen Ertrunkenen, so er ihn, von den Wellen ausgeworfen, am Ufer liegend, bewußtlos träfe, nicht wieder zum Leben zu bringen, wenn er Leben an ihm gewahr würde? So bin ich durch Zufall aus den gerichteten Kornergeorg gestoßen und habe nur einer Pflicht als Christ, wie als Mensch, zu genügen geglaubt. Ihr meint, gestrenge Herren, ich hätte ihn euch zurückbringen sollen. Aber er hatte ja seine Strafe ausgestanden, die man Keinem zweimal giebt, das Urtheil war an ihm vollzogen worden, und ihr Herren kümmertet euch nicht mehr um ihn. Ich wollte einen Menschen aus ihm machen. Es war eine Thorheit, ich sehe es jetzt ein; aber solche Strafe verdient es wohl nicht, daß man die Menschen für besser gehalten, als sie sind. Als ich ihn niederschlug, weil sein Undank mich empörte, was hab' ich da gethan? Ich habe da nicht nur mein Eigenthum vertheidigt, mit dem er sich davon machen wollte, sondern auch mich meines Lebens gewehrt, da er, wie ihr wisset, ein Messer im Gurte trug Sollte ich warten, bis daß

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[0092] Schlummer liegen muß, wird vielleicht sogar ein wenig aufgerüttelt werden. Zuvörderst wird mir vorgeworfen, daß ich mich freventlich in die Pflege der Gerechtigkeit gemischt und einen gerichteten Maleficanten der Todesstrafe entzogen habe. Ich frage Euer Gestrengen: wer, der auf dem Felde oder an der Straße ein verwundetes Thier, sei's nun ein Pferd oder einen Hund, gefunden, wird sich nicht dessen erbarmen? Wer suchte einen Ertrunkenen, so er ihn, von den Wellen ausgeworfen, am Ufer liegend, bewußtlos träfe, nicht wieder zum Leben zu bringen, wenn er Leben an ihm gewahr würde? So bin ich durch Zufall aus den gerichteten Kornergeorg gestoßen und habe nur einer Pflicht als Christ, wie als Mensch, zu genügen geglaubt. Ihr meint, gestrenge Herren, ich hätte ihn euch zurückbringen sollen. Aber er hatte ja seine Strafe ausgestanden, die man Keinem zweimal giebt, das Urtheil war an ihm vollzogen worden, und ihr Herren kümmertet euch nicht mehr um ihn. Ich wollte einen Menschen aus ihm machen. Es war eine Thorheit, ich sehe es jetzt ein; aber solche Strafe verdient es wohl nicht, daß man die Menschen für besser gehalten, als sie sind. Als ich ihn niederschlug, weil sein Undank mich empörte, was hab' ich da gethan? Ich habe da nicht nur mein Eigenthum vertheidigt, mit dem er sich davon machen wollte, sondern auch mich meines Lebens gewehrt, da er, wie ihr wisset, ein Messer im Gurte trug Sollte ich warten, bis daß

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/92>, abgerufen am 25.04.2024.