wenig wie die vollziehende Gewalt Unterthan der gesetzgebenden ist (Bd. I S. 84 ff.). Vielmehr stehen sich hier Mitträger der einen, aber verteilten Staatsgewalt gegenüber in verfassungsrechtlich bestimmtem Verhältnis.
Für ihr geordnetes Zusammenwirken muß freilich das Verhältnis so bestimmt werden, daß die eine Gewalt die rechtlich stärkere ist, mit ihren Willensäußerungen der anderen vorgeht, sie bindet. Aber deshalb darf man nicht sagen: hier wird befohlen, befohlen wird nur dem Unterthanen, also ist hier ein Unterthan. Das heißt nur wieder Mißbrauch treiben mit einem absichtlich verschwommen ge- haltenen Befehlsbegriff. Es handelt sich um ausgeprägte Rechts- institute des Verfassungsrechts, die in ihrer ganz besonderen Eigenart erkannt werden müssen22.
Die Eigenart des Verfassungsrechts tritt an diesem Verhältnisse besonders deutlich hervor, im Falle eine Störung desselben statt- gefunden hat. Der Träger der einen Gewalt verletzt die Rechte der anderen, kommt seiner Gebundenheit, seinen Pflichten dieser gegen- über nicht nach, überschreitet seine Schranken. Dann ist es nicht der Ungehorsam des Unterthanen, den die Staatsgewalt zu brechen hat, sondern ein Verfassungskonflikt liegt vor. Sofort werden denn auch wieder die Grenzen der Rechtsordnung fühlbar: spärliche An- sätze eines geordneten Rechtsschutzes, überall Machtfrage und Selbst- hülfe. Der verkümmerten Ministeranklage durch die Volksvertretung wegen Nichteinhaltung der Gesetze entspricht hier freilich die kräf- tigere Bundesexekution im Reich. Aber die ist juristisch wieder durchaus nicht gleichwertig mit dem Verfahren des Staates gegen eine widerspenstige Gemeindeverwaltung; es ist nichts als geordnete Selbst- hülfe, thatsächlich kaum verschieden von der Bundesexekution im völkerrechtlichen Staatenbund23.
Das Reich ist Staat; wäre der Gliedstaat sein Unterthan, so müßten wir nach dem aufgestellten und durchgeführten Begriff des Verwaltungsrechts (Bd. I S. 14) dieses Verhältnis hier behandeln. Damit alles sauber abgegrenzt bleibe, war es notwendig, auch in diesem Punkte Klarheit zu schaffen.
22 Man legt z. B. Gewicht auf die sog. Kompetenz-Kompetenz, vermöge deren die Reichsgesetzgebung sich weiter Gebiete der Verwaltung bemächtigt, um sie in Vorrang vor der Gliedstaatsgewalt zu ordnen. Diese nämliche Kompetenz-Kompe- tenz hat im einfachen Staate das Gesetz, und doch wird deshalb die vollziehende Gewalt nicht zum Unterthan. Der Schutz der schwächeren Gewalt liegt hier wie dort in der bevorzugten Teilnahme ihres Trägers an der Trägerschaft der stärkeren.
23Jellinek, Staatenverbindungen S. 310.
Anhang.
wenig wie die vollziehende Gewalt Unterthan der gesetzgebenden ist (Bd. I S. 84 ff.). Vielmehr stehen sich hier Mitträger der einen, aber verteilten Staatsgewalt gegenüber in verfassungsrechtlich bestimmtem Verhältnis.
Für ihr geordnetes Zusammenwirken muß freilich das Verhältnis so bestimmt werden, daß die eine Gewalt die rechtlich stärkere ist, mit ihren Willensäußerungen der anderen vorgeht, sie bindet. Aber deshalb darf man nicht sagen: hier wird befohlen, befohlen wird nur dem Unterthanen, also ist hier ein Unterthan. Das heißt nur wieder Mißbrauch treiben mit einem absichtlich verschwommen ge- haltenen Befehlsbegriff. Es handelt sich um ausgeprägte Rechts- institute des Verfassungsrechts, die in ihrer ganz besonderen Eigenart erkannt werden müssen22.
Die Eigenart des Verfassungsrechts tritt an diesem Verhältnisse besonders deutlich hervor, im Falle eine Störung desselben statt- gefunden hat. Der Träger der einen Gewalt verletzt die Rechte der anderen, kommt seiner Gebundenheit, seinen Pflichten dieser gegen- über nicht nach, überschreitet seine Schranken. Dann ist es nicht der Ungehorsam des Unterthanen, den die Staatsgewalt zu brechen hat, sondern ein Verfassungskonflikt liegt vor. Sofort werden denn auch wieder die Grenzen der Rechtsordnung fühlbar: spärliche An- sätze eines geordneten Rechtsschutzes, überall Machtfrage und Selbst- hülfe. Der verkümmerten Ministeranklage durch die Volksvertretung wegen Nichteinhaltung der Gesetze entspricht hier freilich die kräf- tigere Bundesexekution im Reich. Aber die ist juristisch wieder durchaus nicht gleichwertig mit dem Verfahren des Staates gegen eine widerspenstige Gemeindeverwaltung; es ist nichts als geordnete Selbst- hülfe, thatsächlich kaum verschieden von der Bundesexekution im völkerrechtlichen Staatenbund23.
Das Reich ist Staat; wäre der Gliedstaat sein Unterthan, so müßten wir nach dem aufgestellten und durchgeführten Begriff des Verwaltungsrechts (Bd. I S. 14) dieses Verhältnis hier behandeln. Damit alles sauber abgegrenzt bleibe, war es notwendig, auch in diesem Punkte Klarheit zu schaffen.
22 Man legt z. B. Gewicht auf die sog. Kompetenz-Kompetenz, vermöge deren die Reichsgesetzgebung sich weiter Gebiete der Verwaltung bemächtigt, um sie in Vorrang vor der Gliedstaatsgewalt zu ordnen. Diese nämliche Kompetenz-Kompe- tenz hat im einfachen Staate das Gesetz, und doch wird deshalb die vollziehende Gewalt nicht zum Unterthan. Der Schutz der schwächeren Gewalt liegt hier wie dort in der bevorzugten Teilnahme ihres Trägers an der Trägerschaft der stärkeren.
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(Bd. I S. 84 ff.). Vielmehr stehen sich hier Mitträger der einen, aber
verteilten Staatsgewalt gegenüber in verfassungsrechtlich bestimmtem
Verhältnis.
Für ihr geordnetes Zusammenwirken muß freilich das Verhältnis
so bestimmt werden, daß die eine Gewalt die rechtlich stärkere ist,
mit ihren Willensäußerungen der anderen vorgeht, sie bindet. Aber
deshalb darf man nicht sagen: hier wird befohlen, befohlen wird
nur dem Unterthanen, also ist hier ein Unterthan. Das heißt nur
wieder Mißbrauch treiben mit einem absichtlich verschwommen ge-
haltenen Befehlsbegriff. Es handelt sich um ausgeprägte Rechts-
institute des Verfassungsrechts, die in ihrer ganz besonderen Eigenart
erkannt werden müssen 22.
Die Eigenart des Verfassungsrechts tritt an diesem Verhältnisse
besonders deutlich hervor, im Falle eine Störung desselben statt-
gefunden hat. Der Träger der einen Gewalt verletzt die Rechte der
anderen, kommt seiner Gebundenheit, seinen Pflichten dieser gegen-
über nicht nach, überschreitet seine Schranken. Dann ist es nicht der
Ungehorsam des Unterthanen, den die Staatsgewalt zu brechen hat,
sondern ein Verfassungskonflikt liegt vor. Sofort werden denn
auch wieder die Grenzen der Rechtsordnung fühlbar: spärliche An-
sätze eines geordneten Rechtsschutzes, überall Machtfrage und Selbst-
hülfe. Der verkümmerten Ministeranklage durch die Volksvertretung
wegen Nichteinhaltung der Gesetze entspricht hier freilich die kräf-
tigere Bundesexekution im Reich. Aber die ist juristisch wieder
durchaus nicht gleichwertig mit dem Verfahren des Staates gegen eine
widerspenstige Gemeindeverwaltung; es ist nichts als geordnete Selbst-
hülfe, thatsächlich kaum verschieden von der Bundesexekution im
völkerrechtlichen Staatenbund 23.
Das Reich ist Staat; wäre der Gliedstaat sein Unterthan, so
müßten wir nach dem aufgestellten und durchgeführten Begriff des
Verwaltungsrechts (Bd. I S. 14) dieses Verhältnis hier behandeln.
Damit alles sauber abgegrenzt bleibe, war es notwendig, auch in diesem
Punkte Klarheit zu schaffen.
22 Man legt z. B. Gewicht auf die sog. Kompetenz-Kompetenz, vermöge deren
die Reichsgesetzgebung sich weiter Gebiete der Verwaltung bemächtigt, um sie in
Vorrang vor der Gliedstaatsgewalt zu ordnen. Diese nämliche Kompetenz-Kompe-
tenz hat im einfachen Staate das Gesetz, und doch wird deshalb die vollziehende
Gewalt nicht zum Unterthan. Der Schutz der schwächeren Gewalt liegt hier wie
dort in der bevorzugten Teilnahme ihres Trägers an der Trägerschaft der stärkeren.
23 Jellinek, Staatenverbindungen S. 310.
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/478>, abgerufen am 03.07.2024.
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