Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Vom Rathhausthurme begann das Sterbeglöcklein zu läuten. Der Mann, dem das "er kommt" galt, war kein Anderer, als der Henker, der zu Pferde saß und von einem Trupp Reiter begleitet war. Er trug eine rothe Weste, eine Pelzmütze, einen Rock mit Schnüren verbrämt und schwarze Tuchhosen, die in hohen Stulpstiefeln staken. Im scharfen Trab kam er daher, von Aller Blicken verfolgt, bis er in einer Staubwolke verschwand. Der stattliche Müller Reinbacher beugte sich aus seiner Kalesche hervor und sagte zu seinem Knechte, der, um besser zu sehen, sich auf den Kutscherbock gestellt hatte: So komme mir noch einmal, Wendelin! Darum also hast du dich in der Zeit geirrt und bist nun wie toll den Berg hinuntergefahren, daß es uns das Leben hätte kosten können? Sieh, wie die Pferde schwitzen, Tollkopf! Verzeiht, bester Herr, antwortete Wendelin, um Alles in der Welt hätte ich das nicht versäumen mögen. Hab' ich es doch in meinem Leben nie gesehen. Wär' wohl auch kein Schaden, wenn du's nie gesehen hättest, erwiderte der Müller. Ich meinerseits wäre am liebsten von der ganzen Geschichte weggeblieben. Ihr wolltet doch auch Euern Anwalt aufsuchen? meinte der Knecht. Nun gut, gut, sagte der Müller, jetzt sind wir Vom Rathhausthurme begann das Sterbeglöcklein zu läuten. Der Mann, dem das „er kommt“ galt, war kein Anderer, als der Henker, der zu Pferde saß und von einem Trupp Reiter begleitet war. Er trug eine rothe Weste, eine Pelzmütze, einen Rock mit Schnüren verbrämt und schwarze Tuchhosen, die in hohen Stulpstiefeln staken. Im scharfen Trab kam er daher, von Aller Blicken verfolgt, bis er in einer Staubwolke verschwand. Der stattliche Müller Reinbacher beugte sich aus seiner Kalesche hervor und sagte zu seinem Knechte, der, um besser zu sehen, sich auf den Kutscherbock gestellt hatte: So komme mir noch einmal, Wendelin! Darum also hast du dich in der Zeit geirrt und bist nun wie toll den Berg hinuntergefahren, daß es uns das Leben hätte kosten können? Sieh, wie die Pferde schwitzen, Tollkopf! Verzeiht, bester Herr, antwortete Wendelin, um Alles in der Welt hätte ich das nicht versäumen mögen. Hab' ich es doch in meinem Leben nie gesehen. Wär' wohl auch kein Schaden, wenn du's nie gesehen hättest, erwiderte der Müller. Ich meinerseits wäre am liebsten von der ganzen Geschichte weggeblieben. Ihr wolltet doch auch Euern Anwalt aufsuchen? meinte der Knecht. Nun gut, gut, sagte der Müller, jetzt sind wir <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <pb facs="#f0007"/> <p>Vom Rathhausthurme begann das Sterbeglöcklein zu läuten.</p><lb/> <p>Der Mann, dem das „er kommt“ galt, war kein Anderer, als der Henker, der zu Pferde saß und von einem Trupp Reiter begleitet war. Er trug eine rothe Weste, eine Pelzmütze, einen Rock mit Schnüren verbrämt und schwarze Tuchhosen, die in hohen Stulpstiefeln staken. Im scharfen Trab kam er daher, von Aller Blicken verfolgt, bis er in einer Staubwolke verschwand.</p><lb/> <p>Der stattliche Müller Reinbacher beugte sich aus seiner Kalesche hervor und sagte zu seinem Knechte, der, um besser zu sehen, sich auf den Kutscherbock gestellt hatte: So komme mir noch einmal, Wendelin! Darum also hast du dich in der Zeit geirrt und bist nun wie toll den Berg hinuntergefahren, daß es uns das Leben hätte kosten können? Sieh, wie die Pferde schwitzen, Tollkopf!</p><lb/> <p>Verzeiht, bester Herr, antwortete Wendelin, um Alles in der Welt hätte ich das nicht versäumen mögen. Hab' ich es doch in meinem Leben nie gesehen. Wär' wohl auch kein Schaden, wenn du's nie gesehen hättest, erwiderte der Müller. Ich meinerseits wäre am liebsten von der ganzen Geschichte weggeblieben.</p><lb/> <p>Ihr wolltet doch auch Euern Anwalt aufsuchen? meinte der Knecht.</p><lb/> <p>Nun gut, gut, sagte der Müller, jetzt sind wir<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
Vom Rathhausthurme begann das Sterbeglöcklein zu läuten.
Der Mann, dem das „er kommt“ galt, war kein Anderer, als der Henker, der zu Pferde saß und von einem Trupp Reiter begleitet war. Er trug eine rothe Weste, eine Pelzmütze, einen Rock mit Schnüren verbrämt und schwarze Tuchhosen, die in hohen Stulpstiefeln staken. Im scharfen Trab kam er daher, von Aller Blicken verfolgt, bis er in einer Staubwolke verschwand.
Der stattliche Müller Reinbacher beugte sich aus seiner Kalesche hervor und sagte zu seinem Knechte, der, um besser zu sehen, sich auf den Kutscherbock gestellt hatte: So komme mir noch einmal, Wendelin! Darum also hast du dich in der Zeit geirrt und bist nun wie toll den Berg hinuntergefahren, daß es uns das Leben hätte kosten können? Sieh, wie die Pferde schwitzen, Tollkopf!
Verzeiht, bester Herr, antwortete Wendelin, um Alles in der Welt hätte ich das nicht versäumen mögen. Hab' ich es doch in meinem Leben nie gesehen. Wär' wohl auch kein Schaden, wenn du's nie gesehen hättest, erwiderte der Müller. Ich meinerseits wäre am liebsten von der ganzen Geschichte weggeblieben.
Ihr wolltet doch auch Euern Anwalt aufsuchen? meinte der Knecht.
Nun gut, gut, sagte der Müller, jetzt sind wir
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/7>, abgerufen am 16.07.2024. |