maschine; sie soll möglichst viel Rechtssätze für die Verwaltung er- zeugen oder durch Verordnung erzeugen lassen; das ist zweifellos das erste Gebot des Rechtsstaates.
Aber zu einer guten Rechtsordnung, wie wir sie nun einmal ver- stehen, gehört mehr als das. Auch das so vollkommen geordnete Civilrecht hat mehr als seine Rechtssätze; es hat auch noch den obrigkeitlichen Akt, der für den Einzelfall ausspricht, was Rechtens sein und durchgeführt werden soll, das Urteil. Für die Verwaltung wird ein Gleiches gefordert werden müssen. In welcher Weise soll es hier dazu kommen? An diese Frage hat sich ein ungemein lebhafter Meinungsstreit gehängt, der berufen war, die Anschauungen zu klären und der Lösung diejenige Entschiedenheit zu geben, deren die Aus- bildung unseres öffentlichen Rechts bedurfte.
Seit Anfang des Jahrhunderts brach von Zeit zu Zeit in der ge- lehrten Welt eine Erörterung aus über die Zulässigkeit der Ver- waltungsrechtspflege. Es bildeten sich jedesmal zwei feindliche Heerlager: die Partei der bürgerlichen Gerichte nahm für diese die ausschliessliche Fähigkeit in Anspruch, die Rechtsordnung zu hüten und wirklichen Rechtsschutz zu gewähren; von der andern Seite wurde die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtspflege als notwendige Folge der Selbständigkeit der Verwaltung verteidigt. Der Streit spitzte sich auf die Frage zu: ist die Verwaltung fähig, wie die Justiz, "Recht und Gesetz zu realisieren" oder steht sie dem gegenüber "wie der einzelne Staatsbürger"?16
Die Antwort ist heute nicht mehr zweifelhaft. Sie ist auf der ganzen Linie im ersteren Sinne gegeben.
Durch unsere Verwaltungs-Organisations-Gesetzgebungen seit den 60 er Jahren geht jener einmütige Zug auf Herstellung einer selb- ständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: in der Verwaltung kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz.
Es handelt sich aber nicht um Urteile auf kontradiktorisches Verfahren allein. Wie in der Justiz giebt es auch in der Verwaltung ein Beschlussverfahren mit bindenden Anordnungen für den Einzelfall ausserhalb des eigentlichen Prozesses.
16 Eine Zusammenstellung der "Litteratur für und gegen die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtpflege" giebt Mohl, Encyklop. § 35 Note 5. Zum letzten- male ist der alte Streit aufgeflackert in Bähr, Rechtsstaat, wo der Verwaltung mit den obigen Ausdrücken die Gleichwertigkeit abgestritten wird (S. 52). Darüber Gneist, Rechtsstaat S. 263 ff. und vor allem v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 129 ff.
§ 5. Der Rechtsstaat.
maschine; sie soll möglichst viel Rechtssätze für die Verwaltung er- zeugen oder durch Verordnung erzeugen lassen; das ist zweifellos das erste Gebot des Rechtsstaates.
Aber zu einer guten Rechtsordnung, wie wir sie nun einmal ver- stehen, gehört mehr als das. Auch das so vollkommen geordnete Civilrecht hat mehr als seine Rechtssätze; es hat auch noch den obrigkeitlichen Akt, der für den Einzelfall ausspricht, was Rechtens sein und durchgeführt werden soll, das Urteil. Für die Verwaltung wird ein Gleiches gefordert werden müssen. In welcher Weise soll es hier dazu kommen? An diese Frage hat sich ein ungemein lebhafter Meinungsstreit gehängt, der berufen war, die Anschauungen zu klären und der Lösung diejenige Entschiedenheit zu geben, deren die Aus- bildung unseres öffentlichen Rechts bedurfte.
Seit Anfang des Jahrhunderts brach von Zeit zu Zeit in der ge- lehrten Welt eine Erörterung aus über die Zulässigkeit der Ver- waltungsrechtspflege. Es bildeten sich jedesmal zwei feindliche Heerlager: die Partei der bürgerlichen Gerichte nahm für diese die ausschlieſsliche Fähigkeit in Anspruch, die Rechtsordnung zu hüten und wirklichen Rechtsschutz zu gewähren; von der andern Seite wurde die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtspflege als notwendige Folge der Selbständigkeit der Verwaltung verteidigt. Der Streit spitzte sich auf die Frage zu: ist die Verwaltung fähig, wie die Justiz, „Recht und Gesetz zu realisieren“ oder steht sie dem gegenüber „wie der einzelne Staatsbürger“?16
Die Antwort ist heute nicht mehr zweifelhaft. Sie ist auf der ganzen Linie im ersteren Sinne gegeben.
Durch unsere Verwaltungs-Organisations-Gesetzgebungen seit den 60 er Jahren geht jener einmütige Zug auf Herstellung einer selb- ständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: in der Verwaltung kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz.
Es handelt sich aber nicht um Urteile auf kontradiktorisches Verfahren allein. Wie in der Justiz giebt es auch in der Verwaltung ein Beschluſsverfahren mit bindenden Anordnungen für den Einzelfall auſserhalb des eigentlichen Prozesses.
16 Eine Zusammenstellung der „Litteratur für und gegen die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtpflege“ giebt Mohl, Encyklop. § 35 Note 5. Zum letzten- male ist der alte Streit aufgeflackert in Bähr, Rechtsstaat, wo der Verwaltung mit den obigen Ausdrücken die Gleichwertigkeit abgestritten wird (S. 52). Darüber Gneist, Rechtsstaat S. 263 ff. und vor allem v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 129 ff.
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[63/0083]
§ 5. Der Rechtsstaat.
maschine; sie soll möglichst viel Rechtssätze für die Verwaltung er-
zeugen oder durch Verordnung erzeugen lassen; das ist zweifellos
das erste Gebot des Rechtsstaates.
Aber zu einer guten Rechtsordnung, wie wir sie nun einmal ver-
stehen, gehört mehr als das. Auch das so vollkommen geordnete
Civilrecht hat mehr als seine Rechtssätze; es hat auch noch den
obrigkeitlichen Akt, der für den Einzelfall ausspricht, was Rechtens
sein und durchgeführt werden soll, das Urteil. Für die Verwaltung
wird ein Gleiches gefordert werden müssen. In welcher Weise soll es
hier dazu kommen? An diese Frage hat sich ein ungemein lebhafter
Meinungsstreit gehängt, der berufen war, die Anschauungen zu klären
und der Lösung diejenige Entschiedenheit zu geben, deren die Aus-
bildung unseres öffentlichen Rechts bedurfte.
Seit Anfang des Jahrhunderts brach von Zeit zu Zeit in der ge-
lehrten Welt eine Erörterung aus über die Zulässigkeit der Ver-
waltungsrechtspflege. Es bildeten sich jedesmal zwei feindliche
Heerlager: die Partei der bürgerlichen Gerichte nahm für diese die
ausschlieſsliche Fähigkeit in Anspruch, die Rechtsordnung zu hüten
und wirklichen Rechtsschutz zu gewähren; von der andern Seite wurde
die Zulässigkeit einer Verwaltungsrechtspflege als notwendige Folge
der Selbständigkeit der Verwaltung verteidigt. Der Streit spitzte sich
auf die Frage zu: ist die Verwaltung fähig, wie die Justiz, „Recht
und Gesetz zu realisieren“ oder steht sie dem gegenüber „wie der
einzelne Staatsbürger“? 16
Die Antwort ist heute nicht mehr zweifelhaft. Sie ist auf der
ganzen Linie im ersteren Sinne gegeben.
Durch unsere Verwaltungs-Organisations-Gesetzgebungen seit den
60 er Jahren geht jener einmütige Zug auf Herstellung einer selb-
ständigen Verwaltungsgerichtsbarkeit: in der Verwaltung
kann Recht gesprochen werden in derselben Weise wie in der Justiz.
Es handelt sich aber nicht um Urteile auf kontradiktorisches
Verfahren allein. Wie in der Justiz giebt es auch in der Verwaltung
ein Beschluſsverfahren mit bindenden Anordnungen für den
Einzelfall auſserhalb des eigentlichen Prozesses.
16 Eine Zusammenstellung der „Litteratur für und gegen die Zulässigkeit
einer Verwaltungsrechtpflege“ giebt Mohl, Encyklop. § 35 Note 5. Zum letzten-
male ist der alte Streit aufgeflackert in Bähr, Rechtsstaat, wo der Verwaltung
mit den obigen Ausdrücken die Gleichwertigkeit abgestritten wird (S. 52). Darüber
Gneist, Rechtsstaat S. 263 ff. und vor allem v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl.
S. 129 ff.
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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/83>, abgerufen am 22.07.2024.
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