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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.
sie ein Verschulden des Pflichtigen enthält. Es giebt keine Polizei-
strafe ohne Verschulden; darin steht sie der gemeinen Strafe gleich.
Aber das Verschulden liegt eben schon darin, dass der Pflichtige nicht
ausreichend dafür gesorgt hat, seine Pflicht zu erfüllen. Und was in
dieser Beziehung von ihm gefordert wird, ist so umfassend und un-
bedingt, dass im ordentlichen Gang der Dinge immer, wenn er seine
Schuldigkeit gethan hat, auch das Ergebnis erreicht sein muss,
auf welches die Pflicht abzielt
. Deshalb wird allerdings die
blosse äusserliche Thatsache, dass dieses Ziel der Pflicht nicht erreicht,
die Störung nicht vermieden, das zu ihrer Verhinderung Geforderte
nicht geschehen ist, genügen, um die strafbare Pflichtverletzung dar-
zustellen. Das ist es, was der Polizeistrafe den Eindruck der grössern
Strenge giebt gegenüber dem gemeinen Strafrecht.

Manchmal sieht es so aus, als würde eine strafrechtliche Haftung
für Andere
aufgestellt: der Gastwirt, der Dienstherr hat die Melde-
pflicht für den beherbergten Gast, den angestellten Dienstboten; er
schickt seinen Knecht mit der Meldung und dieser vergisst den
Auftrag; der Knecht ist straflos, der Herr wird bestraft. Man könnte
auch geradezu von einem Verantwortlichmachen für den Zufall
reden: der Hund schlüpft auf die Strasse durch die vom Sturme
aufgerissene Hofthüre; der Hundebesitzer ist straffällig wegen Frei-
herumlaufenlassens seines Tieres. Oder von einer Strafe wegen
mangelnder Kraft und Geschicklichkeit:
dem Vergnügungs-
reiter geht trotz all seines Widerstrebens das Pferd durch; er ver-
fällt der Strafe wegen zu schnellen Reitens.

Derartige Fälle hat man im Auge, wenn man aufstellt, das
Polizeidelikt setze überhaupt keine Schuld voraus, die Begriffe von
dolus und culpa seien hier gleichgültig und alles hinge nur an dem
objektiven Thatbestand der nichterfüllten Pflicht, der Nicht-
leistung des Geforderten11. Allein das erklärt sich alles daraus, dass

selbst durchführen; man muss nur das richtige Rechtsgut im Auge behalten: ruhe-
störender Lärm ist Verletzungs- und Erfolgsdelikt, Nichtanzeige eines aufgenommenen
Fremden Gefährdungsdelikt; Feuerwerke abbrennen in der Nähe von Gebäuden
(Stf.G.B. § 368 Ziff. 7) ist Gefährdung dieser, aber Verletzung der öffentlichen
Sicherheit und unter dem letzteren Gesichtspunkt mit Strafe bedroht.
11 So die französischen Juristen; Theorie des Franz. V.R. S. 184 ff. Auch
deutsche Gerichtshöfe haben unzählige Male den Satz ausgesprochen; Loos in
Holtzendorff, Stf.R.Ztung X S. 323. Vgl. über diesen Punkt: Haelschner, Stf.R. I
S. 309 Anm. 1; Binding, Normen II S. 215; Weingart in G.Ztg. f. Sachsen
1879 S. 161 ff. Die Beispiele werden übrigens vielfach dem Finanzdelikte ent-
nommen, für das doch wieder besondere Grundsätze gelten.

Die Polizeigewalt.
sie ein Verschulden des Pflichtigen enthält. Es giebt keine Polizei-
strafe ohne Verschulden; darin steht sie der gemeinen Strafe gleich.
Aber das Verschulden liegt eben schon darin, daſs der Pflichtige nicht
ausreichend dafür gesorgt hat, seine Pflicht zu erfüllen. Und was in
dieser Beziehung von ihm gefordert wird, ist so umfassend und un-
bedingt, daſs im ordentlichen Gang der Dinge immer, wenn er seine
Schuldigkeit gethan hat, auch das Ergebnis erreicht sein muſs,
auf welches die Pflicht abzielt
. Deshalb wird allerdings die
bloſse äuſserliche Thatsache, daſs dieses Ziel der Pflicht nicht erreicht,
die Störung nicht vermieden, das zu ihrer Verhinderung Geforderte
nicht geschehen ist, genügen, um die strafbare Pflichtverletzung dar-
zustellen. Das ist es, was der Polizeistrafe den Eindruck der gröſsern
Strenge giebt gegenüber dem gemeinen Strafrecht.

Manchmal sieht es so aus, als würde eine strafrechtliche Haftung
für Andere
aufgestellt: der Gastwirt, der Dienstherr hat die Melde-
pflicht für den beherbergten Gast, den angestellten Dienstboten; er
schickt seinen Knecht mit der Meldung und dieser vergiſst den
Auftrag; der Knecht ist straflos, der Herr wird bestraft. Man könnte
auch geradezu von einem Verantwortlichmachen für den Zufall
reden: der Hund schlüpft auf die Straſse durch die vom Sturme
aufgerissene Hofthüre; der Hundebesitzer ist straffällig wegen Frei-
herumlaufenlassens seines Tieres. Oder von einer Strafe wegen
mangelnder Kraft und Geschicklichkeit:
dem Vergnügungs-
reiter geht trotz all seines Widerstrebens das Pferd durch; er ver-
fällt der Strafe wegen zu schnellen Reitens.

Derartige Fälle hat man im Auge, wenn man aufstellt, das
Polizeidelikt setze überhaupt keine Schuld voraus, die Begriffe von
dolus und culpa seien hier gleichgültig und alles hinge nur an dem
objektiven Thatbestand der nichterfüllten Pflicht, der Nicht-
leistung des Geforderten11. Allein das erklärt sich alles daraus, daſs

selbst durchführen; man muſs nur das richtige Rechtsgut im Auge behalten: ruhe-
störender Lärm ist Verletzungs- und Erfolgsdelikt, Nichtanzeige eines aufgenommenen
Fremden Gefährdungsdelikt; Feuerwerke abbrennen in der Nähe von Gebäuden
(Stf.G.B. § 368 Ziff. 7) ist Gefährdung dieser, aber Verletzung der öffentlichen
Sicherheit und unter dem letzteren Gesichtspunkt mit Strafe bedroht.
11 So die französischen Juristen; Theorie des Franz. V.R. S. 184 ff. Auch
deutsche Gerichtshöfe haben unzählige Male den Satz ausgesprochen; Loos in
Holtzendorff, Stf.R.Ztung X S. 323. Vgl. über diesen Punkt: Haelschner, Stf.R. I
S. 309 Anm. 1; Binding, Normen II S. 215; Weingart in G.Ztg. f. Sachsen
1879 S. 161 ff. Die Beispiele werden übrigens vielfach dem Finanzdelikte ent-
nommen, für das doch wieder besondere Grundsätze gelten.
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[320/0340] Die Polizeigewalt. sie ein Verschulden des Pflichtigen enthält. Es giebt keine Polizei- strafe ohne Verschulden; darin steht sie der gemeinen Strafe gleich. Aber das Verschulden liegt eben schon darin, daſs der Pflichtige nicht ausreichend dafür gesorgt hat, seine Pflicht zu erfüllen. Und was in dieser Beziehung von ihm gefordert wird, ist so umfassend und un- bedingt, daſs im ordentlichen Gang der Dinge immer, wenn er seine Schuldigkeit gethan hat, auch das Ergebnis erreicht sein muſs, auf welches die Pflicht abzielt. Deshalb wird allerdings die bloſse äuſserliche Thatsache, daſs dieses Ziel der Pflicht nicht erreicht, die Störung nicht vermieden, das zu ihrer Verhinderung Geforderte nicht geschehen ist, genügen, um die strafbare Pflichtverletzung dar- zustellen. Das ist es, was der Polizeistrafe den Eindruck der gröſsern Strenge giebt gegenüber dem gemeinen Strafrecht. Manchmal sieht es so aus, als würde eine strafrechtliche Haftung für Andere aufgestellt: der Gastwirt, der Dienstherr hat die Melde- pflicht für den beherbergten Gast, den angestellten Dienstboten; er schickt seinen Knecht mit der Meldung und dieser vergiſst den Auftrag; der Knecht ist straflos, der Herr wird bestraft. Man könnte auch geradezu von einem Verantwortlichmachen für den Zufall reden: der Hund schlüpft auf die Straſse durch die vom Sturme aufgerissene Hofthüre; der Hundebesitzer ist straffällig wegen Frei- herumlaufenlassens seines Tieres. Oder von einer Strafe wegen mangelnder Kraft und Geschicklichkeit: dem Vergnügungs- reiter geht trotz all seines Widerstrebens das Pferd durch; er ver- fällt der Strafe wegen zu schnellen Reitens. Derartige Fälle hat man im Auge, wenn man aufstellt, das Polizeidelikt setze überhaupt keine Schuld voraus, die Begriffe von dolus und culpa seien hier gleichgültig und alles hinge nur an dem objektiven Thatbestand der nichterfüllten Pflicht, der Nicht- leistung des Geforderten 11. Allein das erklärt sich alles daraus, daſs 10 11 So die französischen Juristen; Theorie des Franz. V.R. S. 184 ff. Auch deutsche Gerichtshöfe haben unzählige Male den Satz ausgesprochen; Loos in Holtzendorff, Stf.R.Ztung X S. 323. Vgl. über diesen Punkt: Haelschner, Stf.R. I S. 309 Anm. 1; Binding, Normen II S. 215; Weingart in G.Ztg. f. Sachsen 1879 S. 161 ff. Die Beispiele werden übrigens vielfach dem Finanzdelikte ent- nommen, für das doch wieder besondere Grundsätze gelten. 10 selbst durchführen; man muſs nur das richtige Rechtsgut im Auge behalten: ruhe- störender Lärm ist Verletzungs- und Erfolgsdelikt, Nichtanzeige eines aufgenommenen Fremden Gefährdungsdelikt; Feuerwerke abbrennen in der Nähe von Gebäuden (Stf.G.B. § 368 Ziff. 7) ist Gefährdung dieser, aber Verletzung der öffentlichen Sicherheit und unter dem letzteren Gesichtspunkt mit Strafe bedroht.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/340>, abgerufen am 21.05.2024.