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Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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darauf, es sind keine Fußstapfen da. Der Knecht erwidert: es ist inzwischen neuer Schnee gefallen. Die Pferde gingen ruhig ihren Weg weiter, eine Bauersfrau, die vor ihrem Hause stand, erkannte den Wagen, aber leider nicht den Kutscher. Kurz, die Geschichte ist dunkel und wird wohl ewig dunkel bleiben; die Menschen aber, aus lauter Unvollkommenheiten zusammengesetzt, richten strenger als Gott, der Vollkommene. Dieser kennt nur abbüßbare Schulden; der Mensch tödtet und spricht damit ein für allemal über ein Verbrechen ab. Täglich, schloß der Müller, beten wir: führe uns nicht in Versuchung. Habt Ihr wohl einmal nachgedacht, was eigentlich diese Worte bedeuten? Sie sagen: zeige uns nicht, wessen wir in gewissen Lagen fähig sind, stell uns nicht auf die Probe! Darum mahnt auch das Wort Gottes fortwährend zur Milde; und es ist ein gar selten schöner Spruch, jener Spruch im Briefe an die Römer: Die Rache ist mein, ich will vergelten! spricht der Herr.

Der Müller, der alles Dies mit volltönender Stimme und der Ruhe und Zuversicht eines energischen Bewußtseins gesprochen, schloß seine Rede und stand auf. Der Stadtschreiber aber sagte höhnisch: Nun, dieser Spruch kann bei dem Kornergeorg noch immer in Erfüllung gehen. Zu dieser Stunde steht er bereits vor dem ewigen Richter, und Der mag's ihm vergelten, wenn ihm die irdischen Richter zu weh gethan haben sollten. Ich glaube es nicht, und damit Punctum.

darauf, es sind keine Fußstapfen da. Der Knecht erwidert: es ist inzwischen neuer Schnee gefallen. Die Pferde gingen ruhig ihren Weg weiter, eine Bauersfrau, die vor ihrem Hause stand, erkannte den Wagen, aber leider nicht den Kutscher. Kurz, die Geschichte ist dunkel und wird wohl ewig dunkel bleiben; die Menschen aber, aus lauter Unvollkommenheiten zusammengesetzt, richten strenger als Gott, der Vollkommene. Dieser kennt nur abbüßbare Schulden; der Mensch tödtet und spricht damit ein für allemal über ein Verbrechen ab. Täglich, schloß der Müller, beten wir: führe uns nicht in Versuchung. Habt Ihr wohl einmal nachgedacht, was eigentlich diese Worte bedeuten? Sie sagen: zeige uns nicht, wessen wir in gewissen Lagen fähig sind, stell uns nicht auf die Probe! Darum mahnt auch das Wort Gottes fortwährend zur Milde; und es ist ein gar selten schöner Spruch, jener Spruch im Briefe an die Römer: Die Rache ist mein, ich will vergelten! spricht der Herr.

Der Müller, der alles Dies mit volltönender Stimme und der Ruhe und Zuversicht eines energischen Bewußtseins gesprochen, schloß seine Rede und stand auf. Der Stadtschreiber aber sagte höhnisch: Nun, dieser Spruch kann bei dem Kornergeorg noch immer in Erfüllung gehen. Zu dieser Stunde steht er bereits vor dem ewigen Richter, und Der mag's ihm vergelten, wenn ihm die irdischen Richter zu weh gethan haben sollten. Ich glaube es nicht, und damit Punctum.

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:41:19Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:41:19Z)

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Zitationshilfe: Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/16>, abgerufen am 16.04.2024.