Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.längere Zeit gehalten und nicht gleich bei Entdeckung des Pferdediebstahls, in der ersten Hitze der Aufwallung, ohne Besinnung auf den Kerl losgeschlagen -- dann ist es weit schlimmer, dann giebt es einen Mord. Mord? rief der Müller, von Schrecken und Ueberraschung bewältigt, und setzte gelassen hinzu: Der Kerl war doch vogelfrei! Nun, nun -- antwortete Balbus, in weiß nicht -- vielleicht doch nicht -- läßt sich nicht so leicht sagen! -- Ein solcher Fall ist noch keinem Richter vorgelegen. Merkt Euch nur, was ich sagte: es könnte Euch an -- den Hals gehen! An den Hals? wiederholte der Müller tonlos. Ihr kennt die hochnotpeinliche Gerichtsordnung sehr wenig, sagte der Bürgermeister, das Gesicht auf das Ernsthafteste und Bedenklichste verziehend. Ja, an den Hals! Dann aber, rief der Müller im höchsten Affekt, dann aber wird auch die Himmelsdecke nicht so fest sein, daß sie nicht über alledem einstürzt. Er verließ, von dem Gerichtsdiener begleitet, die Amtsstube und wurde in festen Gewahrsam gebracht. längere Zeit gehalten und nicht gleich bei Entdeckung des Pferdediebstahls, in der ersten Hitze der Aufwallung, ohne Besinnung auf den Kerl losgeschlagen — dann ist es weit schlimmer, dann giebt es einen Mord. Mord? rief der Müller, von Schrecken und Ueberraschung bewältigt, und setzte gelassen hinzu: Der Kerl war doch vogelfrei! Nun, nun — antwortete Balbus, in weiß nicht — vielleicht doch nicht — läßt sich nicht so leicht sagen! — Ein solcher Fall ist noch keinem Richter vorgelegen. Merkt Euch nur, was ich sagte: es könnte Euch an — den Hals gehen! An den Hals? wiederholte der Müller tonlos. Ihr kennt die hochnotpeinliche Gerichtsordnung sehr wenig, sagte der Bürgermeister, das Gesicht auf das Ernsthafteste und Bedenklichste verziehend. Ja, an den Hals! Dann aber, rief der Müller im höchsten Affekt, dann aber wird auch die Himmelsdecke nicht so fest sein, daß sie nicht über alledem einstürzt. Er verließ, von dem Gerichtsdiener begleitet, die Amtsstube und wurde in festen Gewahrsam gebracht. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0058"/> längere Zeit gehalten und nicht gleich bei Entdeckung des Pferdediebstahls, in der ersten Hitze der Aufwallung, ohne Besinnung auf den Kerl losgeschlagen — dann ist es weit schlimmer, dann giebt es einen Mord.</p><lb/> <p>Mord? rief der Müller, von Schrecken und Ueberraschung bewältigt, und setzte gelassen hinzu: Der Kerl war doch vogelfrei!</p><lb/> <p>Nun, nun — antwortete Balbus, in weiß nicht — vielleicht doch nicht — läßt sich nicht so leicht sagen! — Ein solcher Fall ist noch keinem Richter vorgelegen. Merkt Euch nur, was ich sagte: es könnte Euch an — den Hals gehen!</p><lb/> <p>An den Hals? wiederholte der Müller tonlos. Ihr kennt die hochnotpeinliche Gerichtsordnung sehr wenig, sagte der Bürgermeister, das Gesicht auf das Ernsthafteste und Bedenklichste verziehend. Ja, an den Hals!</p><lb/> <p>Dann aber, rief der Müller im höchsten Affekt, dann aber wird auch die Himmelsdecke nicht so fest sein, daß sie nicht über alledem einstürzt.</p><lb/> <p>Er verließ, von dem Gerichtsdiener begleitet, die Amtsstube und wurde in festen Gewahrsam gebracht.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0058]
längere Zeit gehalten und nicht gleich bei Entdeckung des Pferdediebstahls, in der ersten Hitze der Aufwallung, ohne Besinnung auf den Kerl losgeschlagen — dann ist es weit schlimmer, dann giebt es einen Mord.
Mord? rief der Müller, von Schrecken und Ueberraschung bewältigt, und setzte gelassen hinzu: Der Kerl war doch vogelfrei!
Nun, nun — antwortete Balbus, in weiß nicht — vielleicht doch nicht — läßt sich nicht so leicht sagen! — Ein solcher Fall ist noch keinem Richter vorgelegen. Merkt Euch nur, was ich sagte: es könnte Euch an — den Hals gehen!
An den Hals? wiederholte der Müller tonlos. Ihr kennt die hochnotpeinliche Gerichtsordnung sehr wenig, sagte der Bürgermeister, das Gesicht auf das Ernsthafteste und Bedenklichste verziehend. Ja, an den Hals!
Dann aber, rief der Müller im höchsten Affekt, dann aber wird auch die Himmelsdecke nicht so fest sein, daß sie nicht über alledem einstürzt.
Er verließ, von dem Gerichtsdiener begleitet, die Amtsstube und wurde in festen Gewahrsam gebracht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/58 |
Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/58>, abgerufen am 22.07.2024. |