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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 51. Öffentlichrechtliche Anstaltsnutzung.
oben, Bd. I S. 231 ff., zur Darstellung gebracht. Die Voraussetzung
dafür, daß nämlich die dem Staate geschuldete Dienstpflicht zu
Gunsten eines anderen Unterthanen zu erfüllen ist, ist gerade auf dem
Gebiete der öffentlichen Anstalten in der umfassendsten Weise ge-
geben. Damit vervollständigt sich das Bild des Gegensatzes zwischen
öffentlichrechtlicher Anstaltsnutzung und den civilrechtlichen Vertrags-
verhältnissen, die ihr äußerlich ähnlich sehen. Gebe ich einen Brief
zur Privatpost, so schließe ich einen Beförderungsvertrag mit dem
Unternehmer des Instituts; wenn dessen Angestellter, der den Brief
besorgen soll, dies unterläßt, so haftet mir niemand als der Unter-
nehmer; er kann mich nicht an den Diener verweisen, und ich habe
kein Recht, mich an den Diener zu halten, der mir gegenüber keine
Pflicht übernommen und folglich auch keine verletzt hat. Wenn ich
dagegen eine Drahtnachricht aufgegeben habe und der Telegraphen-
beamte läßt sie nachher leichtfertigerweise liegen, so haftet mir nicht
der Unternehmer, dessen Anstalt ich benütze, nicht der Staat; dafür
haftet mir der Beamte13. Wenn man genauer zusieht, so ist wohl
auch diese Haftung ein Ausfluß des Grundgedankens, der die Thätig-
keit der öffentlichen Anstalt beherrscht: daß sie ihre ganze Ordnung
von innen heraus, dienstpflichtmäßig erhält, dies aber dem Einzelnen
zu gute kommt; das wirkt an diesem Punkte rechtlich.

3. Die öffentliche Anstalt geht ihren eignen Gang als große
Maschine. Die Benutzenden, die mit ihren Interessen, mit ihrer
Person, ihren Sachen hineingegeben sind, sind nur Objekte für sie
ohne bestimmende Einwirkung. Erst außerhalb dieses Kreises finden
sie wieder Rechte, um Ansprüche zu erheben aus den gelegent-
lich der Anstaltsnutzung entstandenen Thatsachen
. Es
sind selbständige Regeln civilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher
Natur, die dafür wirksam werden. Die Anstaltsordnung dient dazu,
sie zu beschränken durch die Anstaltsgewalt (unten § 52, I), oder vor-
zuschreiben, wie ihnen genügt werden soll. Besondere Rechtssätze
geben ihnen in einem oder anderem Punkte genauere Bestimmung.
Es sind Ansprüche auf Herausgabe und Ansprüche auf Entschädigung.

13 Vgl. Bd. I § 17 Note 15. Das obige Beispiel von der verschleppten De-
pesche bringt Ludewig, Die Telegraphie S. 95. Laband, St.R. II S. 59 Note 1
(3. Aufl. S. 55 Note 3) und S. 84 (3. Aufl. S. 78), will nur im Falle der ungerecht-
fertigten Nichtzulassung von Postreisenden und Postsendungen den Beamten per-
sönlich schadensersatzpflichtig machen. Wegen späterer Nichtdurchführung der
Beförderung hätte man sich an die Anstalt selbst zu halten, der Beamte haftet
nicht mehr. Warum soll aber das ganze Verhältnis in dieser Weise umschlagen?
-- Ausführlich Meili, Haftpflicht der Postanstalten S. 141 ff.

§ 51. Öffentlichrechtliche Anstaltsnutzung.
oben, Bd. I S. 231 ff., zur Darstellung gebracht. Die Voraussetzung
dafür, daß nämlich die dem Staate geschuldete Dienstpflicht zu
Gunsten eines anderen Unterthanen zu erfüllen ist, ist gerade auf dem
Gebiete der öffentlichen Anstalten in der umfassendsten Weise ge-
geben. Damit vervollständigt sich das Bild des Gegensatzes zwischen
öffentlichrechtlicher Anstaltsnutzung und den civilrechtlichen Vertrags-
verhältnissen, die ihr äußerlich ähnlich sehen. Gebe ich einen Brief
zur Privatpost, so schließe ich einen Beförderungsvertrag mit dem
Unternehmer des Instituts; wenn dessen Angestellter, der den Brief
besorgen soll, dies unterläßt, so haftet mir niemand als der Unter-
nehmer; er kann mich nicht an den Diener verweisen, und ich habe
kein Recht, mich an den Diener zu halten, der mir gegenüber keine
Pflicht übernommen und folglich auch keine verletzt hat. Wenn ich
dagegen eine Drahtnachricht aufgegeben habe und der Telegraphen-
beamte läßt sie nachher leichtfertigerweise liegen, so haftet mir nicht
der Unternehmer, dessen Anstalt ich benütze, nicht der Staat; dafür
haftet mir der Beamte13. Wenn man genauer zusieht, so ist wohl
auch diese Haftung ein Ausfluß des Grundgedankens, der die Thätig-
keit der öffentlichen Anstalt beherrscht: daß sie ihre ganze Ordnung
von innen heraus, dienstpflichtmäßig erhält, dies aber dem Einzelnen
zu gute kommt; das wirkt an diesem Punkte rechtlich.

3. Die öffentliche Anstalt geht ihren eignen Gang als große
Maschine. Die Benutzenden, die mit ihren Interessen, mit ihrer
Person, ihren Sachen hineingegeben sind, sind nur Objekte für sie
ohne bestimmende Einwirkung. Erst außerhalb dieses Kreises finden
sie wieder Rechte, um Ansprüche zu erheben aus den gelegent-
lich der Anstaltsnutzung entstandenen Thatsachen
. Es
sind selbständige Regeln civilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher
Natur, die dafür wirksam werden. Die Anstaltsordnung dient dazu,
sie zu beschränken durch die Anstaltsgewalt (unten § 52, I), oder vor-
zuschreiben, wie ihnen genügt werden soll. Besondere Rechtssätze
geben ihnen in einem oder anderem Punkte genauere Bestimmung.
Es sind Ansprüche auf Herausgabe und Ansprüche auf Entschädigung.

13 Vgl. Bd. I § 17 Note 15. Das obige Beispiel von der verschleppten De-
pesche bringt Ludewig, Die Telegraphie S. 95. Laband, St.R. II S. 59 Note 1
(3. Aufl. S. 55 Note 3) und S. 84 (3. Aufl. S. 78), will nur im Falle der ungerecht-
fertigten Nichtzulassung von Postreisenden und Postsendungen den Beamten per-
sönlich schadensersatzpflichtig machen. Wegen späterer Nichtdurchführung der
Beförderung hätte man sich an die Anstalt selbst zu halten, der Beamte haftet
nicht mehr. Warum soll aber das ganze Verhältnis in dieser Weise umschlagen?
— Ausführlich Meili, Haftpflicht der Postanstalten S. 141 ff.
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[329/0341] § 51. Öffentlichrechtliche Anstaltsnutzung. oben, Bd. I S. 231 ff., zur Darstellung gebracht. Die Voraussetzung dafür, daß nämlich die dem Staate geschuldete Dienstpflicht zu Gunsten eines anderen Unterthanen zu erfüllen ist, ist gerade auf dem Gebiete der öffentlichen Anstalten in der umfassendsten Weise ge- geben. Damit vervollständigt sich das Bild des Gegensatzes zwischen öffentlichrechtlicher Anstaltsnutzung und den civilrechtlichen Vertrags- verhältnissen, die ihr äußerlich ähnlich sehen. Gebe ich einen Brief zur Privatpost, so schließe ich einen Beförderungsvertrag mit dem Unternehmer des Instituts; wenn dessen Angestellter, der den Brief besorgen soll, dies unterläßt, so haftet mir niemand als der Unter- nehmer; er kann mich nicht an den Diener verweisen, und ich habe kein Recht, mich an den Diener zu halten, der mir gegenüber keine Pflicht übernommen und folglich auch keine verletzt hat. Wenn ich dagegen eine Drahtnachricht aufgegeben habe und der Telegraphen- beamte läßt sie nachher leichtfertigerweise liegen, so haftet mir nicht der Unternehmer, dessen Anstalt ich benütze, nicht der Staat; dafür haftet mir der Beamte 13. Wenn man genauer zusieht, so ist wohl auch diese Haftung ein Ausfluß des Grundgedankens, der die Thätig- keit der öffentlichen Anstalt beherrscht: daß sie ihre ganze Ordnung von innen heraus, dienstpflichtmäßig erhält, dies aber dem Einzelnen zu gute kommt; das wirkt an diesem Punkte rechtlich. 3. Die öffentliche Anstalt geht ihren eignen Gang als große Maschine. Die Benutzenden, die mit ihren Interessen, mit ihrer Person, ihren Sachen hineingegeben sind, sind nur Objekte für sie ohne bestimmende Einwirkung. Erst außerhalb dieses Kreises finden sie wieder Rechte, um Ansprüche zu erheben aus den gelegent- lich der Anstaltsnutzung entstandenen Thatsachen. Es sind selbständige Regeln civilrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Natur, die dafür wirksam werden. Die Anstaltsordnung dient dazu, sie zu beschränken durch die Anstaltsgewalt (unten § 52, I), oder vor- zuschreiben, wie ihnen genügt werden soll. Besondere Rechtssätze geben ihnen in einem oder anderem Punkte genauere Bestimmung. Es sind Ansprüche auf Herausgabe und Ansprüche auf Entschädigung. 13 Vgl. Bd. I § 17 Note 15. Das obige Beispiel von der verschleppten De- pesche bringt Ludewig, Die Telegraphie S. 95. Laband, St.R. II S. 59 Note 1 (3. Aufl. S. 55 Note 3) und S. 84 (3. Aufl. S. 78), will nur im Falle der ungerecht- fertigten Nichtzulassung von Postreisenden und Postsendungen den Beamten per- sönlich schadensersatzpflichtig machen. Wegen späterer Nichtdurchführung der Beförderung hätte man sich an die Anstalt selbst zu halten, der Beamte haftet nicht mehr. Warum soll aber das ganze Verhältnis in dieser Weise umschlagen? — Ausführlich Meili, Haftpflicht der Postanstalten S. 141 ff.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/341>, abgerufen am 04.05.2024.