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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 22. Die Polizeistrafe.
hier überall nicht eine Schuld als voraussetzungslos erscheinende
schlechte Gesinnung in Frage ist, sondern eine Schuld in Ver-
säumnis der Erfüllung einer Pflicht,
die aus der Zugehörig-
keit zum Gemeinwesen von selbst sich ergiebt. Zur Erfüllung dieser
Pflicht wird eine gewisse Kraftentwicklung geschuldet, welche das
polizeimässige Verhalten in jedem Unternehmen sichert, und zwar
nicht bloss dem guten Willen, sondern auch der Fähigkeit nach. Wer
nicht imstande ist, seine Diener und Gehülfen in der Hand zu haben,
fange kein Unternehmen an, bei welchem er polizeiliche Pflichten
durch solche zu erfüllen hat; wer seinen Hof nicht unbedingt ge-
schlossen halten kann, ist schon dadurch im Verschulden, dass er in
diesem Hof das Tier frei laufen lässt; wer seines Pferdes nicht Meister
ist, ist in Schuld gegenüber der guten Ordnung des Gemeinwesens,
sobald er sich darauf setzt. Im Besitz eines Anwesens, eines Betriebes,
eines Tieres, im Unternehmen selbst, das man nicht polizeilich zu
führen imstande ist, liegt die Schuld, die strafbar macht, sobald nun
dabei eine Polizeiwidrigkeit sich thatsächlich ergiebt12.

Daraus erklärt sich, dass die äussere Thatsache des polizei-
widrigen Verhaltens für sich allein schon genügt, ein Verschulden in
Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht darzuthun, welche durch die
Strafe geschützt ist. Es bedarf dann besonderer Gründe, welche
die Annahme eines Verschuldens ausschliessen, wenn Straflosigkeit ein-
treten soll. Dass aber solche Gründe anerkannt sind, ist eben ein
Beweis, dass auch die Polizeistrafe Verschulden voraussetzt.

Sie sind zweierlei Art; wir mögen sie als Entlastungsgründe
und als Strafausschliessungsgründe unterscheiden.

1. Die äussere Thatsache, dass das Ergebnis nicht so ist, wie es
bei Erfüllung seiner Pflicht sein sollte, belastet den Pflichtigen nur
dann, wenn es an ihm lag, dass das geschah. Das ist der Fall,
wenn er es irgendwie an der Kraftentwicklung hat fehlen lassen,
welche die polizeiliche Pflicht von ihm forderte. Das ist aber nicht

12 Dass demnach immer eine Lebensäusserung vorausgesetzt ist, ein Hervortreten
des Einzeldaseins mit Besitzen, Wirtschaften, Unternehmen, Handeln, das scheint
Haelschner vorzuschweben, wenn er a. a. O. für die Polizeistrafe eine "vorsätzliche
Thätigkeit" verlangt. Von dem eigentlichen Vorsatz im Sinne des Strafrechts kann
keine Rede sein. Wenn z. B. in Bl. f. adm. Pr. 1881 S. 188 der Hofbesitzer be-
straft wird, weil bei einem Regengusse Jauche von einem anderen Grundstück auf
das seine und von diesem auf die Strasse floss, so ist da sicher kein Vorsatz; er
wird bestraft, weil er "mit Ausserachtlassung der ihm obliegenden Sorgfalt unter-
lassen hat, die ihm möglich gewesenen Vorkehrungen gegen das Auslaufen der
Jauche zu treffen". Der Hofbesitz war es, der ihm diese Sorgfalt auferlegte.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 21

§ 22. Die Polizeistrafe.
hier überall nicht eine Schuld als voraussetzungslos erscheinende
schlechte Gesinnung in Frage ist, sondern eine Schuld in Ver-
säumnis der Erfüllung einer Pflicht,
die aus der Zugehörig-
keit zum Gemeinwesen von selbst sich ergiebt. Zur Erfüllung dieser
Pflicht wird eine gewisse Kraftentwicklung geschuldet, welche das
polizeimäſsige Verhalten in jedem Unternehmen sichert, und zwar
nicht bloſs dem guten Willen, sondern auch der Fähigkeit nach. Wer
nicht imstande ist, seine Diener und Gehülfen in der Hand zu haben,
fange kein Unternehmen an, bei welchem er polizeiliche Pflichten
durch solche zu erfüllen hat; wer seinen Hof nicht unbedingt ge-
schlossen halten kann, ist schon dadurch im Verschulden, daſs er in
diesem Hof das Tier frei laufen läſst; wer seines Pferdes nicht Meister
ist, ist in Schuld gegenüber der guten Ordnung des Gemeinwesens,
sobald er sich darauf setzt. Im Besitz eines Anwesens, eines Betriebes,
eines Tieres, im Unternehmen selbst, das man nicht polizeilich zu
führen imstande ist, liegt die Schuld, die strafbar macht, sobald nun
dabei eine Polizeiwidrigkeit sich thatsächlich ergiebt12.

Daraus erklärt sich, daſs die äuſsere Thatsache des polizei-
widrigen Verhaltens für sich allein schon genügt, ein Verschulden in
Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht darzuthun, welche durch die
Strafe geschützt ist. Es bedarf dann besonderer Gründe, welche
die Annahme eines Verschuldens ausschlieſsen, wenn Straflosigkeit ein-
treten soll. Daſs aber solche Gründe anerkannt sind, ist eben ein
Beweis, daſs auch die Polizeistrafe Verschulden voraussetzt.

Sie sind zweierlei Art; wir mögen sie als Entlastungsgründe
und als Strafausschlieſsungsgründe unterscheiden.

1. Die äuſsere Thatsache, daſs das Ergebnis nicht so ist, wie es
bei Erfüllung seiner Pflicht sein sollte, belastet den Pflichtigen nur
dann, wenn es an ihm lag, daſs das geschah. Das ist der Fall,
wenn er es irgendwie an der Kraftentwicklung hat fehlen lassen,
welche die polizeiliche Pflicht von ihm forderte. Das ist aber nicht

12 Daſs demnach immer eine Lebensäuſserung vorausgesetzt ist, ein Hervortreten
des Einzeldaseins mit Besitzen, Wirtschaften, Unternehmen, Handeln, das scheint
Haelschner vorzuschweben, wenn er a. a. O. für die Polizeistrafe eine „vorsätzliche
Thätigkeit“ verlangt. Von dem eigentlichen Vorsatz im Sinne des Strafrechts kann
keine Rede sein. Wenn z. B. in Bl. f. adm. Pr. 1881 S. 188 der Hofbesitzer be-
straft wird, weil bei einem Regengusse Jauche von einem anderen Grundstück auf
das seine und von diesem auf die Straſse floſs, so ist da sicher kein Vorsatz; er
wird bestraft, weil er „mit Auſserachtlassung der ihm obliegenden Sorgfalt unter-
lassen hat, die ihm möglich gewesenen Vorkehrungen gegen das Auslaufen der
Jauche zu treffen“. Der Hofbesitz war es, der ihm diese Sorgfalt auferlegte.
Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 21
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[321/0341] § 22. Die Polizeistrafe. hier überall nicht eine Schuld als voraussetzungslos erscheinende schlechte Gesinnung in Frage ist, sondern eine Schuld in Ver- säumnis der Erfüllung einer Pflicht, die aus der Zugehörig- keit zum Gemeinwesen von selbst sich ergiebt. Zur Erfüllung dieser Pflicht wird eine gewisse Kraftentwicklung geschuldet, welche das polizeimäſsige Verhalten in jedem Unternehmen sichert, und zwar nicht bloſs dem guten Willen, sondern auch der Fähigkeit nach. Wer nicht imstande ist, seine Diener und Gehülfen in der Hand zu haben, fange kein Unternehmen an, bei welchem er polizeiliche Pflichten durch solche zu erfüllen hat; wer seinen Hof nicht unbedingt ge- schlossen halten kann, ist schon dadurch im Verschulden, daſs er in diesem Hof das Tier frei laufen läſst; wer seines Pferdes nicht Meister ist, ist in Schuld gegenüber der guten Ordnung des Gemeinwesens, sobald er sich darauf setzt. Im Besitz eines Anwesens, eines Betriebes, eines Tieres, im Unternehmen selbst, das man nicht polizeilich zu führen imstande ist, liegt die Schuld, die strafbar macht, sobald nun dabei eine Polizeiwidrigkeit sich thatsächlich ergiebt 12. Daraus erklärt sich, daſs die äuſsere Thatsache des polizei- widrigen Verhaltens für sich allein schon genügt, ein Verschulden in Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht darzuthun, welche durch die Strafe geschützt ist. Es bedarf dann besonderer Gründe, welche die Annahme eines Verschuldens ausschlieſsen, wenn Straflosigkeit ein- treten soll. Daſs aber solche Gründe anerkannt sind, ist eben ein Beweis, daſs auch die Polizeistrafe Verschulden voraussetzt. Sie sind zweierlei Art; wir mögen sie als Entlastungsgründe und als Strafausschlieſsungsgründe unterscheiden. 1. Die äuſsere Thatsache, daſs das Ergebnis nicht so ist, wie es bei Erfüllung seiner Pflicht sein sollte, belastet den Pflichtigen nur dann, wenn es an ihm lag, daſs das geschah. Das ist der Fall, wenn er es irgendwie an der Kraftentwicklung hat fehlen lassen, welche die polizeiliche Pflicht von ihm forderte. Das ist aber nicht 12 Daſs demnach immer eine Lebensäuſserung vorausgesetzt ist, ein Hervortreten des Einzeldaseins mit Besitzen, Wirtschaften, Unternehmen, Handeln, das scheint Haelschner vorzuschweben, wenn er a. a. O. für die Polizeistrafe eine „vorsätzliche Thätigkeit“ verlangt. Von dem eigentlichen Vorsatz im Sinne des Strafrechts kann keine Rede sein. Wenn z. B. in Bl. f. adm. Pr. 1881 S. 188 der Hofbesitzer be- straft wird, weil bei einem Regengusse Jauche von einem anderen Grundstück auf das seine und von diesem auf die Straſse floſs, so ist da sicher kein Vorsatz; er wird bestraft, weil er „mit Auſserachtlassung der ihm obliegenden Sorgfalt unter- lassen hat, die ihm möglich gewesenen Vorkehrungen gegen das Auslaufen der Jauche zu treffen“. Der Hofbesitz war es, der ihm diese Sorgfalt auferlegte. Binding, Handbuch. VI. 1: Otto Mayer, Verwaltungsr. I. 21

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/341>, abgerufen am 23.12.2024.