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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 62. Internationales und bundesstaatliches Verwaltungsrecht.
für die Reichsgewalt, durch die einzelnen Landesverfassungen für die
Gliedstaatsgewalten gemacht. Die entsprechende Scheidung zwischen
Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalten bestimmt die Reichsverfassung
allein.

Der Schwerpunkt liegt dabei in der Ausstattung der Reichs-
gewalt
als der rechtlich stärkeren19, gerade so wie beim Einzelstaat
in der Ausstattung des Gesetzes. Die Gliedstaatsgewalt erhält da-
durch ihre entsprechenden rechtlichen Besonderheiten in der Haupt-
sache von selbst, wie dort die vollziehende (Bd. I S. 77).

Die Form, in welcher diese Ausstattung erscheint, weist wieder
ganz die gleichen Grundzüge auf, die bei der Auseinandersetzung
zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt zu erkennen waren.
Zunächst verfassungsmäßige Vorbehalte für die Reichsgewalt (aus-
schließliche Reichsgesetzgebung); daneben hier als Ausnahmsfall auch
Vorbehalte zu Gunsten des Gliedstaats (Reservatrechte). Auf dem ge-
meinsamen Thätigkeitsfeld Vorrang der Reichsgewalt, wenigstens
für ihr Gesetz, das ja auch verfassungsänderndes Gesetz sein kann,
und die darauf beruhende Anordnung. Endlich Gebundenheit der
Gliedstaatsgewalt an Reichsgesetz und sonstige Akte der Reichsgewalt
nach den Regeln der Vollziehung20. Ein großer Unterschied besteht
insofern, als hier jede der beiden Gewalten geeignet und imstande
ist, für sich allein ganze Verwaltungszweige zu ordnen und zu führen.
Daraus ergiebt sich eine geringere thatsächliche Verflechtung ihrer
Wirksamkeit wie dort.

Auf Einzelheiten haben wir aber nicht einzugehen. Es handelt
sich für uns nur darum, welche allgemeine Regeln sich aus dieser
Grundlage ergeben für das Verwaltungsrecht im Reich. Es
sind die folgenden.

1. Das Verhältnis zwischen Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalt
ist nicht das zwischen Herrscher und Unterthan21. Ganz ebenso-

19 Haenel, St.R. I S. 209; vgl. auch Toqueville, dem. en Am. I S. 191.
20 Daher kann insbesondere auch die Landesgesetzgebung zu der Reichs-
gesetzgebung in ein ähnliches Verhältnis treten, wie im einfachen Staat die voll-
ziehende Gewalt zum Gesetz. Es giebt hier "Ausführungsgesetze" mit derselben
Gebundenheit und denselben Schranken, wie sie dort die Ausführungsverordnung
hat: Haenel, St.R. I S. 254 ff.
21 Laband, St.R. I S. 55 (3. Aufl. S. 53): "der Gliedstaat ist nach unten
Herr, nach oben Unterthan". Haenel, St.R. I S. 798: "die Gliedstaaten sind im
Reich gehorsamspflichtige Unterthanen und staatsbürgerlich Berechtigte". Vgl.
auch Mejer, Einleitung S. 6--8. Die Theorien aus der Zeit vor Gründung des
Reiches wirken hier nach; Brie, Bundesstaat S. 53 ff. Aber die Wirklichkeit
des Reiches ist eben anders ausgefallen.
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 30

§ 62. Internationales und bundesstaatliches Verwaltungsrecht.
für die Reichsgewalt, durch die einzelnen Landesverfassungen für die
Gliedstaatsgewalten gemacht. Die entsprechende Scheidung zwischen
Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalten bestimmt die Reichsverfassung
allein.

Der Schwerpunkt liegt dabei in der Ausstattung der Reichs-
gewalt
als der rechtlich stärkeren19, gerade so wie beim Einzelstaat
in der Ausstattung des Gesetzes. Die Gliedstaatsgewalt erhält da-
durch ihre entsprechenden rechtlichen Besonderheiten in der Haupt-
sache von selbst, wie dort die vollziehende (Bd. I S. 77).

Die Form, in welcher diese Ausstattung erscheint, weist wieder
ganz die gleichen Grundzüge auf, die bei der Auseinandersetzung
zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt zu erkennen waren.
Zunächst verfassungsmäßige Vorbehalte für die Reichsgewalt (aus-
schließliche Reichsgesetzgebung); daneben hier als Ausnahmsfall auch
Vorbehalte zu Gunsten des Gliedstaats (Reservatrechte). Auf dem ge-
meinsamen Thätigkeitsfeld Vorrang der Reichsgewalt, wenigstens
für ihr Gesetz, das ja auch verfassungsänderndes Gesetz sein kann,
und die darauf beruhende Anordnung. Endlich Gebundenheit der
Gliedstaatsgewalt an Reichsgesetz und sonstige Akte der Reichsgewalt
nach den Regeln der Vollziehung20. Ein großer Unterschied besteht
insofern, als hier jede der beiden Gewalten geeignet und imstande
ist, für sich allein ganze Verwaltungszweige zu ordnen und zu führen.
Daraus ergiebt sich eine geringere thatsächliche Verflechtung ihrer
Wirksamkeit wie dort.

Auf Einzelheiten haben wir aber nicht einzugehen. Es handelt
sich für uns nur darum, welche allgemeine Regeln sich aus dieser
Grundlage ergeben für das Verwaltungsrecht im Reich. Es
sind die folgenden.

1. Das Verhältnis zwischen Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalt
ist nicht das zwischen Herrscher und Unterthan21. Ganz ebenso-

19 Haenel, St.R. I S. 209; vgl. auch Toqueville, dém. en Am. I S. 191.
20 Daher kann insbesondere auch die Landesgesetzgebung zu der Reichs-
gesetzgebung in ein ähnliches Verhältnis treten, wie im einfachen Staat die voll-
ziehende Gewalt zum Gesetz. Es giebt hier „Ausführungsgesetze“ mit derselben
Gebundenheit und denselben Schranken, wie sie dort die Ausführungsverordnung
hat: Haenel, St.R. I S. 254 ff.
21 Laband, St.R. I S. 55 (3. Aufl. S. 53): „der Gliedstaat ist nach unten
Herr, nach oben Unterthan“. Haenel, St.R. I S. 798: „die Gliedstaaten sind im
Reich gehorsamspflichtige Unterthanen und staatsbürgerlich Berechtigte“. Vgl.
auch Mejer, Einleitung S. 6—8. Die Theorien aus der Zeit vor Gründung des
Reiches wirken hier nach; Brie, Bundesstaat S. 53 ff. Aber die Wirklichkeit
des Reiches ist eben anders ausgefallen.
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 30
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[465/0477] § 62. Internationales und bundesstaatliches Verwaltungsrecht. für die Reichsgewalt, durch die einzelnen Landesverfassungen für die Gliedstaatsgewalten gemacht. Die entsprechende Scheidung zwischen Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalten bestimmt die Reichsverfassung allein. Der Schwerpunkt liegt dabei in der Ausstattung der Reichs- gewalt als der rechtlich stärkeren 19, gerade so wie beim Einzelstaat in der Ausstattung des Gesetzes. Die Gliedstaatsgewalt erhält da- durch ihre entsprechenden rechtlichen Besonderheiten in der Haupt- sache von selbst, wie dort die vollziehende (Bd. I S. 77). Die Form, in welcher diese Ausstattung erscheint, weist wieder ganz die gleichen Grundzüge auf, die bei der Auseinandersetzung zwischen gesetzgebender und vollziehender Gewalt zu erkennen waren. Zunächst verfassungsmäßige Vorbehalte für die Reichsgewalt (aus- schließliche Reichsgesetzgebung); daneben hier als Ausnahmsfall auch Vorbehalte zu Gunsten des Gliedstaats (Reservatrechte). Auf dem ge- meinsamen Thätigkeitsfeld Vorrang der Reichsgewalt, wenigstens für ihr Gesetz, das ja auch verfassungsänderndes Gesetz sein kann, und die darauf beruhende Anordnung. Endlich Gebundenheit der Gliedstaatsgewalt an Reichsgesetz und sonstige Akte der Reichsgewalt nach den Regeln der Vollziehung 20. Ein großer Unterschied besteht insofern, als hier jede der beiden Gewalten geeignet und imstande ist, für sich allein ganze Verwaltungszweige zu ordnen und zu führen. Daraus ergiebt sich eine geringere thatsächliche Verflechtung ihrer Wirksamkeit wie dort. Auf Einzelheiten haben wir aber nicht einzugehen. Es handelt sich für uns nur darum, welche allgemeine Regeln sich aus dieser Grundlage ergeben für das Verwaltungsrecht im Reich. Es sind die folgenden. 1. Das Verhältnis zwischen Reichsgewalt und Gliedstaatsgewalt ist nicht das zwischen Herrscher und Unterthan 21. Ganz ebenso- 19 Haenel, St.R. I S. 209; vgl. auch Toqueville, dém. en Am. I S. 191. 20 Daher kann insbesondere auch die Landesgesetzgebung zu der Reichs- gesetzgebung in ein ähnliches Verhältnis treten, wie im einfachen Staat die voll- ziehende Gewalt zum Gesetz. Es giebt hier „Ausführungsgesetze“ mit derselben Gebundenheit und denselben Schranken, wie sie dort die Ausführungsverordnung hat: Haenel, St.R. I S. 254 ff. 21 Laband, St.R. I S. 55 (3. Aufl. S. 53): „der Gliedstaat ist nach unten Herr, nach oben Unterthan“. Haenel, St.R. I S. 798: „die Gliedstaaten sind im Reich gehorsamspflichtige Unterthanen und staatsbürgerlich Berechtigte“. Vgl. auch Mejer, Einleitung S. 6—8. Die Theorien aus der Zeit vor Gründung des Reiches wirken hier nach; Brie, Bundesstaat S. 53 ff. Aber die Wirklichkeit des Reiches ist eben anders ausgefallen. Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 30

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/477>, abgerufen am 07.05.2024.