Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.IX. Die Aussagen des Müllers über den Gehenkten, die sich schon am folgenden Tage in der Stadt und deren Umgegend verbreitet hatten, konnten nicht verfehlen, einen unermeßlichen Eindruck auf das Publikum zu machen. Die Aufregung war fieberhaft groß. Das Schicksal des Müllers aber, den jedes Kind kannte, und der weit und breit allgemeiner Achtung genoß, war der Gegenstand allgemeinen Antheils Was wird mit ihm geschehen? war die allgemeine Frage. Die untere Menge und alle Gefühlsmenschen in den gebildeteren Sphären waren vom größten Mitleid erfüllt und erwarteten Straflosigkeit, oder eine so geringe Strafe, die ebenso viel wie Straflosigkeit wäre. Selbst Jene, welche die Handlungsweise des Müllers bedenklich, willkürlich und sehr unaufgefordert fanden, neigten sich zu einer ziemlich milden Ansicht. Als aber einige Herren vom Rathhause da und dort die hochnothpeinliche Meinung aussprachen, die der Herr Bürgermeister dem Müller bei dessen erster Vorführung kundgegeben, erschrack Alles über die Strenge und barbarische Starrheit des Gesetzes. Ein allgemeines Murren, das bis zum Schimpfen und bis zur Drohung ausartetete, brach im Volke los, obwohl kein Urtheil noch gefällt war. Diese Stimmung des Volkes hielt andauernd mehrere Tage lang an, so daß IX. Die Aussagen des Müllers über den Gehenkten, die sich schon am folgenden Tage in der Stadt und deren Umgegend verbreitet hatten, konnten nicht verfehlen, einen unermeßlichen Eindruck auf das Publikum zu machen. Die Aufregung war fieberhaft groß. Das Schicksal des Müllers aber, den jedes Kind kannte, und der weit und breit allgemeiner Achtung genoß, war der Gegenstand allgemeinen Antheils Was wird mit ihm geschehen? war die allgemeine Frage. Die untere Menge und alle Gefühlsmenschen in den gebildeteren Sphären waren vom größten Mitleid erfüllt und erwarteten Straflosigkeit, oder eine so geringe Strafe, die ebenso viel wie Straflosigkeit wäre. Selbst Jene, welche die Handlungsweise des Müllers bedenklich, willkürlich und sehr unaufgefordert fanden, neigten sich zu einer ziemlich milden Ansicht. Als aber einige Herren vom Rathhause da und dort die hochnothpeinliche Meinung aussprachen, die der Herr Bürgermeister dem Müller bei dessen erster Vorführung kundgegeben, erschrack Alles über die Strenge und barbarische Starrheit des Gesetzes. Ein allgemeines Murren, das bis zum Schimpfen und bis zur Drohung ausartetete, brach im Volke los, obwohl kein Urtheil noch gefällt war. Diese Stimmung des Volkes hielt andauernd mehrere Tage lang an, so daß <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0059"/> <div type="chapter" n="9"> <head>IX.</head> <p>Die Aussagen des Müllers über den Gehenkten, die sich schon am folgenden Tage in der Stadt und deren Umgegend verbreitet hatten, konnten nicht verfehlen, einen unermeßlichen Eindruck auf das Publikum zu machen. Die Aufregung war fieberhaft groß. Das Schicksal des Müllers aber, den jedes Kind kannte, und der weit und breit allgemeiner Achtung genoß, war der Gegenstand allgemeinen Antheils</p><lb/> <p>Was wird mit ihm geschehen? war die allgemeine Frage.</p><lb/> <p>Die untere Menge und alle Gefühlsmenschen in den gebildeteren Sphären waren vom größten Mitleid erfüllt und erwarteten Straflosigkeit, oder eine so geringe Strafe, die ebenso viel wie Straflosigkeit wäre. Selbst Jene, welche die Handlungsweise des Müllers bedenklich, willkürlich und sehr unaufgefordert fanden, neigten sich zu einer ziemlich milden Ansicht.</p><lb/> <p>Als aber einige Herren vom Rathhause da und dort die hochnothpeinliche Meinung aussprachen, die der Herr Bürgermeister dem Müller bei dessen erster Vorführung kundgegeben, erschrack Alles über die Strenge und barbarische Starrheit des Gesetzes. Ein allgemeines Murren, das bis zum Schimpfen und bis zur Drohung ausartetete, brach im Volke los, obwohl kein Urtheil noch gefällt war. Diese Stimmung des Volkes hielt andauernd mehrere Tage lang an, so daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
IX. Die Aussagen des Müllers über den Gehenkten, die sich schon am folgenden Tage in der Stadt und deren Umgegend verbreitet hatten, konnten nicht verfehlen, einen unermeßlichen Eindruck auf das Publikum zu machen. Die Aufregung war fieberhaft groß. Das Schicksal des Müllers aber, den jedes Kind kannte, und der weit und breit allgemeiner Achtung genoß, war der Gegenstand allgemeinen Antheils
Was wird mit ihm geschehen? war die allgemeine Frage.
Die untere Menge und alle Gefühlsmenschen in den gebildeteren Sphären waren vom größten Mitleid erfüllt und erwarteten Straflosigkeit, oder eine so geringe Strafe, die ebenso viel wie Straflosigkeit wäre. Selbst Jene, welche die Handlungsweise des Müllers bedenklich, willkürlich und sehr unaufgefordert fanden, neigten sich zu einer ziemlich milden Ansicht.
Als aber einige Herren vom Rathhause da und dort die hochnothpeinliche Meinung aussprachen, die der Herr Bürgermeister dem Müller bei dessen erster Vorführung kundgegeben, erschrack Alles über die Strenge und barbarische Starrheit des Gesetzes. Ein allgemeines Murren, das bis zum Schimpfen und bis zur Drohung ausartetete, brach im Volke los, obwohl kein Urtheil noch gefällt war. Diese Stimmung des Volkes hielt andauernd mehrere Tage lang an, so daß
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/59>, abgerufen am 22.07.2024. |