Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

Bild:
<< vorherige Seite

§ 22. Die Polizeistrafe.
nügender Weise schon damit erwiesen, dass die Kraftentwicklung
unterblieben ist, welche gefordert war, um die Pflicht zu erfüllen14.
Deshalb läuft auch diese Seite der Schuldfrage auf einen Gegen-
beweis hinaus, auf den Nachweis von Strafausschliessungs-
gründen
. Was das gemeine Strafrecht als solche anerkennt, das
hat es anerkennen wollen für alle Strafsachen, die vor den ordent-
lichen Gerichten zu verhandeln sind. Die Bestimmungen des Stf.G.B.
über Unzurechnungsfähigkeit, Irrtum, Drohung, Notwehr, Notstand
gelten demgemäss auch hier15. Ihre Anwendbarkeit ist aber selbst-
verständlich bedingt durch den Spielraum, welchen die eigentümliche
Natur des Polizeideliktes dafür offen lässt.

Das gilt ganz insbesondere von dem Strafausschliessungsgrunde
des Irrtums.

Das gemeine Strafrecht weist für diesen schon den Unterschied
auf zwischen absichtlichem und fahrlässigem Vergehen; bei letzterem
wirkt der Irrtum strafausschliessend nur, wenn er entschuldbar ist,
d. h. nicht selbst auf Fahrlässigkeit beruht (Stf.G.B. § 59 Abs. 2).
Beim Polizeidelikt kann dementsprechend der Irrtum nur soweit an-
gerufen werden, als er nicht selbst die Folge einer Nichterfüllung der
polizeilichen Pflicht ist. Nun enthält aber jede polizeiliche Pflicht
zugleich die Forderung, dass der Pflichtige die geeigneten Massregeln
treffe, um sich in den Stand zu setzen, sie richtig zu erfüllen, ins-
besondere auch um sich in fortwährender Kenntnis zu halten von
allem, was ihm dabei zu wissen not thut. Sie ist in dieser Beziehung
so streng wie eine "besondere Berufspflicht".

Nach polizeilichen Grundsätzen entschuldigt daher der Irrtum
nicht nur dann nicht, wenn er auf leichtfertigem, unbedachtem, fahr-
lässigem Verhalten beruht, sondern es genügt, um ihn unentschuldbar
zu machen, dass es thatsächlich an dem Pflichtigen selbst lag, wenn
er die Kenntnis nicht hatte.

Er war verreist oder hat sich sonst in tadelfreier Weise in die
Lage versetzt, dass ihm die Erkenntnis der Thatsachen erschwert oder

14 Der Strafrechtssatz kann auch eine besondere Fehlerhaftigkeit verlangen,
ein wissentliches, vorsätzliches Zuwiderhandeln. Regelmässig bedeutet das aber
dann nur eine Steigerung des Strafsatzes, so dass auch die Zuwiderhandlung ohne
diese besondere Auszeichnung noch strafbar bleibt: Edel, Pol.Stf.G.B. S. 116 u.
117; R.NahrungsmittelGes. v. 14. Mai 1879 § 10 u. 11, § 13 u. 14; R.RinderpestGes.
v. 21. Mai 1878 § 1 u. 3.
15 Haelschner in Gerichtssaal XVIII S. 321 ff.
21*

§ 22. Die Polizeistrafe.
nügender Weise schon damit erwiesen, daſs die Kraftentwicklung
unterblieben ist, welche gefordert war, um die Pflicht zu erfüllen14.
Deshalb läuft auch diese Seite der Schuldfrage auf einen Gegen-
beweis hinaus, auf den Nachweis von Strafausschlieſsungs-
gründen
. Was das gemeine Strafrecht als solche anerkennt, das
hat es anerkennen wollen für alle Strafsachen, die vor den ordent-
lichen Gerichten zu verhandeln sind. Die Bestimmungen des Stf.G.B.
über Unzurechnungsfähigkeit, Irrtum, Drohung, Notwehr, Notstand
gelten demgemäſs auch hier15. Ihre Anwendbarkeit ist aber selbst-
verständlich bedingt durch den Spielraum, welchen die eigentümliche
Natur des Polizeideliktes dafür offen läſst.

Das gilt ganz insbesondere von dem Strafausschlieſsungsgrunde
des Irrtums.

Das gemeine Strafrecht weist für diesen schon den Unterschied
auf zwischen absichtlichem und fahrlässigem Vergehen; bei letzterem
wirkt der Irrtum strafausschlieſsend nur, wenn er entschuldbar ist,
d. h. nicht selbst auf Fahrlässigkeit beruht (Stf.G.B. § 59 Abs. 2).
Beim Polizeidelikt kann dementsprechend der Irrtum nur soweit an-
gerufen werden, als er nicht selbst die Folge einer Nichterfüllung der
polizeilichen Pflicht ist. Nun enthält aber jede polizeiliche Pflicht
zugleich die Forderung, daſs der Pflichtige die geeigneten Maſsregeln
treffe, um sich in den Stand zu setzen, sie richtig zu erfüllen, ins-
besondere auch um sich in fortwährender Kenntnis zu halten von
allem, was ihm dabei zu wissen not thut. Sie ist in dieser Beziehung
so streng wie eine „besondere Berufspflicht“.

Nach polizeilichen Grundsätzen entschuldigt daher der Irrtum
nicht nur dann nicht, wenn er auf leichtfertigem, unbedachtem, fahr-
lässigem Verhalten beruht, sondern es genügt, um ihn unentschuldbar
zu machen, daſs es thatsächlich an dem Pflichtigen selbst lag, wenn
er die Kenntnis nicht hatte.

Er war verreist oder hat sich sonst in tadelfreier Weise in die
Lage versetzt, daſs ihm die Erkenntnis der Thatsachen erschwert oder

14 Der Strafrechtssatz kann auch eine besondere Fehlerhaftigkeit verlangen,
ein wissentliches, vorsätzliches Zuwiderhandeln. Regelmäſsig bedeutet das aber
dann nur eine Steigerung des Strafsatzes, so daſs auch die Zuwiderhandlung ohne
diese besondere Auszeichnung noch strafbar bleibt: Edel, Pol.Stf.G.B. S. 116 u.
117; R.NahrungsmittelGes. v. 14. Mai 1879 § 10 u. 11, § 13 u. 14; R.RinderpestGes.
v. 21. Mai 1878 § 1 u. 3.
15 Haelschner in Gerichtssaal XVIII S. 321 ff.
21*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0343" n="323"/><fw place="top" type="header">§ 22. Die Polizeistrafe.</fw><lb/>
nügender Weise schon damit erwiesen, da&#x017F;s die Kraftentwicklung<lb/>
unterblieben ist, welche gefordert war, um die Pflicht zu erfüllen<note place="foot" n="14">Der Strafrechtssatz kann auch eine besondere Fehlerhaftigkeit verlangen,<lb/>
ein wissentliches, vorsätzliches Zuwiderhandeln. Regelmä&#x017F;sig bedeutet das aber<lb/>
dann nur eine Steigerung des Strafsatzes, so da&#x017F;s auch die Zuwiderhandlung ohne<lb/>
diese besondere Auszeichnung noch strafbar bleibt: <hi rendition="#g">Edel,</hi> Pol.Stf.G.B. S. 116 u.<lb/>
117; R.NahrungsmittelGes. v. 14. Mai 1879 § 10 u. 11, § 13 u. 14; R.RinderpestGes.<lb/>
v. 21. Mai 1878 § 1 u. 3.</note>.<lb/>
Deshalb läuft auch diese Seite der Schuldfrage auf einen Gegen-<lb/>
beweis hinaus, auf den Nachweis von <hi rendition="#g">Strafausschlie&#x017F;sungs-<lb/>
gründen</hi>. Was das gemeine Strafrecht als solche anerkennt, das<lb/>
hat es anerkennen wollen für alle Strafsachen, die vor den ordent-<lb/>
lichen Gerichten zu verhandeln sind. Die Bestimmungen des Stf.G.B.<lb/>
über Unzurechnungsfähigkeit, Irrtum, Drohung, Notwehr, Notstand<lb/>
gelten demgemä&#x017F;s auch hier<note place="foot" n="15"><hi rendition="#g">Haelschner</hi> in Gerichtssaal XVIII S. 321 ff.</note>. Ihre Anwendbarkeit ist aber selbst-<lb/>
verständlich bedingt durch den Spielraum, welchen die eigentümliche<lb/>
Natur des Polizeideliktes dafür offen lä&#x017F;st.</p><lb/>
              <p>Das gilt ganz insbesondere von dem Strafausschlie&#x017F;sungsgrunde<lb/>
des <hi rendition="#g">Irrtums</hi>.</p><lb/>
              <p>Das gemeine Strafrecht weist für diesen schon den Unterschied<lb/>
auf zwischen absichtlichem und fahrlässigem Vergehen; bei letzterem<lb/>
wirkt der Irrtum strafausschlie&#x017F;send nur, wenn er entschuldbar ist,<lb/>
d. h. nicht selbst auf Fahrlässigkeit beruht (Stf.G.B. § 59 Abs. 2).<lb/>
Beim Polizeidelikt kann dementsprechend der Irrtum nur soweit an-<lb/>
gerufen werden, als er nicht selbst die Folge einer Nichterfüllung der<lb/>
polizeilichen Pflicht ist. Nun enthält aber jede polizeiliche Pflicht<lb/>
zugleich die Forderung, da&#x017F;s der Pflichtige die geeigneten Ma&#x017F;sregeln<lb/>
treffe, um sich in den Stand zu setzen, sie richtig zu erfüllen, ins-<lb/>
besondere auch um sich in fortwährender Kenntnis zu halten von<lb/>
allem, was ihm dabei zu wissen not thut. Sie ist in dieser Beziehung<lb/>
so streng wie eine &#x201E;besondere Berufspflicht&#x201C;.</p><lb/>
              <p>Nach polizeilichen Grundsätzen entschuldigt daher der Irrtum<lb/>
nicht nur dann nicht, wenn er auf leichtfertigem, unbedachtem, fahr-<lb/>
lässigem Verhalten beruht, sondern es genügt, um ihn unentschuldbar<lb/>
zu machen, da&#x017F;s es thatsächlich an dem Pflichtigen selbst lag, wenn<lb/>
er die Kenntnis nicht hatte.</p><lb/>
              <p>Er war verreist oder hat sich sonst in tadelfreier Weise in die<lb/>
Lage versetzt, da&#x017F;s ihm die Erkenntnis der Thatsachen erschwert oder<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">21*</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0343] § 22. Die Polizeistrafe. nügender Weise schon damit erwiesen, daſs die Kraftentwicklung unterblieben ist, welche gefordert war, um die Pflicht zu erfüllen 14. Deshalb läuft auch diese Seite der Schuldfrage auf einen Gegen- beweis hinaus, auf den Nachweis von Strafausschlieſsungs- gründen. Was das gemeine Strafrecht als solche anerkennt, das hat es anerkennen wollen für alle Strafsachen, die vor den ordent- lichen Gerichten zu verhandeln sind. Die Bestimmungen des Stf.G.B. über Unzurechnungsfähigkeit, Irrtum, Drohung, Notwehr, Notstand gelten demgemäſs auch hier 15. Ihre Anwendbarkeit ist aber selbst- verständlich bedingt durch den Spielraum, welchen die eigentümliche Natur des Polizeideliktes dafür offen läſst. Das gilt ganz insbesondere von dem Strafausschlieſsungsgrunde des Irrtums. Das gemeine Strafrecht weist für diesen schon den Unterschied auf zwischen absichtlichem und fahrlässigem Vergehen; bei letzterem wirkt der Irrtum strafausschlieſsend nur, wenn er entschuldbar ist, d. h. nicht selbst auf Fahrlässigkeit beruht (Stf.G.B. § 59 Abs. 2). Beim Polizeidelikt kann dementsprechend der Irrtum nur soweit an- gerufen werden, als er nicht selbst die Folge einer Nichterfüllung der polizeilichen Pflicht ist. Nun enthält aber jede polizeiliche Pflicht zugleich die Forderung, daſs der Pflichtige die geeigneten Maſsregeln treffe, um sich in den Stand zu setzen, sie richtig zu erfüllen, ins- besondere auch um sich in fortwährender Kenntnis zu halten von allem, was ihm dabei zu wissen not thut. Sie ist in dieser Beziehung so streng wie eine „besondere Berufspflicht“. Nach polizeilichen Grundsätzen entschuldigt daher der Irrtum nicht nur dann nicht, wenn er auf leichtfertigem, unbedachtem, fahr- lässigem Verhalten beruht, sondern es genügt, um ihn unentschuldbar zu machen, daſs es thatsächlich an dem Pflichtigen selbst lag, wenn er die Kenntnis nicht hatte. Er war verreist oder hat sich sonst in tadelfreier Weise in die Lage versetzt, daſs ihm die Erkenntnis der Thatsachen erschwert oder 14 Der Strafrechtssatz kann auch eine besondere Fehlerhaftigkeit verlangen, ein wissentliches, vorsätzliches Zuwiderhandeln. Regelmäſsig bedeutet das aber dann nur eine Steigerung des Strafsatzes, so daſs auch die Zuwiderhandlung ohne diese besondere Auszeichnung noch strafbar bleibt: Edel, Pol.Stf.G.B. S. 116 u. 117; R.NahrungsmittelGes. v. 14. Mai 1879 § 10 u. 11, § 13 u. 14; R.RinderpestGes. v. 21. Mai 1878 § 1 u. 3. 15 Haelschner in Gerichtssaal XVIII S. 321 ff. 21*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/343
Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/343>, abgerufen am 20.05.2024.