Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.I. Der Küster stand im Thurme und zog mit aller Macht die Glocke, daß ihr schwerer Schall weit hinaustönte in das Land, das in seinem ersten Frühlingskleide wellenförmig bis an das Meer hingebreitet dalag. Die Sonne war aufgegangen und beschien mit hellen Strahlen die Dächer der alten Stadt Nienburg, aus deren Thor sich eben ein schwarzer Zug hinausdehnte, so lang und breit, als wolle die Stadt auswandern bis auf den letzten Mann. Ein Wagen, der einen Abhang rasch hinabgefahren, mußte plötzlich, knapp vor der Brücke bei den Weiden, still halten unter anderen Fuhrwerken und Menschen, die schon früher dagewesen und nun warten mußten ; denn der Gerichtsdiener Süpple, den Dreimaster martialisch aufgepflanzt, ging, mit dem Stocke Ordnung haltend, umher und durfte Niemand vorlassen, bis der Zug vorüber. Plötzlich waren die Bäume am Wege wie mit einem Zauberschlage mit Gassenbuben bevölkert, die wie Affen lärmten, und ein Geräusch von Stimmen erscholl, durchmischt von Pfeifen und Zischen. Sie kommen -- er kommt! hieß es von allen Seiten. I. Der Küster stand im Thurme und zog mit aller Macht die Glocke, daß ihr schwerer Schall weit hinaustönte in das Land, das in seinem ersten Frühlingskleide wellenförmig bis an das Meer hingebreitet dalag. Die Sonne war aufgegangen und beschien mit hellen Strahlen die Dächer der alten Stadt Nienburg, aus deren Thor sich eben ein schwarzer Zug hinausdehnte, so lang und breit, als wolle die Stadt auswandern bis auf den letzten Mann. Ein Wagen, der einen Abhang rasch hinabgefahren, mußte plötzlich, knapp vor der Brücke bei den Weiden, still halten unter anderen Fuhrwerken und Menschen, die schon früher dagewesen und nun warten mußten ; denn der Gerichtsdiener Süpple, den Dreimaster martialisch aufgepflanzt, ging, mit dem Stocke Ordnung haltend, umher und durfte Niemand vorlassen, bis der Zug vorüber. Plötzlich waren die Bäume am Wege wie mit einem Zauberschlage mit Gassenbuben bevölkert, die wie Affen lärmten, und ein Geräusch von Stimmen erscholl, durchmischt von Pfeifen und Zischen. Sie kommen — er kommt! hieß es von allen Seiten. <TEI> <text> <pb facs="#f0006"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>I.</head> <p>Der Küster stand im Thurme und zog mit aller Macht die Glocke, daß ihr schwerer Schall weit hinaustönte in das Land, das in seinem ersten Frühlingskleide wellenförmig bis an das Meer hingebreitet dalag. Die Sonne war aufgegangen und beschien mit hellen Strahlen die Dächer der alten Stadt Nienburg, aus deren Thor sich eben ein schwarzer Zug hinausdehnte, so lang und breit, als wolle die Stadt auswandern bis auf den letzten Mann.</p><lb/> <p>Ein Wagen, der einen Abhang rasch hinabgefahren, mußte plötzlich, knapp vor der Brücke bei den Weiden, still halten unter anderen Fuhrwerken und Menschen, die schon früher dagewesen und nun warten mußten ; denn der Gerichtsdiener Süpple, den Dreimaster martialisch aufgepflanzt, ging, mit dem Stocke Ordnung haltend, umher und durfte Niemand vorlassen, bis der Zug vorüber. Plötzlich waren die Bäume am Wege wie mit einem Zauberschlage mit Gassenbuben bevölkert, die wie Affen lärmten, und ein Geräusch von Stimmen erscholl, durchmischt von Pfeifen und Zischen. Sie kommen — er kommt! hieß es von allen Seiten.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0006]
I. Der Küster stand im Thurme und zog mit aller Macht die Glocke, daß ihr schwerer Schall weit hinaustönte in das Land, das in seinem ersten Frühlingskleide wellenförmig bis an das Meer hingebreitet dalag. Die Sonne war aufgegangen und beschien mit hellen Strahlen die Dächer der alten Stadt Nienburg, aus deren Thor sich eben ein schwarzer Zug hinausdehnte, so lang und breit, als wolle die Stadt auswandern bis auf den letzten Mann.
Ein Wagen, der einen Abhang rasch hinabgefahren, mußte plötzlich, knapp vor der Brücke bei den Weiden, still halten unter anderen Fuhrwerken und Menschen, die schon früher dagewesen und nun warten mußten ; denn der Gerichtsdiener Süpple, den Dreimaster martialisch aufgepflanzt, ging, mit dem Stocke Ordnung haltend, umher und durfte Niemand vorlassen, bis der Zug vorüber. Plötzlich waren die Bäume am Wege wie mit einem Zauberschlage mit Gassenbuben bevölkert, die wie Affen lärmten, und ein Geräusch von Stimmen erscholl, durchmischt von Pfeifen und Zischen. Sie kommen — er kommt! hieß es von allen Seiten.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T14:41:19Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T14:41:19Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |