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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wendelin, die Zügel starr in der Hand haltend, blickte ununterbrochen hin. Seine jugendlich rege Einbildungskraft war von dem Galgen, der ganz undeutlich ist der Ferne zu sehen war, wie gefesselt. Er sah im Geiste den Todten hoch oben hängen, ganz so, wie er ihn am Morgen gesehen, mit halb offenem Munde, dem bis an die Achsel herabfallenden Kopfe, an dem dünnen, doch festen Strange, mit gefesselten Händen, in deren Gelenke die Stricke tief einschnitten. Er schauderte zuweilen zusammen und drehte sich nach dem Müller um, wie um bei ihm Muth zu holen, ohne ein Wort zu sagen, da er von ihm nur Vorwürfe über seine Neugier von heute Morgen erwarten konnte.

O, hätte ich den verwünschten Kerl gar nicht gesehen! sagte er still zu sich selbst, Der wird mich noch plagen. Weiß Gott, Den sehe ich noch lange auf Schritt und Tritt. Ich werde mich heute Nachts gar nicht in die Bodenkammer wagen.

Während dies in Wendelin's Gemüth vorging, beschäftigte den Müller derselbe Gegenstand, nur in anderer Weise. Die düsteren Eindrücke des Tages traten mit Lebhaftigkeit in ihm hervor und weckten das schlummernde, ernste tiefsinnige Wesen in seiner Brust. Seine sonst gleichmäßig heitere Laune ging in diesem Brüten unter. Als er die Richtstätte in der Ferne erblickte, tauchte plötzlich der Gedanke in ihm empor: er wolle den Gehenkten ansehen.

Bin ich doch, bei Gott, sagte er zu sich, weit kin-

Wendelin, die Zügel starr in der Hand haltend, blickte ununterbrochen hin. Seine jugendlich rege Einbildungskraft war von dem Galgen, der ganz undeutlich ist der Ferne zu sehen war, wie gefesselt. Er sah im Geiste den Todten hoch oben hängen, ganz so, wie er ihn am Morgen gesehen, mit halb offenem Munde, dem bis an die Achsel herabfallenden Kopfe, an dem dünnen, doch festen Strange, mit gefesselten Händen, in deren Gelenke die Stricke tief einschnitten. Er schauderte zuweilen zusammen und drehte sich nach dem Müller um, wie um bei ihm Muth zu holen, ohne ein Wort zu sagen, da er von ihm nur Vorwürfe über seine Neugier von heute Morgen erwarten konnte.

O, hätte ich den verwünschten Kerl gar nicht gesehen! sagte er still zu sich selbst, Der wird mich noch plagen. Weiß Gott, Den sehe ich noch lange auf Schritt und Tritt. Ich werde mich heute Nachts gar nicht in die Bodenkammer wagen.

Während dies in Wendelin's Gemüth vorging, beschäftigte den Müller derselbe Gegenstand, nur in anderer Weise. Die düsteren Eindrücke des Tages traten mit Lebhaftigkeit in ihm hervor und weckten das schlummernde, ernste tiefsinnige Wesen in seiner Brust. Seine sonst gleichmäßig heitere Laune ging in diesem Brüten unter. Als er die Richtstätte in der Ferne erblickte, tauchte plötzlich der Gedanke in ihm empor: er wolle den Gehenkten ansehen.

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[0018] Wendelin, die Zügel starr in der Hand haltend, blickte ununterbrochen hin. Seine jugendlich rege Einbildungskraft war von dem Galgen, der ganz undeutlich ist der Ferne zu sehen war, wie gefesselt. Er sah im Geiste den Todten hoch oben hängen, ganz so, wie er ihn am Morgen gesehen, mit halb offenem Munde, dem bis an die Achsel herabfallenden Kopfe, an dem dünnen, doch festen Strange, mit gefesselten Händen, in deren Gelenke die Stricke tief einschnitten. Er schauderte zuweilen zusammen und drehte sich nach dem Müller um, wie um bei ihm Muth zu holen, ohne ein Wort zu sagen, da er von ihm nur Vorwürfe über seine Neugier von heute Morgen erwarten konnte. O, hätte ich den verwünschten Kerl gar nicht gesehen! sagte er still zu sich selbst, Der wird mich noch plagen. Weiß Gott, Den sehe ich noch lange auf Schritt und Tritt. Ich werde mich heute Nachts gar nicht in die Bodenkammer wagen. Während dies in Wendelin's Gemüth vorging, beschäftigte den Müller derselbe Gegenstand, nur in anderer Weise. Die düsteren Eindrücke des Tages traten mit Lebhaftigkeit in ihm hervor und weckten das schlummernde, ernste tiefsinnige Wesen in seiner Brust. Seine sonst gleichmäßig heitere Laune ging in diesem Brüten unter. Als er die Richtstätte in der Ferne erblickte, tauchte plötzlich der Gedanke in ihm empor: er wolle den Gehenkten ansehen. Bin ich doch, bei Gott, sagte er zu sich, weit kin-

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/18>, abgerufen am 22.11.2024.