Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.§ 20. Der Polizeibefehl. Soweit das Gesetz eine Form vorgeschrieben hat, ist die Ein- III. Die Wirkung des gehörig kundgegebenen Polizeibefehls 1. Diese Wirkung soll nur eintreten unter der Bedingung, Ist dies nicht der Fall, so ist der Polizeibefehl gerade so un- zugebende Generalverfügungen gestattet, besteht auch nicht; folglich ist nach der herrschenden Ansicht die Einzelkundgabe erforderlich: O.V.G. 10. Nov. 1877; O.Tr. 21. Febr. 1877. -- Die Bestimmung des Socialistengesetzes v. 21. Okt. 1878 § 28, wonach Ausweisungsverfügungen den Betroffenen gültig kundgegeben werden konnten durch Veröffentlichung (R.G. 19. Okt. 1880; Samml. Stf.O. II S. 348), war etwas sehr Ausserordentliches. 15 R.G. 8. Okt. 1885 meint mit Unrecht, dass bloss beim Reichsgesetz die Vermutung bestehe, dass es keine blosse "reglementarische Ordnungsvorschrift" habe geben wollen; das gilt von jedem Gesetz; vgl. oben § 7, III n. 2. 16 Laband, St.R. I S. 695 Note 1. Bezüglich der Verordnungen will Laband,
St.R. I S. 609, unterscheiden zwischen formellen Erfordernissen, die jeder Nach- § 20. Der Polizeibefehl. Soweit das Gesetz eine Form vorgeschrieben hat, ist die Ein- III. Die Wirkung des gehörig kundgegebenen Polizeibefehls 1. Diese Wirkung soll nur eintreten unter der Bedingung, Ist dies nicht der Fall, so ist der Polizeibefehl gerade so un- zugebende Generalverfügungen gestattet, besteht auch nicht; folglich ist nach der herrschenden Ansicht die Einzelkundgabe erforderlich: O.V.G. 10. Nov. 1877; O.Tr. 21. Febr. 1877. — Die Bestimmung des Socialistengesetzes v. 21. Okt. 1878 § 28, wonach Ausweisungsverfügungen den Betroffenen gültig kundgegeben werden konnten durch Veröffentlichung (R.G. 19. Okt. 1880; Samml. Stf.O. II S. 348), war etwas sehr Auſserordentliches. 15 R.G. 8. Okt. 1885 meint mit Unrecht, daſs bloſs beim Reichsgesetz die Vermutung bestehe, daſs es keine bloſse „reglementarische Ordnungsvorschrift“ habe geben wollen; das gilt von jedem Gesetz; vgl. oben § 7, III n. 2. 16 Laband, St.R. I S. 695 Note 1. Bezüglich der Verordnungen will Laband,
St.R. I S. 609, unterscheiden zwischen formellen Erfordernissen, die jeder Nach- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0301" n="281"/> <fw place="top" type="header">§ 20. Der Polizeibefehl.</fw><lb/> <p>Soweit das Gesetz eine Form vorgeschrieben hat, ist die Ein-<lb/> haltung derselben Bedingung der Gültigkeit<note place="foot" n="15">R.G. 8. Okt. 1885 meint mit Unrecht, daſs bloſs beim Reichsgesetz die<lb/> Vermutung bestehe, daſs es keine bloſse „reglementarische Ordnungsvorschrift“<lb/> habe geben wollen; das gilt von jedem Gesetz; vgl. oben § 7, III n. 2.</note>.</p><lb/> <p>III. Die <hi rendition="#g">Wirkung</hi> des gehörig kundgegebenen Polizeibefehls<lb/> besteht in einer dem Inhalt des Befehls entsprechenden Gehorsams-<lb/> pflicht dessen, dem befohlen wird, d. h. in einer rechtlich erzwing-<lb/> baren Pflicht, sich so zu verhalten, wie der Befehl will.</p><lb/> <p>1. Diese Wirkung soll nur eintreten unter der Bedingung,<lb/> daſs der Befehl <hi rendition="#g">rechtsgültig</hi> ist. Die Frage, ob diese Be-<lb/> dingung erfüllt und der Befehl demnach als rechtswirksam zu be-<lb/> handeln sei, wird aber hier ganz anders gelöst als bei civilrecht-<lb/> lichen Willenserklärungen. Es kommt nämlich darauf an, ob der<lb/> Befehlende überhaupt ausgerüstet ist mit polizeilicher Befehlsgewalt<lb/> dieser Art und der Befehl seiner Form und seinem Inhalt nach denk-<lb/> bar ist als Ausübung dieser Gewalt. Man drückt dies so aus, daſs<lb/> der Befehl noch in der <hi rendition="#g">allgemeinen Zuständigkeit</hi> des Be-<lb/> fehlenden gelegen sein soll.</p><lb/> <p>Ist dies nicht der Fall, so ist der Polizeibefehl gerade so un-<lb/> wirksam, wie das civilrechtliche Rechtsgeschäft, durch welches jemand<lb/> über Rechte verfügt, die ihm nicht zustehen, er kann nur thatsäch-<lb/> liche Wirkungen und nichtgewollte rechtliche Verantwortlichkeiten<lb/> hervorbringen. Ist aber jene Voraussetzung gegeben, so hat der<lb/> Polizeibefehl im Gegensatz zum civilrechtlichen Rechtsgeschäft die<lb/> Vermutung der Gültigkeit für sich. Er ist als rechtsgültig zu be-<lb/> handeln und bleibt rechtswirksam, so lange diese Vermutung nicht in<lb/> gehöriger Weise widerlegt ist. So stellt sich wenigstens die Sache<lb/> äuſserlich dar. In Wirklichkeit handelt es sich nicht eigentlich um<lb/> eine Vermutung. Richtig ausgedrückt muſs es heiſsen: der Befehl<lb/> gilt schlechthin als rechtsverbindlich und muſs als solcher obrigkeit-<lb/> lich durchgeführt und aufrechterhalten werden, soweit nicht <hi rendition="#g">Zu-<lb/> ständigkeiten zur Nachprüfung seiner Gültigkeit</hi> be-<lb/> gründet sind<note xml:id="seg2pn_65_1" next="#seg2pn_65_2" place="foot" n="16"><hi rendition="#g">Laband,</hi> St.R. I S. 695 Note 1. Bezüglich der Verordnungen will <hi rendition="#g">Laband,</hi><lb/> St.R. I S. 609, unterscheiden zwischen formellen Erfordernissen, die jeder Nach-</note>.</p><lb/> <p> <note xml:id="seg2pn_64_2" prev="#seg2pn_64_1" place="foot" n="14">zugebende Generalverfügungen gestattet, besteht auch nicht; folglich ist nach der<lb/> herrschenden Ansicht die Einzelkundgabe erforderlich: O.V.G. 10. Nov. 1877; O.Tr.<lb/> 21. Febr. 1877. — Die Bestimmung des Socialistengesetzes v. 21. Okt. 1878 § 28,<lb/> wonach Ausweisungsverfügungen den Betroffenen gültig kundgegeben werden konnten<lb/> durch Veröffentlichung (R.G. 19. Okt. 1880; Samml. Stf.O. II S. 348), war etwas<lb/> sehr Auſserordentliches.</note> </p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [281/0301]
§ 20. Der Polizeibefehl.
Soweit das Gesetz eine Form vorgeschrieben hat, ist die Ein-
haltung derselben Bedingung der Gültigkeit 15.
III. Die Wirkung des gehörig kundgegebenen Polizeibefehls
besteht in einer dem Inhalt des Befehls entsprechenden Gehorsams-
pflicht dessen, dem befohlen wird, d. h. in einer rechtlich erzwing-
baren Pflicht, sich so zu verhalten, wie der Befehl will.
1. Diese Wirkung soll nur eintreten unter der Bedingung,
daſs der Befehl rechtsgültig ist. Die Frage, ob diese Be-
dingung erfüllt und der Befehl demnach als rechtswirksam zu be-
handeln sei, wird aber hier ganz anders gelöst als bei civilrecht-
lichen Willenserklärungen. Es kommt nämlich darauf an, ob der
Befehlende überhaupt ausgerüstet ist mit polizeilicher Befehlsgewalt
dieser Art und der Befehl seiner Form und seinem Inhalt nach denk-
bar ist als Ausübung dieser Gewalt. Man drückt dies so aus, daſs
der Befehl noch in der allgemeinen Zuständigkeit des Be-
fehlenden gelegen sein soll.
Ist dies nicht der Fall, so ist der Polizeibefehl gerade so un-
wirksam, wie das civilrechtliche Rechtsgeschäft, durch welches jemand
über Rechte verfügt, die ihm nicht zustehen, er kann nur thatsäch-
liche Wirkungen und nichtgewollte rechtliche Verantwortlichkeiten
hervorbringen. Ist aber jene Voraussetzung gegeben, so hat der
Polizeibefehl im Gegensatz zum civilrechtlichen Rechtsgeschäft die
Vermutung der Gültigkeit für sich. Er ist als rechtsgültig zu be-
handeln und bleibt rechtswirksam, so lange diese Vermutung nicht in
gehöriger Weise widerlegt ist. So stellt sich wenigstens die Sache
äuſserlich dar. In Wirklichkeit handelt es sich nicht eigentlich um
eine Vermutung. Richtig ausgedrückt muſs es heiſsen: der Befehl
gilt schlechthin als rechtsverbindlich und muſs als solcher obrigkeit-
lich durchgeführt und aufrechterhalten werden, soweit nicht Zu-
ständigkeiten zur Nachprüfung seiner Gültigkeit be-
gründet sind 16.
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15 R.G. 8. Okt. 1885 meint mit Unrecht, daſs bloſs beim Reichsgesetz die
Vermutung bestehe, daſs es keine bloſse „reglementarische Ordnungsvorschrift“
habe geben wollen; das gilt von jedem Gesetz; vgl. oben § 7, III n. 2.
16 Laband, St.R. I S. 695 Note 1. Bezüglich der Verordnungen will Laband,
St.R. I S. 609, unterscheiden zwischen formellen Erfordernissen, die jeder Nach-
14 zugebende Generalverfügungen gestattet, besteht auch nicht; folglich ist nach der
herrschenden Ansicht die Einzelkundgabe erforderlich: O.V.G. 10. Nov. 1877; O.Tr.
21. Febr. 1877. — Die Bestimmung des Socialistengesetzes v. 21. Okt. 1878 § 28,
wonach Ausweisungsverfügungen den Betroffenen gültig kundgegeben werden konnten
durch Veröffentlichung (R.G. 19. Okt. 1880; Samml. Stf.O. II S. 348), war etwas
sehr Auſserordentliches.
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