finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähri¬ ger Küster (der auch Appelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unserer Lebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter aber sehr braver Mann war) unter jenes Chorgestühl, und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder ge¬ bundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect, sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben; er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuscript zum Zerreißen ge¬ geben, da es hier seit Menschen Gedenken umher¬ gelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte u. s. w. Der greise halb blinde Pastor hätte es für alte Kirchen¬ rechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu ge¬ brauchen seien *).
*) Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem Irrthum verleiten konnten, und außerdem ist die Handschrift schwer zu lesen, und an einigen Stel¬ len vergilbt und verrottet.
finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähri¬ ger Küſter (der auch Appelmann hieß, aber ſeinem Namensverwandten in unſerer Lebensgeſchichte durchaus unähnlich und ein zwar beſchränkter aber ſehr braver Mann war) unter jenes Chorgeſtühl, und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Geſicht gekommen war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierſtreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff ſogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich ſchon nach wenigen Minuten erſtaunter oder entrüſteter über meinen köſtlichen Fund war. Das in Schweinsleder ge¬ bundene Manuſcript war nicht blos vorne und hinten defect, ſondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter geriſſen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben; er entſchuldigte ſich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuſcript zum Zerreißen ge¬ geben, da es hier ſeit Menſchen Gedenken umher¬ gelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit geweſen ſei, beim Umwickeln der Altarlichte u. ſ. w. Der greiſe halb blinde Paſtor hätte es für alte Kirchen¬ rechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu ge¬ brauchen ſeien *).
*) Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim erſten Anblick zu dieſem Irrthum verleiten konnten, und außerdem iſt die Handſchrift ſchwer zu leſen, und an einigen Stel¬ len vergilbt und verrottet.
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[IV/0010]
finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähri¬
ger Küſter (der auch Appelmann hieß, aber ſeinem
Namensverwandten in unſerer Lebensgeſchichte
durchaus unähnlich und ein zwar beſchränkter aber
ſehr braver Mann war) unter jenes Chorgeſtühl,
und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie
zu Geſicht gekommen war, und aus dem er ohne
Weiteres einen geeigneten Papierſtreifen riß und
ihn mir überreichte. Ich griff ſogleich nach dem
Buche und weiß nicht, ob ich ſchon nach wenigen
Minuten erſtaunter oder entrüſteter über meinen
köſtlichen Fund war. Das in Schweinsleder ge¬
bundene Manuſcript war nicht blos vorne und
hinten defect, ſondern leider waren auch aus der
Mitte hin und wieder mehrere Blätter geriſſen.
Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben;
er entſchuldigte ſich aber dahin: daß einer meiner
Vorgänger ihm das Manuſcript zum Zerreißen ge¬
geben, da es hier ſeit Menſchen Gedenken umher¬
gelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit geweſen
ſei, beim Umwickeln der Altarlichte u. ſ. w. Der
greiſe halb blinde Paſtor hätte es für alte Kirchen¬
rechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu ge¬
brauchen ſeien *).
*) Und in der That kommen im Original einige Rechnungen vor,
die wohl beim erſten Anblick zu dieſem Irrthum verleiten konnten,
und außerdem iſt die Handſchrift ſchwer zu leſen, und an einigen Stel¬
len vergilbt und verrottet.
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Meinhold, Wilhelm: Maria Schweidler die Bernsteinhexe. Berlin, 1843, S. IV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meinhold_bernsteinhexe_1843/10>, abgerufen am 16.02.2025.
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