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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
Glied der öffentlichen Einrichtung, für welche die Gesamtheit die
Gefahr trägt6.

Weiter muss er nun durch seine Dienstpflicht der Gefahr
ausgesetzt gewesen sein, rechtswidrig zu handeln
.

Das ist der Fall überall, wo er mit selbständiger Prüfung
die von ihm vorzunehmenden obrigkeitlichen Massregeln zu bestimmen
hat: insoweit dabei ein Irrtum möglich ist, ohne dass ihn der Vor-
wurf einer Vernachlässigung dienstlicher Pflichten trifft, ist er auch
für die dadurch herbeigeführte Gesetzwidrigkeit nicht haftbar7; es ist
ein amtlicher Irrtum, für den er nicht aufzukommen hat. Er
haftet also, wenn er das Verfahren nicht beobachtet, das ihm vor-
geschrieben ist, um den Fall aufzuklären: der also entstandene Irr-
tum ist ein pflichtwidriger Irrtum. Er haftet, wenn er den Inhalt der
Vorschriften ausser Acht lässt, welche ihm für seine Thätigkeit ge-
gegeben sind: die Kenntnis dieser Obliegenheiten ist ein Stück seiner
Pflicht. Deshalb wird allgemein bei klaren Gesetzen ein Irrtum im
Rechtspunkt ohne Pflichtverletzung nicht als möglich angenommen.
Von jedem anderen Irrtum muss aber grundsätzlich gelten, dass er
ohne Verletzung der Dienstpflicht möglich ist. Es genügt, dass er
nicht als die Folge einer solchen nachgewiesen ist; dann kommt es
nicht darauf an, woher der Irrtum sonst gekommen sein mag. Thor-
heit und Unwissenheit, Verwirrtheit, Überstürzung, Schlaffheit und

6 O.Tr. 23. Okt. 1868 (Str. 72 S. 323): es kommt darauf an, ob "der Ver-
klagte ohne eine auf Beeinträchtigung des klägerischen Besitzes gerichtete eigene
Absicht die fragliche Anordnung traf"; O.V.G. 23. Aug. 1876; C.C.H. 10. März
1860 (J.M.Bl. 1860 S. 61).
7 Den Ausgangspunkt bildet die vielumstrittene Syndikatsklage gegen den
Richter, der ein ungerechtes Urteil gefällt hat. Nach der herrschenden Lehre
(Windscheid, Pand. § 470) würde sie Arglist oder grobe Nachlässigkeit voraus-
setzen und wären ihre Grundsätze auf Schadensersatzansprüche aus der freiwilligen
Gerichtsbarkeit, sowie aus der amtlichen Thätigkeit eines jeden nicht richterlichen
Beamten durch Analogie ausgedehnt. Das bedeutet gegenüber den strengeren
Deliktshaftungen des neueren Rechts eine Beschränkung der Haftung. -- Der
Entw. des B.G.B. sucht das Ergebnis unserer Rechtsentwicklung in einer noch
schärferen Beschränkung, nämlich auf die Fälle strafbarer Verletzung der Amts-
pflicht festzulegen (§ 736 Abs. 3; 2. Les. § 762 Abs. 2). Die Motive (Bd. 2
S. 824) begründen das mit der Gefahr, welcher der Spruchrichter ausgesetzt wäre,
wegen Irrtums haftbar gemacht zu werden, und die ihm die Unbefangenheit rauben
würde. Dass diese Rücksichtnahme auf den Richterstand beschränkt werden soll,
ist eine ganz ungerechtfertigte Einseitigkeit. Als ob die Unbefangenheit eines
Polizeibeamten für den Staat nicht ebenso wichtig wäre. Darüber Krais in Bl.
f. adm. Pr. 33 S. 60; v. Völderndorff in Arch. f. prakt. R.W. I S. 30; Pfizer
in Arch. f. civ. Pr. 72 S. 110.

§ 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen.
Glied der öffentlichen Einrichtung, für welche die Gesamtheit die
Gefahr trägt6.

Weiter muſs er nun durch seine Dienstpflicht der Gefahr
ausgesetzt gewesen sein, rechtswidrig zu handeln
.

Das ist der Fall überall, wo er mit selbständiger Prüfung
die von ihm vorzunehmenden obrigkeitlichen Maſsregeln zu bestimmen
hat: insoweit dabei ein Irrtum möglich ist, ohne daſs ihn der Vor-
wurf einer Vernachlässigung dienstlicher Pflichten trifft, ist er auch
für die dadurch herbeigeführte Gesetzwidrigkeit nicht haftbar7; es ist
ein amtlicher Irrtum, für den er nicht aufzukommen hat. Er
haftet also, wenn er das Verfahren nicht beobachtet, das ihm vor-
geschrieben ist, um den Fall aufzuklären: der also entstandene Irr-
tum ist ein pflichtwidriger Irrtum. Er haftet, wenn er den Inhalt der
Vorschriften auſser Acht läſst, welche ihm für seine Thätigkeit ge-
gegeben sind: die Kenntnis dieser Obliegenheiten ist ein Stück seiner
Pflicht. Deshalb wird allgemein bei klaren Gesetzen ein Irrtum im
Rechtspunkt ohne Pflichtverletzung nicht als möglich angenommen.
Von jedem anderen Irrtum muſs aber grundsätzlich gelten, daſs er
ohne Verletzung der Dienstpflicht möglich ist. Es genügt, daſs er
nicht als die Folge einer solchen nachgewiesen ist; dann kommt es
nicht darauf an, woher der Irrtum sonst gekommen sein mag. Thor-
heit und Unwissenheit, Verwirrtheit, Überstürzung, Schlaffheit und

6 O.Tr. 23. Okt. 1868 (Str. 72 S. 323): es kommt darauf an, ob „der Ver-
klagte ohne eine auf Beeinträchtigung des klägerischen Besitzes gerichtete eigene
Absicht die fragliche Anordnung traf“; O.V.G. 23. Aug. 1876; C.C.H. 10. März
1860 (J.M.Bl. 1860 S. 61).
7 Den Ausgangspunkt bildet die vielumstrittene Syndikatsklage gegen den
Richter, der ein ungerechtes Urteil gefällt hat. Nach der herrschenden Lehre
(Windscheid, Pand. § 470) würde sie Arglist oder grobe Nachlässigkeit voraus-
setzen und wären ihre Grundsätze auf Schadensersatzansprüche aus der freiwilligen
Gerichtsbarkeit, sowie aus der amtlichen Thätigkeit eines jeden nicht richterlichen
Beamten durch Analogie ausgedehnt. Das bedeutet gegenüber den strengeren
Deliktshaftungen des neueren Rechts eine Beschränkung der Haftung. — Der
Entw. des B.G.B. sucht das Ergebnis unserer Rechtsentwicklung in einer noch
schärferen Beschränkung, nämlich auf die Fälle strafbarer Verletzung der Amts-
pflicht festzulegen (§ 736 Abs. 3; 2. Les. § 762 Abs. 2). Die Motive (Bd. 2
S. 824) begründen das mit der Gefahr, welcher der Spruchrichter ausgesetzt wäre,
wegen Irrtums haftbar gemacht zu werden, und die ihm die Unbefangenheit rauben
würde. Daſs diese Rücksichtnahme auf den Richterstand beschränkt werden soll,
ist eine ganz ungerechtfertigte Einseitigkeit. Als ob die Unbefangenheit eines
Polizeibeamten für den Staat nicht ebenso wichtig wäre. Darüber Krais in Bl.
f. adm. Pr. 33 S. 60; v. Völderndorff in Arch. f. prakt. R.W. I S. 30; Pfizer
in Arch. f. civ. Pr. 72 S. 110.
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[229/0249] § 17. Civilrechtliche Haftung aus Amtshandlungen. Glied der öffentlichen Einrichtung, für welche die Gesamtheit die Gefahr trägt 6. Weiter muſs er nun durch seine Dienstpflicht der Gefahr ausgesetzt gewesen sein, rechtswidrig zu handeln. Das ist der Fall überall, wo er mit selbständiger Prüfung die von ihm vorzunehmenden obrigkeitlichen Maſsregeln zu bestimmen hat: insoweit dabei ein Irrtum möglich ist, ohne daſs ihn der Vor- wurf einer Vernachlässigung dienstlicher Pflichten trifft, ist er auch für die dadurch herbeigeführte Gesetzwidrigkeit nicht haftbar 7; es ist ein amtlicher Irrtum, für den er nicht aufzukommen hat. Er haftet also, wenn er das Verfahren nicht beobachtet, das ihm vor- geschrieben ist, um den Fall aufzuklären: der also entstandene Irr- tum ist ein pflichtwidriger Irrtum. Er haftet, wenn er den Inhalt der Vorschriften auſser Acht läſst, welche ihm für seine Thätigkeit ge- gegeben sind: die Kenntnis dieser Obliegenheiten ist ein Stück seiner Pflicht. Deshalb wird allgemein bei klaren Gesetzen ein Irrtum im Rechtspunkt ohne Pflichtverletzung nicht als möglich angenommen. Von jedem anderen Irrtum muſs aber grundsätzlich gelten, daſs er ohne Verletzung der Dienstpflicht möglich ist. Es genügt, daſs er nicht als die Folge einer solchen nachgewiesen ist; dann kommt es nicht darauf an, woher der Irrtum sonst gekommen sein mag. Thor- heit und Unwissenheit, Verwirrtheit, Überstürzung, Schlaffheit und 6 O.Tr. 23. Okt. 1868 (Str. 72 S. 323): es kommt darauf an, ob „der Ver- klagte ohne eine auf Beeinträchtigung des klägerischen Besitzes gerichtete eigene Absicht die fragliche Anordnung traf“; O.V.G. 23. Aug. 1876; C.C.H. 10. März 1860 (J.M.Bl. 1860 S. 61). 7 Den Ausgangspunkt bildet die vielumstrittene Syndikatsklage gegen den Richter, der ein ungerechtes Urteil gefällt hat. Nach der herrschenden Lehre (Windscheid, Pand. § 470) würde sie Arglist oder grobe Nachlässigkeit voraus- setzen und wären ihre Grundsätze auf Schadensersatzansprüche aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sowie aus der amtlichen Thätigkeit eines jeden nicht richterlichen Beamten durch Analogie ausgedehnt. Das bedeutet gegenüber den strengeren Deliktshaftungen des neueren Rechts eine Beschränkung der Haftung. — Der Entw. des B.G.B. sucht das Ergebnis unserer Rechtsentwicklung in einer noch schärferen Beschränkung, nämlich auf die Fälle strafbarer Verletzung der Amts- pflicht festzulegen (§ 736 Abs. 3; 2. Les. § 762 Abs. 2). Die Motive (Bd. 2 S. 824) begründen das mit der Gefahr, welcher der Spruchrichter ausgesetzt wäre, wegen Irrtums haftbar gemacht zu werden, und die ihm die Unbefangenheit rauben würde. Daſs diese Rücksichtnahme auf den Richterstand beschränkt werden soll, ist eine ganz ungerechtfertigte Einseitigkeit. Als ob die Unbefangenheit eines Polizeibeamten für den Staat nicht ebenso wichtig wäre. Darüber Krais in Bl. f. adm. Pr. 33 S. 60; v. Völderndorff in Arch. f. prakt. R.W. I S. 30; Pfizer in Arch. f. civ. Pr. 72 S. 110.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/249>, abgerufen am 01.05.2024.