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Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904.

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gelöst. Manch interessante Parallele blitzt dabei auf, zum
Beispiel die, zwischen Eroberer und großer Dirne, die beide
als Gottesgeißeln empfunden werden. Köstlich ist die Verwicklung
in die eigenen gewundenen Fäden zum Beispiel
dort, wo über die Treue gesprochen wird:

Ist nämlich die Frau untreu, so ist sie es, weil sie
überhaupt "kein der Zeitlichkeit entrücktes Ich hat", daher
"ganz gedankenlos" ist und ohne "Verständnis für die
bindende Kraft eines Vertrages".

Ist aber der Mann untreu, so ist er es nur, weil er
sein intellegibles Ich nicht hat zu Worte kommen lassen!
(Und wo bleibt sein "Verständnis für die bindende Kraft
eines Vertrages"? Es schlief wohl gerade?)

Ist er treu, so ist er es eben seines intellegiblen Wesens
halber.

Ist sie aber treu, so ist sie es aus "Hörigkeitsinstinkt"
- "hündisch nachlaufend ... voll instinktiver, zäher Anhänglichkeit"!

Preisfrage: Wie soll sie also sein, treu oder untreu,
um weniger verächtlich zu erscheinen?

Eine erstaunlich tief verwurzelte Konfusion im Kopfe
eines Dreiundzwanzigjährigen, ein wahres Phänomen von
einem Rattenkönig! So selbstsicher wird oft das genaue
Gegenteil von der Wahrheit vorgetragen, daß man erst
durch die ins Auge springende Absurdheit zur Widerlegung
veranlaßt wird. Der Mythos von Leda wird als Beweis angeführt,
daß die Frau zur Sodomie mehr Neigung habe als
der Mann! Was beweist aber der Mythos gegenüber der
Wirklichkeit? Wer benützt heute noch - im Orient ist
dies an der Tagesordnung - Ziegen, Stuten, Hennen zu
geschlechtlichem Mißbrauch, - Mann oder Weib?!

Nach der Einleitung einer Beweiskette wird diese gewöhnlich
mitten drin abgebrochen und unbewiesen wird
der "Schluß" angehängt, während man die entscheidende

gelöst. Manch interessante Parallele blitzt dabei auf, zum
Beispiel die, zwischen Eroberer und großer Dirne, die beide
als Gottesgeißeln empfunden werden. Köstlich ist die Verwicklung
in die eigenen gewundenen Fäden zum Beispiel
dort, wo über die Treue gesprochen wird:

Ist nämlich die Frau untreu, so ist sie es, weil sie
überhaupt »kein der Zeitlichkeit entrücktes Ich hat«, daher
»ganz gedankenlos« ist und ohne »Verständnis für die
bindende Kraft eines Vertrages«.

Ist aber der Mann untreu, so ist er es nur, weil er
sein intellegibles Ich nicht hat zu Worte kommen lassen!
(Und wo bleibt sein »Verständnis für die bindende Kraft
eines Vertrages«? Es schlief wohl gerade?)

Ist er treu, so ist er es eben seines intellegiblen Wesens
halber.

Ist sie aber treu, so ist sie es aus »Hörigkeitsinstinkt«
– »hündisch nachlaufend ... voll instinktiver, zäher Anhänglichkeit«!

Preisfrage: Wie soll sie also sein, treu oder untreu,
um weniger verächtlich zu erscheinen?

Eine erstaunlich tief verwurzelte Konfusion im Kopfe
eines Dreiundzwanzigjährigen, ein wahres Phänomen von
einem Rattenkönig! So selbstsicher wird oft das genaue
Gegenteil von der Wahrheit vorgetragen, daß man erst
durch die ins Auge springende Absurdheit zur Widerlegung
veranlaßt wird. Der Mythos von Leda wird als Beweis angeführt,
daß die Frau zur Sodomie mehr Neigung habe als
der Mann! Was beweist aber der Mythos gegenüber der
Wirklichkeit? Wer benützt heute noch – im Orient ist
dies an der Tagesordnung – Ziegen, Stuten, Hennen zu
geschlechtlichem Mißbrauch, – Mann oder Weib?!

Nach der Einleitung einer Beweiskette wird diese gewöhnlich
mitten drin abgebrochen und unbewiesen wird
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[45/0051] gelöst. Manch interessante Parallele blitzt dabei auf, zum Beispiel die, zwischen Eroberer und großer Dirne, die beide als Gottesgeißeln empfunden werden. Köstlich ist die Verwicklung in die eigenen gewundenen Fäden zum Beispiel dort, wo über die Treue gesprochen wird: Ist nämlich die Frau untreu, so ist sie es, weil sie überhaupt »kein der Zeitlichkeit entrücktes Ich hat«, daher »ganz gedankenlos« ist und ohne »Verständnis für die bindende Kraft eines Vertrages«. Ist aber der Mann untreu, so ist er es nur, weil er sein intellegibles Ich nicht hat zu Worte kommen lassen! (Und wo bleibt sein »Verständnis für die bindende Kraft eines Vertrages«? Es schlief wohl gerade?) Ist er treu, so ist er es eben seines intellegiblen Wesens halber. Ist sie aber treu, so ist sie es aus »Hörigkeitsinstinkt« – »hündisch nachlaufend ... voll instinktiver, zäher Anhänglichkeit«! Preisfrage: Wie soll sie also sein, treu oder untreu, um weniger verächtlich zu erscheinen? Eine erstaunlich tief verwurzelte Konfusion im Kopfe eines Dreiundzwanzigjährigen, ein wahres Phänomen von einem Rattenkönig! So selbstsicher wird oft das genaue Gegenteil von der Wahrheit vorgetragen, daß man erst durch die ins Auge springende Absurdheit zur Widerlegung veranlaßt wird. Der Mythos von Leda wird als Beweis angeführt, daß die Frau zur Sodomie mehr Neigung habe als der Mann! Was beweist aber der Mythos gegenüber der Wirklichkeit? Wer benützt heute noch – im Orient ist dies an der Tagesordnung – Ziegen, Stuten, Hennen zu geschlechtlichem Mißbrauch, – Mann oder Weib?! Nach der Einleitung einer Beweiskette wird diese gewöhnlich mitten drin abgebrochen und unbewiesen wird der »Schluß« angehängt, während man die entscheidende

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Zitationshilfe: Meisel-Heß, Grete: Weiberhaß und Weiberverachtung. Eine Erwiderung auf die in Dr. Otto Weiningers Buche »Geschlecht und Charakter« geäußerten Anschauungen über »Die Frau und ihre Frage«. Wien, 1904, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meiselhess_weiberhass_1904/51>, abgerufen am 21.11.2024.