Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mann umgebracht, als Jener, der mit ihm auf Einem Wagen gesessen? Im frischgefallenen Schnee haben sich nirgends Schritte auffinden lassen. Ein solches Subject, schloß der Stadtschreiber, will nun der Müller Reinbacher der Gesellschaft erhalten wissen, weil es noch jung sei und sich bessern könne. Aber was so anfängt, bringt es wohl später kaum zu Besserem. Soll man ihn auf Landeskosten füttern, indeß redlicher Leute Kinder darben? Oder würde er sich im Zuchthause veredeln? Oder soll man ihn frei lassen und warten, bis er einen Zweiten todtschlägt? Ich kann auf diese Einzelnheiten nicht eingehen, erwiderte der Müller, aber Manches in Euerm Processe und in Euern Ansichten scheint mir doch nicht klar. Der Kornergeorg, sagt Ihr, war ein verwahrloster Bursche. Ist es seine Schuld, daß er keine Kirche besucht, der Kirche und Predigt selten beigewohnt und im ganzen Leben wohl nie ein gutes Beispiel vor Augen gehabt? Weil man ihn aber als verwahrlost gekannt, wird ihm nun eine That ohne Weiteres aufgebürdet, die an sich noch nicht aufgehellt ist. Sein Verhältniß mit der Frau seines Dienstherrn hat ihn nach allen Anzeichen ins Verderben gestürzt. Oft hatte es wegen ihr zwischen Herrn und Knecht Streit gegeben, denn der Fuhrmann war eifersüchtig und ahnte nichts Gutes. Ist es aber erwiesen, daß Herr und Knecht mitsammen vom Kruge heimgefahren? Der Knecht behauptet, er sei früher fort; das Gericht sagt mann umgebracht, als Jener, der mit ihm auf Einem Wagen gesessen? Im frischgefallenen Schnee haben sich nirgends Schritte auffinden lassen. Ein solches Subject, schloß der Stadtschreiber, will nun der Müller Reinbacher der Gesellschaft erhalten wissen, weil es noch jung sei und sich bessern könne. Aber was so anfängt, bringt es wohl später kaum zu Besserem. Soll man ihn auf Landeskosten füttern, indeß redlicher Leute Kinder darben? Oder würde er sich im Zuchthause veredeln? Oder soll man ihn frei lassen und warten, bis er einen Zweiten todtschlägt? Ich kann auf diese Einzelnheiten nicht eingehen, erwiderte der Müller, aber Manches in Euerm Processe und in Euern Ansichten scheint mir doch nicht klar. Der Kornergeorg, sagt Ihr, war ein verwahrloster Bursche. Ist es seine Schuld, daß er keine Kirche besucht, der Kirche und Predigt selten beigewohnt und im ganzen Leben wohl nie ein gutes Beispiel vor Augen gehabt? Weil man ihn aber als verwahrlost gekannt, wird ihm nun eine That ohne Weiteres aufgebürdet, die an sich noch nicht aufgehellt ist. Sein Verhältniß mit der Frau seines Dienstherrn hat ihn nach allen Anzeichen ins Verderben gestürzt. Oft hatte es wegen ihr zwischen Herrn und Knecht Streit gegeben, denn der Fuhrmann war eifersüchtig und ahnte nichts Gutes. Ist es aber erwiesen, daß Herr und Knecht mitsammen vom Kruge heimgefahren? Der Knecht behauptet, er sei früher fort; das Gericht sagt <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> mann umgebracht, als Jener, der mit ihm auf Einem Wagen gesessen? Im frischgefallenen Schnee haben sich nirgends Schritte auffinden lassen. Ein solches Subject, schloß der Stadtschreiber, will nun der Müller Reinbacher der Gesellschaft erhalten wissen, weil es noch jung sei und sich bessern könne. Aber was so anfängt, bringt es wohl später kaum zu Besserem. Soll man ihn auf Landeskosten füttern, indeß redlicher Leute Kinder darben? Oder würde er sich im Zuchthause veredeln? Oder soll man ihn frei lassen und warten, bis er einen Zweiten todtschlägt?</p><lb/> <p>Ich kann auf diese Einzelnheiten nicht eingehen, erwiderte der Müller, aber Manches in Euerm Processe und in Euern Ansichten scheint mir doch nicht klar. Der Kornergeorg, sagt Ihr, war ein verwahrloster Bursche. Ist es seine Schuld, daß er keine Kirche besucht, der Kirche und Predigt selten beigewohnt und im ganzen Leben wohl nie ein gutes Beispiel vor Augen gehabt? Weil man ihn aber als verwahrlost gekannt, wird ihm nun eine That ohne Weiteres aufgebürdet, die an sich noch nicht aufgehellt ist. Sein Verhältniß mit der Frau seines Dienstherrn hat ihn nach allen Anzeichen ins Verderben gestürzt. Oft hatte es wegen ihr zwischen Herrn und Knecht Streit gegeben, denn der Fuhrmann war eifersüchtig und ahnte nichts Gutes. Ist es aber erwiesen, daß Herr und Knecht mitsammen vom Kruge heimgefahren? Der Knecht behauptet, er sei früher fort; das Gericht sagt<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
mann umgebracht, als Jener, der mit ihm auf Einem Wagen gesessen? Im frischgefallenen Schnee haben sich nirgends Schritte auffinden lassen. Ein solches Subject, schloß der Stadtschreiber, will nun der Müller Reinbacher der Gesellschaft erhalten wissen, weil es noch jung sei und sich bessern könne. Aber was so anfängt, bringt es wohl später kaum zu Besserem. Soll man ihn auf Landeskosten füttern, indeß redlicher Leute Kinder darben? Oder würde er sich im Zuchthause veredeln? Oder soll man ihn frei lassen und warten, bis er einen Zweiten todtschlägt?
Ich kann auf diese Einzelnheiten nicht eingehen, erwiderte der Müller, aber Manches in Euerm Processe und in Euern Ansichten scheint mir doch nicht klar. Der Kornergeorg, sagt Ihr, war ein verwahrloster Bursche. Ist es seine Schuld, daß er keine Kirche besucht, der Kirche und Predigt selten beigewohnt und im ganzen Leben wohl nie ein gutes Beispiel vor Augen gehabt? Weil man ihn aber als verwahrlost gekannt, wird ihm nun eine That ohne Weiteres aufgebürdet, die an sich noch nicht aufgehellt ist. Sein Verhältniß mit der Frau seines Dienstherrn hat ihn nach allen Anzeichen ins Verderben gestürzt. Oft hatte es wegen ihr zwischen Herrn und Knecht Streit gegeben, denn der Fuhrmann war eifersüchtig und ahnte nichts Gutes. Ist es aber erwiesen, daß Herr und Knecht mitsammen vom Kruge heimgefahren? Der Knecht behauptet, er sei früher fort; das Gericht sagt
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Zitationshilfe: | Meißner, Alfred: Der Müller vom Höft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–274. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_hoeft_1910/15>, abgerufen am 27.07.2024. |