Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.discher, als Wendelin. Ich mache mir Vorwürfe im Stillen -- und doch möchte ich ihn sehen . . . Die Lust nach dem Gespenstigen, Todten, dem Leben Fremden und Feindlichen, siegte in ihm. Welchen vernünftigen Gedanken er auch gegen sein Vorhaben anführte, wie zwecklos er auch den abseits liegenden Weg zur Richtstätte nannte, wie eitel, unnütz, ja abscheulich ihm auch seine Neugier vorkam, er konnte sich von der seltsamen Lust nicht losringen, die sich einmal hartnäckig und rückhaltslos, wie Alles in ihm, seiner bemächtigt hatte. Er mußte den Kornergeorg sehen. Das stand endlich bei ihm fest. Der Wagen kam inzwischen dem Galgenhügel sehr nahe. Da rief Wendelin zusammenschaudernd: Heiliger Himmel, da steht der Galgen, und der Mensch hängt noch immer! Halt an! antwortete der Müller, wir wollen ihn uns jetzt ganz bequem ansehen. Ansehen? sagte Wendelin, von Furcht gepackt. Ich wollte, ich hätte ihn nie gesehen. Ihr aber spaßt -- Das fällt mir nicht ein, erwiderte der Müller trocken und sprang aus dem Wagen; bleib du indessen hier. Du hast Angst, und ich verdenke es dir nicht. Ehe Wendelin eine Antwort fand, war der Müller schon auf dem Wege. Jener sah dem Herrn verdutzt discher, als Wendelin. Ich mache mir Vorwürfe im Stillen — und doch möchte ich ihn sehen . . . Die Lust nach dem Gespenstigen, Todten, dem Leben Fremden und Feindlichen, siegte in ihm. Welchen vernünftigen Gedanken er auch gegen sein Vorhaben anführte, wie zwecklos er auch den abseits liegenden Weg zur Richtstätte nannte, wie eitel, unnütz, ja abscheulich ihm auch seine Neugier vorkam, er konnte sich von der seltsamen Lust nicht losringen, die sich einmal hartnäckig und rückhaltslos, wie Alles in ihm, seiner bemächtigt hatte. Er mußte den Kornergeorg sehen. Das stand endlich bei ihm fest. Der Wagen kam inzwischen dem Galgenhügel sehr nahe. Da rief Wendelin zusammenschaudernd: Heiliger Himmel, da steht der Galgen, und der Mensch hängt noch immer! Halt an! antwortete der Müller, wir wollen ihn uns jetzt ganz bequem ansehen. Ansehen? sagte Wendelin, von Furcht gepackt. Ich wollte, ich hätte ihn nie gesehen. Ihr aber spaßt — Das fällt mir nicht ein, erwiderte der Müller trocken und sprang aus dem Wagen; bleib du indessen hier. Du hast Angst, und ich verdenke es dir nicht. Ehe Wendelin eine Antwort fand, war der Müller schon auf dem Wege. Jener sah dem Herrn verdutzt <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0019"/> discher, als Wendelin. Ich mache mir Vorwürfe im Stillen — und doch möchte ich ihn sehen . . .</p><lb/> <p>Die Lust nach dem Gespenstigen, Todten, dem Leben Fremden und Feindlichen, siegte in ihm. Welchen vernünftigen Gedanken er auch gegen sein Vorhaben anführte, wie zwecklos er auch den abseits liegenden Weg zur Richtstätte nannte, wie eitel, unnütz, ja abscheulich ihm auch seine Neugier vorkam, er konnte sich von der seltsamen Lust nicht losringen, die sich einmal hartnäckig und rückhaltslos, wie Alles in ihm, seiner bemächtigt hatte.</p><lb/> <p>Er mußte den Kornergeorg sehen. Das stand endlich bei ihm fest.</p><lb/> <p>Der Wagen kam inzwischen dem Galgenhügel sehr nahe. Da rief Wendelin zusammenschaudernd:</p><lb/> <p>Heiliger Himmel, da steht der Galgen, und der Mensch hängt noch immer!</p><lb/> <p>Halt an! antwortete der Müller, wir wollen ihn uns jetzt ganz bequem ansehen.</p><lb/> <p>Ansehen? sagte Wendelin, von Furcht gepackt. Ich wollte, ich hätte ihn nie gesehen. Ihr aber spaßt —</p><lb/> <p>Das fällt mir nicht ein, erwiderte der Müller trocken und sprang aus dem Wagen; bleib du indessen hier. Du hast Angst, und ich verdenke es dir nicht.</p><lb/> <p>Ehe Wendelin eine Antwort fand, war der Müller schon auf dem Wege. Jener sah dem Herrn verdutzt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0019]
discher, als Wendelin. Ich mache mir Vorwürfe im Stillen — und doch möchte ich ihn sehen . . .
Die Lust nach dem Gespenstigen, Todten, dem Leben Fremden und Feindlichen, siegte in ihm. Welchen vernünftigen Gedanken er auch gegen sein Vorhaben anführte, wie zwecklos er auch den abseits liegenden Weg zur Richtstätte nannte, wie eitel, unnütz, ja abscheulich ihm auch seine Neugier vorkam, er konnte sich von der seltsamen Lust nicht losringen, die sich einmal hartnäckig und rückhaltslos, wie Alles in ihm, seiner bemächtigt hatte.
Er mußte den Kornergeorg sehen. Das stand endlich bei ihm fest.
Der Wagen kam inzwischen dem Galgenhügel sehr nahe. Da rief Wendelin zusammenschaudernd:
Heiliger Himmel, da steht der Galgen, und der Mensch hängt noch immer!
Halt an! antwortete der Müller, wir wollen ihn uns jetzt ganz bequem ansehen.
Ansehen? sagte Wendelin, von Furcht gepackt. Ich wollte, ich hätte ihn nie gesehen. Ihr aber spaßt —
Das fällt mir nicht ein, erwiderte der Müller trocken und sprang aus dem Wagen; bleib du indessen hier. Du hast Angst, und ich verdenke es dir nicht.
Ehe Wendelin eine Antwort fand, war der Müller schon auf dem Wege. Jener sah dem Herrn verdutzt
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/19>, abgerufen am 16.07.2024. |