Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.§ 59. Die Aufsichtsgewalt. ordnungen ausschließlich erteilt sein oder allgemein für alle Fälle,wo ein solcher Aufsichtsakt vorliegt11. Die Handhabung der Ordnungsstrafgewalt hat wieder eine doppelte II. Diese allgemeinen Formen erhalten ihren Inhalt und Gegen- 1. Der Selbstverwaltungskörper unterliegt einer fortwährenden Es wird sich dabei in erster Linie handeln um ein bloßes 11 In der ersteren Weise ist die Ordnungsstrafgewalt begründet gegen die Inhaber von Innungsämtern nach Gew.O. § 104 Abs. 3, gegen die Kassenvorstände nach Kr.Vers.Ges. § 45 Abs. 1. Allgemeiner Natur ist die Ermächtigung in Preuß. L.V.G. § 132, der zweifellos auch für Anordnungen der Aufsichtsgewalt in Kommunalangelegenheiten gilt. A. M. v. Stengel, Organis.Ges. S. 464. Zu diesem letzteren Fall ist zu bemerken: Damit, daß den Behörden eine solche Strafgewalt allgemein verliehen ist, um ihre Anordnungen durchzusetzen, ist noch gar nicht gesagt, ob und welche Anordnungen von ihnen erlassen werden können. Dafür bedürfen wir eigentlich einer selbständigen Grundlage. Die preußische Praxis läßt aber auf Grund des § 132 die aufsichtsrechtliche Zwangsstrafe gegen die Stadtverordneten oder wenigstens ihren Vorsteher zu für alles, was die Auf- sichtsbehörde anordnet, ohne zu untersuchen, inwiefern sie berechtigt ist, maß- gebende Anordnungen für diese Personen zu erlassen; Oertel, Städteord. S. 112 Note 1; Leidig, Preuß. Stadt-R. S. 100 Note 3. Daß die "Erfüllung der Dienst- pflicht" in Frage sei (obwohl die Stadtverordneten gar keine haben!), oder daß wenigstens dem Vorsteher eine "Verantwortlichkeit für die gesetzliche Handhabung der Geschäfte" obliege, ist doch nur eine ganz unzureichende Redewendung. Es scheint hier in der That unbewußt auf die bedenkliche Rechtsgrundlage des A.L.R. II, 6 § 191 zurückgegriffen zu werden (oben Note 3). 12 Was als solcher Zweck der Aufsichtsgewalt erscheint, entnehmen wir aus den geltenden Rechtssätzen und gebräuchlichen Statuten. Roesler, V.R. I S. 300, scheint hier Regeln a priori aufstellen zu wollen für das, was der Staat "nicht darf" und "berechtigt ist". Solche giebt es nicht. Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 27
§ 59. Die Aufsichtsgewalt. ordnungen ausschließlich erteilt sein oder allgemein für alle Fälle,wo ein solcher Aufsichtsakt vorliegt11. Die Handhabung der Ordnungsstrafgewalt hat wieder eine doppelte II. Diese allgemeinen Formen erhalten ihren Inhalt und Gegen- 1. Der Selbstverwaltungskörper unterliegt einer fortwährenden Es wird sich dabei in erster Linie handeln um ein bloßes 11 In der ersteren Weise ist die Ordnungsstrafgewalt begründet gegen die Inhaber von Innungsämtern nach Gew.O. § 104 Abs. 3, gegen die Kassenvorstände nach Kr.Vers.Ges. § 45 Abs. 1. Allgemeiner Natur ist die Ermächtigung in Preuß. L.V.G. § 132, der zweifellos auch für Anordnungen der Aufsichtsgewalt in Kommunalangelegenheiten gilt. A. M. v. Stengel, Organis.Ges. S. 464. Zu diesem letzteren Fall ist zu bemerken: Damit, daß den Behörden eine solche Strafgewalt allgemein verliehen ist, um ihre Anordnungen durchzusetzen, ist noch gar nicht gesagt, ob und welche Anordnungen von ihnen erlassen werden können. Dafür bedürfen wir eigentlich einer selbständigen Grundlage. Die preußische Praxis läßt aber auf Grund des § 132 die aufsichtsrechtliche Zwangsstrafe gegen die Stadtverordneten oder wenigstens ihren Vorsteher zu für alles, was die Auf- sichtsbehörde anordnet, ohne zu untersuchen, inwiefern sie berechtigt ist, maß- gebende Anordnungen für diese Personen zu erlassen; Oertel, Städteord. S. 112 Note 1; Leidig, Preuß. Stadt-R. S. 100 Note 3. Daß die „Erfüllung der Dienst- pflicht“ in Frage sei (obwohl die Stadtverordneten gar keine haben!), oder daß wenigstens dem Vorsteher eine „Verantwortlichkeit für die gesetzliche Handhabung der Geschäfte“ obliege, ist doch nur eine ganz unzureichende Redewendung. Es scheint hier in der That unbewußt auf die bedenkliche Rechtsgrundlage des A.L.R. II, 6 § 191 zurückgegriffen zu werden (oben Note 3). 12 Was als solcher Zweck der Aufsichtsgewalt erscheint, entnehmen wir aus den geltenden Rechtssätzen und gebräuchlichen Statuten. Roesler, V.R. I S. 300, scheint hier Regeln a priori aufstellen zu wollen für das, was der Staat „nicht darf“ und „berechtigt ist“. Solche giebt es nicht. Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 27
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0429" n="417"/><fw place="top" type="header">§ 59. Die Aufsichtsgewalt.</fw><lb/> ordnungen ausschließlich erteilt sein oder allgemein für alle Fälle,<lb/> wo ein solcher Aufsichtsakt vorliegt<note place="foot" n="11">In der ersteren Weise ist die Ordnungsstrafgewalt begründet gegen die<lb/> Inhaber von Innungsämtern nach Gew.O. § 104 Abs. 3, gegen die Kassenvorstände<lb/> nach Kr.Vers.Ges. § 45 Abs. 1. Allgemeiner Natur ist die Ermächtigung in<lb/> Preuß. L.V.G. § 132, der zweifellos auch für Anordnungen der Aufsichtsgewalt<lb/> in Kommunalangelegenheiten gilt. A. M. v. <hi rendition="#g">Stengel,</hi> Organis.Ges. S. 464. Zu<lb/> diesem letzteren Fall ist zu bemerken: Damit, daß den Behörden eine solche<lb/> Strafgewalt allgemein verliehen ist, um ihre Anordnungen durchzusetzen, ist noch<lb/> gar nicht gesagt, ob und welche Anordnungen von ihnen erlassen werden können.<lb/> Dafür bedürfen wir eigentlich einer selbständigen Grundlage. Die preußische<lb/> Praxis läßt aber auf Grund des § 132 die aufsichtsrechtliche Zwangsstrafe gegen<lb/> die Stadtverordneten oder wenigstens ihren Vorsteher zu für alles, was die Auf-<lb/> sichtsbehörde anordnet, ohne zu untersuchen, inwiefern sie berechtigt ist, maß-<lb/> gebende Anordnungen für diese Personen zu erlassen; <hi rendition="#g">Oertel,</hi> Städteord. S. 112<lb/> Note 1; <hi rendition="#g">Leidig,</hi> Preuß. Stadt-R. S. 100 Note 3. Daß die „Erfüllung der Dienst-<lb/> pflicht“ in Frage sei (obwohl die Stadtverordneten gar keine haben!), oder daß<lb/> wenigstens dem Vorsteher eine „Verantwortlichkeit für die gesetzliche Handhabung<lb/> der Geschäfte“ obliege, ist doch nur eine ganz unzureichende Redewendung. Es<lb/> scheint hier in der That unbewußt auf die bedenkliche Rechtsgrundlage des<lb/> A.L.R. II, 6 § 191 zurückgegriffen zu werden (oben Note 3).</note>.</p><lb/> <p>Die Handhabung der Ordnungsstrafgewalt hat wieder eine doppelte<lb/> Seite: sie ist Zwang gegenüber dem Betroffenen, zugleich aber, da<lb/> dessen Thätigkeit, die in Frage ist, dem Selbstverwaltungskörper an-<lb/> gehört, ein Eingriff in die freie Bewegung des letzteren; Überschreitung<lb/> der gesetzlichen Ermächtigung ist zugleich eine Rechtsverletzung gegen-<lb/> über diesem.</p><lb/> <p>II. Diese allgemeinen Formen erhalten ihren Inhalt und Gegen-<lb/> stand nach den verschiedenen Zwecken der Aufsichtsgewalt und danach<lb/> entfaltet sich diese in drei Hauptstücken<note place="foot" n="12">Was als solcher Zweck der Aufsichtsgewalt erscheint, entnehmen wir aus<lb/> den geltenden Rechtssätzen und gebräuchlichen Statuten. <hi rendition="#g">Roesler,</hi> V.R. I S. 300,<lb/> scheint hier Regeln a priori aufstellen zu wollen für das, was der Staat „nicht<lb/> darf“ und „berechtigt ist“. Solche giebt es nicht.</note>.</p><lb/> <p>1. Der Selbstverwaltungskörper unterliegt einer fortwährenden<lb/> Beobachtung von seiten der Aufsichtsbehörde, indem diese Kenntnis<lb/> nimmt von seinen Zuständen und Thätigkeiten. Das ist zunächst eine<lb/> rein geistige Thätigkeit. Ein <hi rendition="#g">Recht der Kenntnisnahme</hi> als<lb/> Stück der Aufsichtsgewalt entsteht erst dann, wenn gewisse Pflichten<lb/> auf seiten des Selbstverwaltungskörpers sich damit verbinden, welche<lb/> diese Kenntnisnahme ermöglichen und erleichtern sollen.</p><lb/> <p>Es wird sich dabei in erster Linie handeln um ein bloßes<lb/><hi rendition="#g">Dulden,</hi> welches dem Selbstverwaltungskörper obliegt: er gehört<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Binding,</hi> Handbuch. VI. 2: <hi rendition="#g">Otto Mayer,</hi> Verwaltungsr. II. 27</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [417/0429]
§ 59. Die Aufsichtsgewalt.
ordnungen ausschließlich erteilt sein oder allgemein für alle Fälle,
wo ein solcher Aufsichtsakt vorliegt 11.
Die Handhabung der Ordnungsstrafgewalt hat wieder eine doppelte
Seite: sie ist Zwang gegenüber dem Betroffenen, zugleich aber, da
dessen Thätigkeit, die in Frage ist, dem Selbstverwaltungskörper an-
gehört, ein Eingriff in die freie Bewegung des letzteren; Überschreitung
der gesetzlichen Ermächtigung ist zugleich eine Rechtsverletzung gegen-
über diesem.
II. Diese allgemeinen Formen erhalten ihren Inhalt und Gegen-
stand nach den verschiedenen Zwecken der Aufsichtsgewalt und danach
entfaltet sich diese in drei Hauptstücken 12.
1. Der Selbstverwaltungskörper unterliegt einer fortwährenden
Beobachtung von seiten der Aufsichtsbehörde, indem diese Kenntnis
nimmt von seinen Zuständen und Thätigkeiten. Das ist zunächst eine
rein geistige Thätigkeit. Ein Recht der Kenntnisnahme als
Stück der Aufsichtsgewalt entsteht erst dann, wenn gewisse Pflichten
auf seiten des Selbstverwaltungskörpers sich damit verbinden, welche
diese Kenntnisnahme ermöglichen und erleichtern sollen.
Es wird sich dabei in erster Linie handeln um ein bloßes
Dulden, welches dem Selbstverwaltungskörper obliegt: er gehört
11 In der ersteren Weise ist die Ordnungsstrafgewalt begründet gegen die
Inhaber von Innungsämtern nach Gew.O. § 104 Abs. 3, gegen die Kassenvorstände
nach Kr.Vers.Ges. § 45 Abs. 1. Allgemeiner Natur ist die Ermächtigung in
Preuß. L.V.G. § 132, der zweifellos auch für Anordnungen der Aufsichtsgewalt
in Kommunalangelegenheiten gilt. A. M. v. Stengel, Organis.Ges. S. 464. Zu
diesem letzteren Fall ist zu bemerken: Damit, daß den Behörden eine solche
Strafgewalt allgemein verliehen ist, um ihre Anordnungen durchzusetzen, ist noch
gar nicht gesagt, ob und welche Anordnungen von ihnen erlassen werden können.
Dafür bedürfen wir eigentlich einer selbständigen Grundlage. Die preußische
Praxis läßt aber auf Grund des § 132 die aufsichtsrechtliche Zwangsstrafe gegen
die Stadtverordneten oder wenigstens ihren Vorsteher zu für alles, was die Auf-
sichtsbehörde anordnet, ohne zu untersuchen, inwiefern sie berechtigt ist, maß-
gebende Anordnungen für diese Personen zu erlassen; Oertel, Städteord. S. 112
Note 1; Leidig, Preuß. Stadt-R. S. 100 Note 3. Daß die „Erfüllung der Dienst-
pflicht“ in Frage sei (obwohl die Stadtverordneten gar keine haben!), oder daß
wenigstens dem Vorsteher eine „Verantwortlichkeit für die gesetzliche Handhabung
der Geschäfte“ obliege, ist doch nur eine ganz unzureichende Redewendung. Es
scheint hier in der That unbewußt auf die bedenkliche Rechtsgrundlage des
A.L.R. II, 6 § 191 zurückgegriffen zu werden (oben Note 3).
12 Was als solcher Zweck der Aufsichtsgewalt erscheint, entnehmen wir aus
den geltenden Rechtssätzen und gebräuchlichen Statuten. Roesler, V.R. I S. 300,
scheint hier Regeln a priori aufstellen zu wollen für das, was der Staat „nicht
darf“ und „berechtigt ist“. Solche giebt es nicht.
Binding, Handbuch. VI. 2: Otto Mayer, Verwaltungsr. II. 27
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |