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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
rechtliche Haftung des Beamten dem Staate selbst gegenüber wird
nur vermittelt durch diesen Gedankengang; darüber das Nähere in
der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht.

Auch hier also erhält die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung
ein eigentümliches Element, das sie abweichend bestimmt von dem,
wonach sie sonst sich richtet; hier in erweiterndem Sinn, wie dort
unter n. 1 in verengerndem Sinn. Dahinter steht dann wieder für
die Fragen nach Befreiungsgründen und nach dem Grade der erforder-
lichen Schuld das gewöhnliche Landescivilrecht.

II. Die gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatz-
ansprüche, welche gegen den Beamten erhoben werden soll, unterliegt
besonderen Beschränkungen.

1. Grundsätzlich steht für unser Recht unzweifelhaft fest, dass
das Gericht noch innerhalb seiner Zuständigkeit sich bewegt, wenn
es behufs Erledigung einer solchen Schadensersatzklage die Frage
würdigt, ob eine rechtswidrige Amtsüberschreitung vorliegt (vgl. oben
§ 16, III)16. Lediglich in der Absicht, dem Beamten einen gewissen
Schutz zu geben, den man im Interesse des guten Ganges der Ver-
waltung für notwendig hält, hat man der Justiz hier Hemmungs-
vorrichtungen in den Weg gestellt, die unverkennbar dem französischen
Rechte entlehnt sind.

Im französischen Rechte nun handelt es sich um zweierlei Dinge:
einmal um eine einfache Folgerung aus den allgemeinen Regeln über
die Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit, wonach im
Gegensatz zum deutschen Rechte die Gerichte auch behufs der Lösung
einer Vorfrage nicht zuständig sind, einen Verwaltungsakt auszulegen
und auf seine Rechtmässigkeit zu prüfen (oben § 16 S. 217); und

die Kuh ist heruntergefallen; der Eigentümer will mit Unrecht den Bauinspektor
dafür in Anspruch nehmen; dieser haftet nur dem Staate. -- V.G.H. 26. Sept. 1882
(Samml. IV S. 170): Leiche gefunden, Bürgermeister versäumt die pflichtmässige
Anzeige beim Amtsgericht, Schadensersatzklage der Erben wegen der verloren ge-
gangenen Kleider; keine Haftung, weil keine "Rechtsverletzung des Beamten gegen-
über der Antragstellerin". -- Unrichtig Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 73, wo ein
Polizeibeamter haftbar sein soll, wenn er "die wegen des feuersgefährlichen Zu-
standes eines Gebäudes erforderlichen Anordnungen unterlässt" und nun ein Schade
entsteht; wohin würde das führen! Vgl. auch Zachariae in Ztschft. f. St. W.
1863 S. 643. -- Nach Entw. d. B.G.B. § 736 haftet "ein Beamter, welcher die
gegenüber Dritten ihm gesetzlich obliegende Amtspflicht verletzt". Das ist das,
was wir die Richtung der Dienstpflicht auf den Vorteil des Einzelnen nannten.
Falsch ist es, diese Haftung auf gesetzlich obliegende Amtspflicht zu beschränken;
vgl. Laband, St.R. I S. 456.
16 Wach, C.Pr.R. I S. 109; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 305.

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
rechtliche Haftung des Beamten dem Staate selbst gegenüber wird
nur vermittelt durch diesen Gedankengang; darüber das Nähere in
der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht.

Auch hier also erhält die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung
ein eigentümliches Element, das sie abweichend bestimmt von dem,
wonach sie sonst sich richtet; hier in erweiterndem Sinn, wie dort
unter n. 1 in verengerndem Sinn. Dahinter steht dann wieder für
die Fragen nach Befreiungsgründen und nach dem Grade der erforder-
lichen Schuld das gewöhnliche Landescivilrecht.

II. Die gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatz-
ansprüche, welche gegen den Beamten erhoben werden soll, unterliegt
besonderen Beschränkungen.

1. Grundsätzlich steht für unser Recht unzweifelhaft fest, daſs
das Gericht noch innerhalb seiner Zuständigkeit sich bewegt, wenn
es behufs Erledigung einer solchen Schadensersatzklage die Frage
würdigt, ob eine rechtswidrige Amtsüberschreitung vorliegt (vgl. oben
§ 16, III)16. Lediglich in der Absicht, dem Beamten einen gewissen
Schutz zu geben, den man im Interesse des guten Ganges der Ver-
waltung für notwendig hält, hat man der Justiz hier Hemmungs-
vorrichtungen in den Weg gestellt, die unverkennbar dem französischen
Rechte entlehnt sind.

Im französischen Rechte nun handelt es sich um zweierlei Dinge:
einmal um eine einfache Folgerung aus den allgemeinen Regeln über
die Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit, wonach im
Gegensatz zum deutschen Rechte die Gerichte auch behufs der Lösung
einer Vorfrage nicht zuständig sind, einen Verwaltungsakt auszulegen
und auf seine Rechtmäſsigkeit zu prüfen (oben § 16 S. 217); und

die Kuh ist heruntergefallen; der Eigentümer will mit Unrecht den Bauinspektor
dafür in Anspruch nehmen; dieser haftet nur dem Staate. — V.G.H. 26. Sept. 1882
(Samml. IV S. 170): Leiche gefunden, Bürgermeister versäumt die pflichtmäſsige
Anzeige beim Amtsgericht, Schadensersatzklage der Erben wegen der verloren ge-
gangenen Kleider; keine Haftung, weil keine „Rechtsverletzung des Beamten gegen-
über der Antragstellerin“. — Unrichtig Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 73, wo ein
Polizeibeamter haftbar sein soll, wenn er „die wegen des feuersgefährlichen Zu-
standes eines Gebäudes erforderlichen Anordnungen unterläſst“ und nun ein Schade
entsteht; wohin würde das führen! Vgl. auch Zachariae in Ztschft. f. St. W.
1863 S. 643. — Nach Entw. d. B.G.B. § 736 haftet „ein Beamter, welcher die
gegenüber Dritten ihm gesetzlich obliegende Amtspflicht verletzt“. Das ist das,
was wir die Richtung der Dienstpflicht auf den Vorteil des Einzelnen nannten.
Falsch ist es, diese Haftung auf gesetzlich obliegende Amtspflicht zu beschränken;
vgl. Laband, St.R. I S. 456.
16 Wach, C.Pr.R. I S. 109; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 305.
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[234/0254] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. rechtliche Haftung des Beamten dem Staate selbst gegenüber wird nur vermittelt durch diesen Gedankengang; darüber das Nähere in der Lehre von der öffentlichen Dienstpflicht. Auch hier also erhält die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung ein eigentümliches Element, das sie abweichend bestimmt von dem, wonach sie sonst sich richtet; hier in erweiterndem Sinn, wie dort unter n. 1 in verengerndem Sinn. Dahinter steht dann wieder für die Fragen nach Befreiungsgründen und nach dem Grade der erforder- lichen Schuld das gewöhnliche Landescivilrecht. II. Die gerichtliche Geltendmachung der Schadensersatz- ansprüche, welche gegen den Beamten erhoben werden soll, unterliegt besonderen Beschränkungen. 1. Grundsätzlich steht für unser Recht unzweifelhaft fest, daſs das Gericht noch innerhalb seiner Zuständigkeit sich bewegt, wenn es behufs Erledigung einer solchen Schadensersatzklage die Frage würdigt, ob eine rechtswidrige Amtsüberschreitung vorliegt (vgl. oben § 16, III) 16. Lediglich in der Absicht, dem Beamten einen gewissen Schutz zu geben, den man im Interesse des guten Ganges der Ver- waltung für notwendig hält, hat man der Justiz hier Hemmungs- vorrichtungen in den Weg gestellt, die unverkennbar dem französischen Rechte entlehnt sind. Im französischen Rechte nun handelt es sich um zweierlei Dinge: einmal um eine einfache Folgerung aus den allgemeinen Regeln über die Grenzen der gerichtlichen Zuständigkeit, wonach im Gegensatz zum deutschen Rechte die Gerichte auch behufs der Lösung einer Vorfrage nicht zuständig sind, einen Verwaltungsakt auszulegen und auf seine Rechtmäſsigkeit zu prüfen (oben § 16 S. 217); und 15 16 Wach, C.Pr.R. I S. 109; v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 305. 15 die Kuh ist heruntergefallen; der Eigentümer will mit Unrecht den Bauinspektor dafür in Anspruch nehmen; dieser haftet nur dem Staate. — V.G.H. 26. Sept. 1882 (Samml. IV S. 170): Leiche gefunden, Bürgermeister versäumt die pflichtmäſsige Anzeige beim Amtsgericht, Schadensersatzklage der Erben wegen der verloren ge- gangenen Kleider; keine Haftung, weil keine „Rechtsverletzung des Beamten gegen- über der Antragstellerin“. — Unrichtig Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 73, wo ein Polizeibeamter haftbar sein soll, wenn er „die wegen des feuersgefährlichen Zu- standes eines Gebäudes erforderlichen Anordnungen unterläſst“ und nun ein Schade entsteht; wohin würde das führen! Vgl. auch Zachariae in Ztschft. f. St. W. 1863 S. 643. — Nach Entw. d. B.G.B. § 736 haftet „ein Beamter, welcher die gegenüber Dritten ihm gesetzlich obliegende Amtspflicht verletzt“. Das ist das, was wir die Richtung der Dienstpflicht auf den Vorteil des Einzelnen nannten. Falsch ist es, diese Haftung auf gesetzlich obliegende Amtspflicht zu beschränken; vgl. Laband, St.R. I S. 456.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/254>, abgerufen am 22.05.2024.