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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Polizeigewalt.

Der polizeiliche Einzelbefehl ist demjenigen Unterthanen kund-
zugeben, an welchen er gerichtet ist. Dies geschieht durch eine Erklärung,
welche ihm gegenüber abgegeben wird, die Eröffnung des Befehls.

Das Interesse des Betroffenen erfordert schriftliche Mitteilung,
um den Inhalt des Aktes gegenwärtig zu haben; das Interesse
der Behörde geht nur auf gehörigen Nachweis der geschehenen Mit-
teilung. Im Sinne des Rechtsstaates ist es zweifellos, dass schriftliche
Mitteilung gemacht werde; der Unterthan muss prüfen können,
was er soll, um nötigenfalls Rechtsmittel dagegen einzuwenden;
das Vorbild der Justiz, die immer schriftlich mitteilt, ist auch hier
massgebend. Nur für den Notfall, in dringlicher Gefahr darf münd-
licher Befehl offen bleiben11.

Mangels besonderer Vorschriften muss die Eröffnung gültig in
denselben Arten geschehen können, wie ausdrückliche Willenserklä-
rungen in civilrechtlichen Rechtsgeschäften abgegeben werden; die
Form der stillschweigenden Willenserklärung passt nicht auf den obrig-
keitlichen Akt12. Die Zustellung in den Formen der C.Pr.O. ins-
besondere genügt, soweit sie zugleich die Elemente einer Mitteilung
enthält, wie sie auch natürlichen Rechtes wäre. Besonderheiten wie
die Hinterlegung auf der Gerichtsschreiberei oder der Postanstalt
(C.Pr.O. § 167) lassen sich nicht von selbst übertragen13; noch
weniger die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (C.Pr.O.
§ 186)14.

11 Die beliebte Form der "Eröffnung zu Protokoll" entspricht diesen Forde-
rungen durchaus nicht; sie ist geradezu kennzeichnend für den büreaukratischen
Polizeistaat.
12 Keine besondere Art der Kundgabe des Polizeibefehls ist die sogenannte
Warnungstafel und verwandte Dinge, der Strohwisch, der die Strasse sperrt, der
gemalte Radschuh oder aufgeworfene Graben (Bayr. oberpolizeil. Vorschrift v. 4. Jan.
1872 § 4 u. § 7). Der Befehl oder die Strafandrohung, die dahinter stehen, sind
ihrerseits in gehöriger Weise kundgegeben, und jene Zeichen sind entweder blosse
Mahnungen und Erinnerungen daran oder sie schaffen eine thatsächliche Voraus-
setzung für die Anwendbarkeit jener Bestimmungen, indem sie diese Ortlichkeit
als eine solche kenntlich machen, für welche sie gelten sollen. Es handelt sich
also weder um eine "symbolische" Kundgabe des Befehls, noch um eine Kundgabe
an unbestimmte Personen (Laband, St.R. I S. 695; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 29),
sondern überhaupt um keine Kundgabe in dem hier behandelten Sinne.
13 Laband, St.R. I S. 696, u. v. Stengel, Organis. S. 29, scheinen das zu
übersehen.
14 Einen Sinn hätte die Form der Veröffentlichung für die Polizeiverfügung
bloss da, wo sie sich gleichlautend an eine grössere Anzahl von Personen wendet.
So wäre sie denkbar bei den Vorschriften, welche nach Stf.G.B. § 361 Ziff. 6 den
unter Aufsicht gestellten Dirnen gegeben werden können; das sind keine Rechts-
sätze, keine Verordnungen; ein Gewaltverhältnis, das in allgemeiner Weise kund-
Die Polizeigewalt.

Der polizeiliche Einzelbefehl ist demjenigen Unterthanen kund-
zugeben, an welchen er gerichtet ist. Dies geschieht durch eine Erklärung,
welche ihm gegenüber abgegeben wird, die Eröffnung des Befehls.

Das Interesse des Betroffenen erfordert schriftliche Mitteilung,
um den Inhalt des Aktes gegenwärtig zu haben; das Interesse
der Behörde geht nur auf gehörigen Nachweis der geschehenen Mit-
teilung. Im Sinne des Rechtsstaates ist es zweifellos, daſs schriftliche
Mitteilung gemacht werde; der Unterthan muſs prüfen können,
was er soll, um nötigenfalls Rechtsmittel dagegen einzuwenden;
das Vorbild der Justiz, die immer schriftlich mitteilt, ist auch hier
maſsgebend. Nur für den Notfall, in dringlicher Gefahr darf münd-
licher Befehl offen bleiben11.

Mangels besonderer Vorschriften muſs die Eröffnung gültig in
denselben Arten geschehen können, wie ausdrückliche Willenserklä-
rungen in civilrechtlichen Rechtsgeschäften abgegeben werden; die
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keitlichen Akt12. Die Zustellung in den Formen der C.Pr.O. ins-
besondere genügt, soweit sie zugleich die Elemente einer Mitteilung
enthält, wie sie auch natürlichen Rechtes wäre. Besonderheiten wie
die Hinterlegung auf der Gerichtsschreiberei oder der Postanstalt
(C.Pr.O. § 167) lassen sich nicht von selbst übertragen13; noch
weniger die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (C.Pr.O.
§ 186)14.

11 Die beliebte Form der „Eröffnung zu Protokoll“ entspricht diesen Forde-
rungen durchaus nicht; sie ist geradezu kennzeichnend für den büreaukratischen
Polizeistaat.
12 Keine besondere Art der Kundgabe des Polizeibefehls ist die sogenannte
Warnungstafel und verwandte Dinge, der Strohwisch, der die Straſse sperrt, der
gemalte Radschuh oder aufgeworfene Graben (Bayr. oberpolizeil. Vorschrift v. 4. Jan.
1872 § 4 u. § 7). Der Befehl oder die Strafandrohung, die dahinter stehen, sind
ihrerseits in gehöriger Weise kundgegeben, und jene Zeichen sind entweder bloſse
Mahnungen und Erinnerungen daran oder sie schaffen eine thatsächliche Voraus-
setzung für die Anwendbarkeit jener Bestimmungen, indem sie diese Ortlichkeit
als eine solche kenntlich machen, für welche sie gelten sollen. Es handelt sich
also weder um eine „symbolische“ Kundgabe des Befehls, noch um eine Kundgabe
an unbestimmte Personen (Laband, St.R. I S. 695; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 29),
sondern überhaupt um keine Kundgabe in dem hier behandelten Sinne.
13 Laband, St.R. I S. 696, u. v. Stengel, Organis. S. 29, scheinen das zu
übersehen.
14 Einen Sinn hätte die Form der Veröffentlichung für die Polizeiverfügung
bloſs da, wo sie sich gleichlautend an eine gröſsere Anzahl von Personen wendet.
So wäre sie denkbar bei den Vorschriften, welche nach Stf.G.B. § 361 Ziff. 6 den
unter Aufsicht gestellten Dirnen gegeben werden können; das sind keine Rechts-
sätze, keine Verordnungen; ein Gewaltverhältnis, das in allgemeiner Weise kund-
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[280/0300] Die Polizeigewalt. Der polizeiliche Einzelbefehl ist demjenigen Unterthanen kund- zugeben, an welchen er gerichtet ist. Dies geschieht durch eine Erklärung, welche ihm gegenüber abgegeben wird, die Eröffnung des Befehls. Das Interesse des Betroffenen erfordert schriftliche Mitteilung, um den Inhalt des Aktes gegenwärtig zu haben; das Interesse der Behörde geht nur auf gehörigen Nachweis der geschehenen Mit- teilung. Im Sinne des Rechtsstaates ist es zweifellos, daſs schriftliche Mitteilung gemacht werde; der Unterthan muſs prüfen können, was er soll, um nötigenfalls Rechtsmittel dagegen einzuwenden; das Vorbild der Justiz, die immer schriftlich mitteilt, ist auch hier maſsgebend. Nur für den Notfall, in dringlicher Gefahr darf münd- licher Befehl offen bleiben 11. Mangels besonderer Vorschriften muſs die Eröffnung gültig in denselben Arten geschehen können, wie ausdrückliche Willenserklä- rungen in civilrechtlichen Rechtsgeschäften abgegeben werden; die Form der stillschweigenden Willenserklärung paſst nicht auf den obrig- keitlichen Akt 12. Die Zustellung in den Formen der C.Pr.O. ins- besondere genügt, soweit sie zugleich die Elemente einer Mitteilung enthält, wie sie auch natürlichen Rechtes wäre. Besonderheiten wie die Hinterlegung auf der Gerichtsschreiberei oder der Postanstalt (C.Pr.O. § 167) lassen sich nicht von selbst übertragen 13; noch weniger die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (C.Pr.O. § 186) 14. 11 Die beliebte Form der „Eröffnung zu Protokoll“ entspricht diesen Forde- rungen durchaus nicht; sie ist geradezu kennzeichnend für den büreaukratischen Polizeistaat. 12 Keine besondere Art der Kundgabe des Polizeibefehls ist die sogenannte Warnungstafel und verwandte Dinge, der Strohwisch, der die Straſse sperrt, der gemalte Radschuh oder aufgeworfene Graben (Bayr. oberpolizeil. Vorschrift v. 4. Jan. 1872 § 4 u. § 7). Der Befehl oder die Strafandrohung, die dahinter stehen, sind ihrerseits in gehöriger Weise kundgegeben, und jene Zeichen sind entweder bloſse Mahnungen und Erinnerungen daran oder sie schaffen eine thatsächliche Voraus- setzung für die Anwendbarkeit jener Bestimmungen, indem sie diese Ortlichkeit als eine solche kenntlich machen, für welche sie gelten sollen. Es handelt sich also weder um eine „symbolische“ Kundgabe des Befehls, noch um eine Kundgabe an unbestimmte Personen (Laband, St.R. I S. 695; v. Sarwey, Allg. V.R. S. 29), sondern überhaupt um keine Kundgabe in dem hier behandelten Sinne. 13 Laband, St.R. I S. 696, u. v. Stengel, Organis. S. 29, scheinen das zu übersehen. 14 Einen Sinn hätte die Form der Veröffentlichung für die Polizeiverfügung bloſs da, wo sie sich gleichlautend an eine gröſsere Anzahl von Personen wendet. So wäre sie denkbar bei den Vorschriften, welche nach Stf.G.B. § 361 Ziff. 6 den unter Aufsicht gestellten Dirnen gegeben werden können; das sind keine Rechts- sätze, keine Verordnungen; ein Gewaltverhältnis, das in allgemeiner Weise kund-

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/300>, abgerufen am 23.11.2024.