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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
der Fall, wenn von seiner Seite alles geschehen ist, was zur Erfüllung
der Pflicht von da aus geschehen konnte, und die Erfüllung gleich-
wohl misslang. Den Massstab giebt derjenige Aufwand von Kraft und
Geschicklichkeit, welcher einem guten polizeimässigen Bürger zugemutet
werden darf.

Ob das geleistet ist oder nicht, muss sich aus dem ganzen Zu-
sammenhang des Vorganges ergeben. Man ist zu rasch geritten; aber
das Pferd war durch Steinwürfe gereizt und auch von einem guten
Reiter nicht davon abzuhalten, dass es eine Strecke weit durchging.
Die vorgeschriebene Warnungslaterne an der Baustätte brannte nicht;
aber sie war vom Sturm gelöscht und alsbald wieder angezündet
worden, die polizeiwidrige Unbeleuchtetheit bestand nur während einer
kurzen unvermeidlichen Pause. Der Wagen fuhr ohne Hemmung zu
Thal; aber die Sperrkette war gleich bei Beginn der Strassensenkung
gebrochen, ohne dass ein ordentlicher Wagenführer die Schadhaftigkeit
ihr vorher ansehen konnte. In all diesen Fällen ist der äussere That-
bestand des Deliktes gegeben; die weiteren Feststellungen haben ihre
Bedeutung nur für den inneren Thatbestand, für die auch hier in
Betracht kommende Frage des Verschuldens.

Immer kommt es darauf an, durch die näheren Umstände dar-
zuthun, dass die erfolgreiche Erfüllung der Pflicht vereitelt worden
ist ohne Schuld des Pflichtigen. Dessen Sache ist es, sie zu behaupten
und zu beweisen; er führt damit den Entlastungsbeweis gegen-
über der Belastung, welche die thatsächliche Polizeiwidrigkeit für ihn
schafft. Das beruht nicht auf einer Präsumtion der Schuld, welche
das Gesetz an jene Thatsache knüpfte, sondern ergiebt sich von selbst
als die natürliche Gestaltung der Sache aus dem Zusammentreffen der
tiefgreifenden und umfassenden Pflicht mit dem ihr widersprechenden
Erfolge13.

2. Die Schuld setzt auch voraus, dass in dem strafbaren Ver-
halten eine gewisse Fehlerhaftigkeit des Willens zum Ausdruck
komme. Diese Fehlerhaftigkeit ist aber für die Polizeistrafe in ge-

13 Ähnlich steht es auch bei dem Fahrlässigkeitsdelikt des gemeinen Straf-
rechts; der Entlastungsbeweis ist beim Polizeidelikt nur deshalb schwerer zu führen,
weil die Anforderungen an den zu leistenden Kraftaufwand strenger sind, ins-
besondere auch ein sich Vorbereiten und Geeignetmachen verlangt wird. Das ist
beim Fahrlässigkeitsdelikt nur ausnahmsweise der Fall, z. B. bei der Tötung unter
Verletzung besonderer Berufspflicht des Arztes: Merkel, Stf.R. S. 309 zu § 222
Stf.G.B. Das Polizeistrafrecht setzt eine besondere Berufspflicht aller Bürger vor-
aus, dass sie in allem, was sie unternehmen, Störungen der guten Ordnung zu ver-
meiden sich stark und geeignet zeigen.

Die Polizeigewalt.
der Fall, wenn von seiner Seite alles geschehen ist, was zur Erfüllung
der Pflicht von da aus geschehen konnte, und die Erfüllung gleich-
wohl miſslang. Den Maſsstab giebt derjenige Aufwand von Kraft und
Geschicklichkeit, welcher einem guten polizeimäſsigen Bürger zugemutet
werden darf.

Ob das geleistet ist oder nicht, muſs sich aus dem ganzen Zu-
sammenhang des Vorganges ergeben. Man ist zu rasch geritten; aber
das Pferd war durch Steinwürfe gereizt und auch von einem guten
Reiter nicht davon abzuhalten, daſs es eine Strecke weit durchging.
Die vorgeschriebene Warnungslaterne an der Baustätte brannte nicht;
aber sie war vom Sturm gelöscht und alsbald wieder angezündet
worden, die polizeiwidrige Unbeleuchtetheit bestand nur während einer
kurzen unvermeidlichen Pause. Der Wagen fuhr ohne Hemmung zu
Thal; aber die Sperrkette war gleich bei Beginn der Straſsensenkung
gebrochen, ohne daſs ein ordentlicher Wagenführer die Schadhaftigkeit
ihr vorher ansehen konnte. In all diesen Fällen ist der äuſsere That-
bestand des Deliktes gegeben; die weiteren Feststellungen haben ihre
Bedeutung nur für den inneren Thatbestand, für die auch hier in
Betracht kommende Frage des Verschuldens.

Immer kommt es darauf an, durch die näheren Umstände dar-
zuthun, daſs die erfolgreiche Erfüllung der Pflicht vereitelt worden
ist ohne Schuld des Pflichtigen. Dessen Sache ist es, sie zu behaupten
und zu beweisen; er führt damit den Entlastungsbeweis gegen-
über der Belastung, welche die thatsächliche Polizeiwidrigkeit für ihn
schafft. Das beruht nicht auf einer Präsumtion der Schuld, welche
das Gesetz an jene Thatsache knüpfte, sondern ergiebt sich von selbst
als die natürliche Gestaltung der Sache aus dem Zusammentreffen der
tiefgreifenden und umfassenden Pflicht mit dem ihr widersprechenden
Erfolge13.

2. Die Schuld setzt auch voraus, daſs in dem strafbaren Ver-
halten eine gewisse Fehlerhaftigkeit des Willens zum Ausdruck
komme. Diese Fehlerhaftigkeit ist aber für die Polizeistrafe in ge-

13 Ähnlich steht es auch bei dem Fahrlässigkeitsdelikt des gemeinen Straf-
rechts; der Entlastungsbeweis ist beim Polizeidelikt nur deshalb schwerer zu führen,
weil die Anforderungen an den zu leistenden Kraftaufwand strenger sind, ins-
besondere auch ein sich Vorbereiten und Geeignetmachen verlangt wird. Das ist
beim Fahrlässigkeitsdelikt nur ausnahmsweise der Fall, z. B. bei der Tötung unter
Verletzung besonderer Berufspflicht des Arztes: Merkel, Stf.R. S. 309 zu § 222
Stf.G.B. Das Polizeistrafrecht setzt eine besondere Berufspflicht aller Bürger vor-
aus, daſs sie in allem, was sie unternehmen, Störungen der guten Ordnung zu ver-
meiden sich stark und geeignet zeigen.
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[322/0342] Die Polizeigewalt. der Fall, wenn von seiner Seite alles geschehen ist, was zur Erfüllung der Pflicht von da aus geschehen konnte, und die Erfüllung gleich- wohl miſslang. Den Maſsstab giebt derjenige Aufwand von Kraft und Geschicklichkeit, welcher einem guten polizeimäſsigen Bürger zugemutet werden darf. Ob das geleistet ist oder nicht, muſs sich aus dem ganzen Zu- sammenhang des Vorganges ergeben. Man ist zu rasch geritten; aber das Pferd war durch Steinwürfe gereizt und auch von einem guten Reiter nicht davon abzuhalten, daſs es eine Strecke weit durchging. Die vorgeschriebene Warnungslaterne an der Baustätte brannte nicht; aber sie war vom Sturm gelöscht und alsbald wieder angezündet worden, die polizeiwidrige Unbeleuchtetheit bestand nur während einer kurzen unvermeidlichen Pause. Der Wagen fuhr ohne Hemmung zu Thal; aber die Sperrkette war gleich bei Beginn der Straſsensenkung gebrochen, ohne daſs ein ordentlicher Wagenführer die Schadhaftigkeit ihr vorher ansehen konnte. In all diesen Fällen ist der äuſsere That- bestand des Deliktes gegeben; die weiteren Feststellungen haben ihre Bedeutung nur für den inneren Thatbestand, für die auch hier in Betracht kommende Frage des Verschuldens. Immer kommt es darauf an, durch die näheren Umstände dar- zuthun, daſs die erfolgreiche Erfüllung der Pflicht vereitelt worden ist ohne Schuld des Pflichtigen. Dessen Sache ist es, sie zu behaupten und zu beweisen; er führt damit den Entlastungsbeweis gegen- über der Belastung, welche die thatsächliche Polizeiwidrigkeit für ihn schafft. Das beruht nicht auf einer Präsumtion der Schuld, welche das Gesetz an jene Thatsache knüpfte, sondern ergiebt sich von selbst als die natürliche Gestaltung der Sache aus dem Zusammentreffen der tiefgreifenden und umfassenden Pflicht mit dem ihr widersprechenden Erfolge 13. 2. Die Schuld setzt auch voraus, daſs in dem strafbaren Ver- halten eine gewisse Fehlerhaftigkeit des Willens zum Ausdruck komme. Diese Fehlerhaftigkeit ist aber für die Polizeistrafe in ge- 13 Ähnlich steht es auch bei dem Fahrlässigkeitsdelikt des gemeinen Straf- rechts; der Entlastungsbeweis ist beim Polizeidelikt nur deshalb schwerer zu führen, weil die Anforderungen an den zu leistenden Kraftaufwand strenger sind, ins- besondere auch ein sich Vorbereiten und Geeignetmachen verlangt wird. Das ist beim Fahrlässigkeitsdelikt nur ausnahmsweise der Fall, z. B. bei der Tötung unter Verletzung besonderer Berufspflicht des Arztes: Merkel, Stf.R. S. 309 zu § 222 Stf.G.B. Das Polizeistrafrecht setzt eine besondere Berufspflicht aller Bürger vor- aus, daſs sie in allem, was sie unternehmen, Störungen der guten Ordnung zu ver- meiden sich stark und geeignet zeigen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/342>, abgerufen am 17.05.2024.