Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Kaum zu Hause angekommen machte ich mich
über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler
Mühe mich ein und durchgelesen, regten mich die
darin mitgetheilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die
Art und Weise dieser Hexenprocesse, über das Ver¬
fahren ja über die ganze Periode, in welche diese
Erscheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je
mehr dieser bewundernswürdigen Geschichten ich
las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der
triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der
vorsichtigere Horst (Zauberbibliothek) und andere
Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte,
konnten meine Verwirrung heben, sondern dienten
nur dazu, sie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer
Zug durch die meisten dieser Schaudergeschichten,
daß den aufmerksamen Leser Grausen und Ent¬
setzen anwandelt, sondern die ewigen und unverän¬
derlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs-
und Handlungsweise werden auch oft auf eine so
gewaltsame Weise unterbrochen, daß der Verstand
im eigentlichem Sinne des Wortes stille steht; wie
denn z. B. in einem der Originalprocesse, die ein
juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert,
sich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem
sie bereits die Folter überstanden, das heilige Abend¬

Kaum zu Hauſe angekommen machte ich mich
über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler
Mühe mich ein und durchgeleſen, regten mich die
darin mitgetheilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die
Art und Weiſe dieſer Hexenproceſſe, über das Ver¬
fahren ja über die ganze Periode, in welche dieſe
Erſcheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je
mehr dieſer bewundernswürdigen Geſchichten ich
las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der
triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der
vorſichtigere Horſt (Zauberbibliothek) und andere
Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte,
konnten meine Verwirrung heben, ſondern dienten
nur dazu, ſie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein ſo tiefer dämoniſcher
Zug durch die meiſten dieſer Schaudergeſchichten,
daß den aufmerkſamen Leſer Grauſen und Ent¬
ſetzen anwandelt, ſondern die ewigen und unverän¬
derlichen Geſetze der menſchlichen Empfindungs-
und Handlungsweiſe werden auch oft auf eine ſo
gewaltſame Weiſe unterbrochen, daß der Verſtand
im eigentlichem Sinne des Wortes ſtille ſteht; wie
denn z. B. in einem der Originalproceſſe, die ein
juriſtiſcher Freund in unſerer Provinz aufgeſtöbert,
ſich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem
ſie bereits die Folter überſtanden, das heilige Abend¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0011" n="V"/>
        <p>Kaum zu Hau&#x017F;e angekommen machte ich mich<lb/>
über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler<lb/>
Mühe mich ein und durchgele&#x017F;en, regten mich die<lb/>
darin mitgetheilten Sachen mächtig an.</p><lb/>
        <p>Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die<lb/>
Art und Wei&#x017F;e die&#x017F;er Hexenproce&#x017F;&#x017F;e, über das Ver¬<lb/>
fahren ja über die ganze Periode, in welche die&#x017F;e<lb/>
Er&#x017F;cheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je<lb/>
mehr die&#x017F;er bewundernswürdigen Ge&#x017F;chichten ich<lb/>
las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der<lb/>
triviale <hi rendition="#g">Beeker</hi> (die bezauberte Welt) noch der<lb/>
vor&#x017F;ichtigere <hi rendition="#g">Hor&#x017F;t</hi> (Zauberbibliothek) und andere<lb/>
Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte,<lb/>
konnten meine Verwirrung heben, &#x017F;ondern dienten<lb/>
nur dazu, &#x017F;ie zu vermehren.</p><lb/>
        <p>Es geht nicht bloß ein &#x017F;o tiefer dämoni&#x017F;cher<lb/>
Zug durch die mei&#x017F;ten die&#x017F;er Schauderge&#x017F;chichten,<lb/>
daß den aufmerk&#x017F;amen Le&#x017F;er Grau&#x017F;en und Ent¬<lb/>
&#x017F;etzen anwandelt, &#x017F;ondern die ewigen und unverän¬<lb/>
derlichen Ge&#x017F;etze der men&#x017F;chlichen Empfindungs-<lb/>
und Handlungswei&#x017F;e werden auch oft auf eine &#x017F;o<lb/>
gewalt&#x017F;ame Wei&#x017F;e unterbrochen, daß der Ver&#x017F;tand<lb/>
im eigentlichem Sinne des Wortes &#x017F;tille &#x017F;teht; wie<lb/>
denn z. B. in einem der Originalproce&#x017F;&#x017F;e, die ein<lb/>
juri&#x017F;ti&#x017F;cher Freund in un&#x017F;erer Provinz aufge&#x017F;töbert,<lb/>
&#x017F;ich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem<lb/>
&#x017F;ie bereits die Folter über&#x017F;tanden, das heilige Abend¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[V/0011] Kaum zu Hauſe angekommen machte ich mich über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein und durchgeleſen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an. Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weiſe dieſer Hexenproceſſe, über das Ver¬ fahren ja über die ganze Periode, in welche dieſe Erſcheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je mehr dieſer bewundernswürdigen Geſchichten ich las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (die bezauberte Welt) noch der vorſichtigere Horſt (Zauberbibliothek) und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten meine Verwirrung heben, ſondern dienten nur dazu, ſie zu vermehren. Es geht nicht bloß ein ſo tiefer dämoniſcher Zug durch die meiſten dieſer Schaudergeſchichten, daß den aufmerkſamen Leſer Grauſen und Ent¬ ſetzen anwandelt, ſondern die ewigen und unverän¬ derlichen Geſetze der menſchlichen Empfindungs- und Handlungsweiſe werden auch oft auf eine ſo gewaltſame Weiſe unterbrochen, daß der Verſtand im eigentlichem Sinne des Wortes ſtille ſteht; wie denn z. B. in einem der Originalproceſſe, die ein juriſtiſcher Freund in unſerer Provinz aufgeſtöbert, ſich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem ſie bereits die Folter überſtanden, das heilige Abend¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/11
Zitationshilfe: Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/11>, abgerufen am 22.11.2024.