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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
sodann um die sog. garantie constitutionnelle d. h. die Bestimmung
der Verfassung vom 22. Frim. VIII art. 75, wonach Beamte nur mit
Erlaubnis des Staatsrats gerichtlich verfolgt werden können; ohne
diese Erlaubnis ist das gerichtliche Verfahren unzulässig, mit ihr
aber das Gericht zuständig auch zur Prüfung der öffentlichrecht-
lichen Vorfrage17. Jener Absicht, dem Beamten einen gewissen Schutz
zu gewähren, konnte in der einen, wie in der anderen Weise ent-
sprochen werden; vor den Reichsjustizgesetzen bestanden beide Formen
neben einander oder waren auch in einander gemischt18. Die preussische
und die bayrische Gesetzgebung geben anschauliche Beispiele.

In Bayern bestand für die Pfalz noch aus französischer Zeit die
garantie constitutionnelle, die Verfolgungserlaubnis; im Haupt-
lande dagegen hatte sich der Grundsatz entwickelt, dass die Gerichte
unzuständig seien, bei der Schadensersatzklage gegen den Beamten über
die Vorfrage der Gültigkeit eines Verwaltungsaktes zu erkennen, um
den dafür haftbar gemachten Beamten zu verurteilen, also die Zu-
ständigkeitsregel
des französischen Rechts war übernommen
worden19.

In Preussen eröffnete Ges. v. 11. Mai 1842 § 6 den Rechtsweg
nur für den Fall, dass "eine polizeiliche Verfügung im Wege der Be-
schwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben (worden war)".
Es ist der französische Gedanke, dass das Gericht unzuständig ist, den
Verwaltungsakt auf seine Gültigkeit zu prüfen, auch wenn es nur behufs
Lösung der Vorfrage geschieht. Aber während das französische Recht
die Sache spalten lässt und nur die Aussetzung des Verfahrens ver-
langt, bis die Vorfrage durch die Verwaltung erledigt ist, zieht das
preussische Recht aus jenen Gedanken den schärferen Schluss: weil
das Gericht unzuständig ist, die Vorfrage zu entscheiden, ist es un-
zuständig für die ganze Klage; es wird für diese Klage erst zuständig
dadurch, dass die Verwaltung selbst die Schranke niederreisst und den
Akt preisgiebt20. In dieser Gestalt nähert sich die preussische Be-

17 Das Rechtsinstitut der Verfolgungserlaubnis verdeckte demnach die Wirkung
der allgemeinen Zuständigkeitsregel. Als es 1870 abgeschafft wurde, trat diese
erst wieder hervor; Theorie des franz. V.R. S. 100.
18 Eine Zusammenstellung giebt Freund in Arch. f. öff. R. I S. 398 ff.
19 Kahr, Ges. d. Errichtung eines V.G.H. betr. S. 65; Seydel, Bayr. V.R.
II S. 449 ff.
20 Ein Urteil des L.G. Köln v. 14. Febr. 1843 fasst den § 6 ganz im fran-
zösischrechtlichen Sinn: statt die Schadensersatzklage abzuweisen, setzt es das
Verfahren aus, bis der Kläger eine Entscheidung der Verwaltungsbeschwerdeinstanz
über die Gültigkeit der Verfügung beigebracht haben würde; Oppenhoff,

§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
sodann um die sog. garantie constitutionnelle d. h. die Bestimmung
der Verfassung vom 22. Frim. VIII art. 75, wonach Beamte nur mit
Erlaubnis des Staatsrats gerichtlich verfolgt werden können; ohne
diese Erlaubnis ist das gerichtliche Verfahren unzulässig, mit ihr
aber das Gericht zuständig auch zur Prüfung der öffentlichrecht-
lichen Vorfrage17. Jener Absicht, dem Beamten einen gewissen Schutz
zu gewähren, konnte in der einen, wie in der anderen Weise ent-
sprochen werden; vor den Reichsjustizgesetzen bestanden beide Formen
neben einander oder waren auch in einander gemischt18. Die preuſsische
und die bayrische Gesetzgebung geben anschauliche Beispiele.

In Bayern bestand für die Pfalz noch aus französischer Zeit die
garantie constitutionnelle, die Verfolgungserlaubnis; im Haupt-
lande dagegen hatte sich der Grundsatz entwickelt, daſs die Gerichte
unzuständig seien, bei der Schadensersatzklage gegen den Beamten über
die Vorfrage der Gültigkeit eines Verwaltungsaktes zu erkennen, um
den dafür haftbar gemachten Beamten zu verurteilen, also die Zu-
ständigkeitsregel
des französischen Rechts war übernommen
worden19.

In Preuſsen eröffnete Ges. v. 11. Mai 1842 § 6 den Rechtsweg
nur für den Fall, daſs „eine polizeiliche Verfügung im Wege der Be-
schwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben (worden war)“.
Es ist der französische Gedanke, daſs das Gericht unzuständig ist, den
Verwaltungsakt auf seine Gültigkeit zu prüfen, auch wenn es nur behufs
Lösung der Vorfrage geschieht. Aber während das französische Recht
die Sache spalten läſst und nur die Aussetzung des Verfahrens ver-
langt, bis die Vorfrage durch die Verwaltung erledigt ist, zieht das
preuſsische Recht aus jenen Gedanken den schärferen Schluſs: weil
das Gericht unzuständig ist, die Vorfrage zu entscheiden, ist es un-
zuständig für die ganze Klage; es wird für diese Klage erst zuständig
dadurch, daſs die Verwaltung selbst die Schranke niederreiſst und den
Akt preisgiebt20. In dieser Gestalt nähert sich die preuſsische Be-

17 Das Rechtsinstitut der Verfolgungserlaubnis verdeckte demnach die Wirkung
der allgemeinen Zuständigkeitsregel. Als es 1870 abgeschafft wurde, trat diese
erst wieder hervor; Theorie des franz. V.R. S. 100.
18 Eine Zusammenstellung giebt Freund in Arch. f. öff. R. I S. 398 ff.
19 Kahr, Ges. d. Errichtung eines V.G.H. betr. S. 65; Seydel, Bayr. V.R.
II S. 449 ff.
20 Ein Urteil des L.G. Köln v. 14. Febr. 1843 faſst den § 6 ganz im fran-
zösischrechtlichen Sinn: statt die Schadensersatzklage abzuweisen, setzt es das
Verfahren aus, bis der Kläger eine Entscheidung der Verwaltungsbeschwerdeinstanz
über die Gültigkeit der Verfügung beigebracht haben würde; Oppenhoff,
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[235/0255] § 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen. sodann um die sog. garantie constitutionnelle d. h. die Bestimmung der Verfassung vom 22. Frim. VIII art. 75, wonach Beamte nur mit Erlaubnis des Staatsrats gerichtlich verfolgt werden können; ohne diese Erlaubnis ist das gerichtliche Verfahren unzulässig, mit ihr aber das Gericht zuständig auch zur Prüfung der öffentlichrecht- lichen Vorfrage 17. Jener Absicht, dem Beamten einen gewissen Schutz zu gewähren, konnte in der einen, wie in der anderen Weise ent- sprochen werden; vor den Reichsjustizgesetzen bestanden beide Formen neben einander oder waren auch in einander gemischt 18. Die preuſsische und die bayrische Gesetzgebung geben anschauliche Beispiele. In Bayern bestand für die Pfalz noch aus französischer Zeit die garantie constitutionnelle, die Verfolgungserlaubnis; im Haupt- lande dagegen hatte sich der Grundsatz entwickelt, daſs die Gerichte unzuständig seien, bei der Schadensersatzklage gegen den Beamten über die Vorfrage der Gültigkeit eines Verwaltungsaktes zu erkennen, um den dafür haftbar gemachten Beamten zu verurteilen, also die Zu- ständigkeitsregel des französischen Rechts war übernommen worden 19. In Preuſsen eröffnete Ges. v. 11. Mai 1842 § 6 den Rechtsweg nur für den Fall, daſs „eine polizeiliche Verfügung im Wege der Be- schwerde als gesetzwidrig oder unzulässig aufgehoben (worden war)“. Es ist der französische Gedanke, daſs das Gericht unzuständig ist, den Verwaltungsakt auf seine Gültigkeit zu prüfen, auch wenn es nur behufs Lösung der Vorfrage geschieht. Aber während das französische Recht die Sache spalten läſst und nur die Aussetzung des Verfahrens ver- langt, bis die Vorfrage durch die Verwaltung erledigt ist, zieht das preuſsische Recht aus jenen Gedanken den schärferen Schluſs: weil das Gericht unzuständig ist, die Vorfrage zu entscheiden, ist es un- zuständig für die ganze Klage; es wird für diese Klage erst zuständig dadurch, daſs die Verwaltung selbst die Schranke niederreiſst und den Akt preisgiebt 20. In dieser Gestalt nähert sich die preuſsische Be- 17 Das Rechtsinstitut der Verfolgungserlaubnis verdeckte demnach die Wirkung der allgemeinen Zuständigkeitsregel. Als es 1870 abgeschafft wurde, trat diese erst wieder hervor; Theorie des franz. V.R. S. 100. 18 Eine Zusammenstellung giebt Freund in Arch. f. öff. R. I S. 398 ff. 19 Kahr, Ges. d. Errichtung eines V.G.H. betr. S. 65; Seydel, Bayr. V.R. II S. 449 ff. 20 Ein Urteil des L.G. Köln v. 14. Febr. 1843 faſst den § 6 ganz im fran- zösischrechtlichen Sinn: statt die Schadensersatzklage abzuweisen, setzt es das Verfahren aus, bis der Kläger eine Entscheidung der Verwaltungsbeschwerdeinstanz über die Gültigkeit der Verfügung beigebracht haben würde; Oppenhoff,

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/255>, abgerufen am 21.05.2024.