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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Geschichtliche Entwicklungsstufen.
staates; man verlangt dazu einen "inneren Ausbau der Verfassung".
Mit der Errichtung der Verfassung ist das, was den Rechtsstaat aus-
macht, noch nicht gegeben; es liegt weiter vorwärts davon. Das ge-
wählte Wort deutet an, was da von ihm verlangt wird: wo er bei
seiner Thätigkeit auf andere Rechtssubjekte, auf seine Unterthanen
stösst, da soll eine rechtliche Ordnung für ihn bestehen; er soll, wie
die anerkannt beste Formulierung lautet, die für diesen Gedanken
gefunden worden ist, "die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit
wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts
genau bestimmen und abgrenzen"14. Diese Forderung bezieht sich
nur auf die Verwaltung. Für die Justiz ist es keine Forderung
mehr; bei dieser bestimmt jeder Staat, auch der Polizeistaat schon,
fest und unverwandt die Bahnen seiner Wirksamkeit in der Weise
des Rechts: er schafft Rechtssätze für seine Justiz und handhabt
sie und schützt die Rechte der Einzelnen, wo sie ihm gegenüber-
treten. Ebenso soll also nun das Recht auch in der Verwaltung zur
Geltung kommen, das ist die allgemeine Forderung; dass der eine
dabei mehr das subjektive, der andere mehr das objektive Recht be-
tont, bedeutet keine wesentliche Meinungsverschiedenheit15.

Das wäre es also, was man sich von dem Rechtsstaate erwartet.
Es ist aber klar, dass damit die Frage noch durchaus nicht er-
ledigt ist. In diesen Dingen genügt es nicht, zu wissen, welche
Wünsche und Ziele da vorschweben; die Hauptsache ist, wie man
sich die Verwirklichung denkt. Erst damit bekommt die Sache
ihre juristische Gestalt, und so lange dafür eine bestimmte Lösung
nicht gegeben ist, schwebt die ganze Idee des Rechtsstaates nach
wie vor wesenlos in der Luft.

Nun können wir in einem Punkte allerdings aus den aufgestellten
Forderungen sofort eine praktisch bedeutsame Folgerung ziehen: die
Verwaltung des Rechtsstaates, um in der Weise des Rechts bestimmt
zu sein, muss möglichst durch Rechtssätze gebunden
werden
. Dazu liefert das Verfassungsrecht seine Gesetzgebungs-

14 So Stahl, Rechts- und Staatslehre II S. 137; auch von seinen Gegnern
anerkannt: Bähr, Rechtsstaat S. 1; Gneist, Rechtsstaat S. 16; Gumplowicz,
Rechtsstaat und Socialismus S. 13. -- Gierke in Ztschft. f. Stsw. Bd. 30 S. 13:
"Rechtsstaat ist ein Staat, welcher sich nicht über, sondern in das Recht stellt".
15 Schulze, Preuss. St.R. I S. 358; Leuthold, Sächs. V.R. S. 9; Seydel,
Bayr. St.R. III S. 615; Laband, St.R. I S. 684; Gareis, Allg. St.R. S. 140;
v. Kirchenheim, Einf. S. 18: Jellinek, Ges. und Verord. S. 216, 242;
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17. Etwas unklar: Maurus, Mod. Verf.St. als Rechts-
staat S. 109.

Geschichtliche Entwicklungsstufen.
staates; man verlangt dazu einen „inneren Ausbau der Verfassung“.
Mit der Errichtung der Verfassung ist das, was den Rechtsstaat aus-
macht, noch nicht gegeben; es liegt weiter vorwärts davon. Das ge-
wählte Wort deutet an, was da von ihm verlangt wird: wo er bei
seiner Thätigkeit auf andere Rechtssubjekte, auf seine Unterthanen
stöſst, da soll eine rechtliche Ordnung für ihn bestehen; er soll, wie
die anerkannt beste Formulierung lautet, die für diesen Gedanken
gefunden worden ist, „die Bahnen und Grenzen seiner Wirksamkeit
wie die freie Sphäre seiner Bürger in der Weise des Rechts
genau bestimmen und abgrenzen“14. Diese Forderung bezieht sich
nur auf die Verwaltung. Für die Justiz ist es keine Forderung
mehr; bei dieser bestimmt jeder Staat, auch der Polizeistaat schon,
fest und unverwandt die Bahnen seiner Wirksamkeit in der Weise
des Rechts: er schafft Rechtssätze für seine Justiz und handhabt
sie und schützt die Rechte der Einzelnen, wo sie ihm gegenüber-
treten. Ebenso soll also nun das Recht auch in der Verwaltung zur
Geltung kommen, das ist die allgemeine Forderung; daſs der eine
dabei mehr das subjektive, der andere mehr das objektive Recht be-
tont, bedeutet keine wesentliche Meinungsverschiedenheit15.

Das wäre es also, was man sich von dem Rechtsstaate erwartet.
Es ist aber klar, daſs damit die Frage noch durchaus nicht er-
ledigt ist. In diesen Dingen genügt es nicht, zu wissen, welche
Wünsche und Ziele da vorschweben; die Hauptsache ist, wie man
sich die Verwirklichung denkt. Erst damit bekommt die Sache
ihre juristische Gestalt, und so lange dafür eine bestimmte Lösung
nicht gegeben ist, schwebt die ganze Idee des Rechtsstaates nach
wie vor wesenlos in der Luft.

Nun können wir in einem Punkte allerdings aus den aufgestellten
Forderungen sofort eine praktisch bedeutsame Folgerung ziehen: die
Verwaltung des Rechtsstaates, um in der Weise des Rechts bestimmt
zu sein, muſs möglichst durch Rechtssätze gebunden
werden
. Dazu liefert das Verfassungsrecht seine Gesetzgebungs-

14 So Stahl, Rechts- und Staatslehre II S. 137; auch von seinen Gegnern
anerkannt: Bähr, Rechtsstaat S. 1; Gneist, Rechtsstaat S. 16; Gumplowicz,
Rechtsstaat und Socialismus S. 13. — Gierke in Ztschft. f. Stsw. Bd. 30 S. 13:
„Rechtsstaat ist ein Staat, welcher sich nicht über, sondern in das Recht stellt“.
15 Schulze, Preuſs. St.R. I S. 358; Leuthold, Sächs. V.R. S. 9; Seydel,
Bayr. St.R. III S. 615; Laband, St.R. I S. 684; Gareis, Allg. St.R. S. 140;
v. Kirchenheim, Einf. S. 18: Jellinek, Ges. und Verord. S. 216, 242;
v. Sarwey, Allg. V.R. S. 17. Etwas unklar: Maurus, Mod. Verf.St. als Rechts-
staat S. 109.
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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/82>, abgerufen am 07.05.2024.