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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 15. Umfang der Rechtskraft.
liche Bestimmung, nicht bloss eine anzuwendende Rechtsanschauung.
Darum nimmt es auch den Thatbestand nicht schlechthin in seiner
von der vorausgehenden Behörde überlieferten Gestalt (oben § 14
S. 195); der Fall, für den sein Ausspruch gegeben und der Partei
gegenüber gebunden ist, ist das bestimmte Stück Wirklichkeit und
eadem res, wofür die Gebundenheit wirken soll, überall, wo dieses
Stück Wirklichkeit wieder Gegenstand obrigkeitlicher Behandlung
wird. Für die Revision dagegen ist eadem res nur das anhängige
Verfahren;
wenn dieses in irgend einer Weise ohne rechtskräftige
Entscheidung in der Sache selbst zu Ende kommt, durch Zurück-
nahme der Klage, Einstellung der eingeleiteten Verwaltungsmassregeln,
so kann dort gegen ein neues Vorgehen auf Grund des nämlichen
Sachverhaltes die rechtskraftmässige Gebundenheit der anzuwendenden
Rechtsanschauung nicht mehr geltend gemacht werden17.

Teilurteile dieser Art erzeugt die beschränkte Rechtspflege des
bayrischen Rechts; es wird an der Sache nur erledigt, was Recht-
sprechung daran ist, der Rechtspunkt; aber das geschieht rechtskräftig
und bindend zu Gunsten der Partei, so dass nur, was das freie Er-
messen zur Erledigung des Falles noch hinzufügt, ihr gegenüber frei
und beweglich bleibt18.

Ebenso sind auch zu behandeln, im Gegensatz zur Revision, die
Anfechtungsklagen wegen Gesetzesverletzung und wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen, wie sie das preussische, badische,
württembergische und österreichische Recht kennt. Es wird rechts-

17 Über den neuen Fall, auf welchen die Gebundenheit der Rechtsanschauung
sich nicht erstreckt: Bernatzik, Rechtskraft S. 168 ff., S. 169 Note 1.
18 Beispiele bei Seydel, Bayr. St.R. II S. 442 Note 2. Besonders klar
V.G.H. 7. Dez. 1880 (Samml. II S. 285, Reger, I S. 440): Ein Gesuch um Wirt-
schaftserlaubnis war abgewiesen worden, indem die Kreisregierung annahm, dass
ein erst nach der ersten Verbescheidung ergangenes Ortsstatut auf dieses Gesuch
anzuwenden und demgemäss die Bedürfnisfrage zu würdigen war. Mit Erkenntnis
v. 1. Juni 1880 war dieser Beschluss als rechtswidrig aufgehoben worden, weil das
Gesuch nach altem Rechte behandelt werden musste. Die Vorinstanz, an welche
die Sache zurückgeht, erneuert ihren Beschluss; sie sei, meint sie, durch die von
dem V.G.H. aufgestellte Rechtsanschauung nicht gebunden. Darauf erwidert jetzt
der V.G.H.: er sei nicht Kassationshof, sondern Instanzgericht; er habe über die
"verwaltungsrechtliche Seite der Angelegenheit" rechtskräftig entschieden und zwar
dahin, dass die Beschlussfassung darüber auf Grundlage des alten Rechtes zu er-
folgen habe. In dem Verfahren war hin und her gestritten worden, ob eine "ge-
bundene Rechtsanschauung" vorliege oder nicht; ein Rechtssatz, der dies anordnet,
wie bei der Revision, besteht allerdings nicht; aber bei der Auffassung des V.G.H.
ist er auch gar nicht nötig; der V.G.H. nennt sein Erkenntnis ganz richtig eine
Teilentscheidung.

§ 15. Umfang der Rechtskraft.
liche Bestimmung, nicht bloſs eine anzuwendende Rechtsanschauung.
Darum nimmt es auch den Thatbestand nicht schlechthin in seiner
von der vorausgehenden Behörde überlieferten Gestalt (oben § 14
S. 195); der Fall, für den sein Ausspruch gegeben und der Partei
gegenüber gebunden ist, ist das bestimmte Stück Wirklichkeit und
eadem res, wofür die Gebundenheit wirken soll, überall, wo dieses
Stück Wirklichkeit wieder Gegenstand obrigkeitlicher Behandlung
wird. Für die Revision dagegen ist eadem res nur das anhängige
Verfahren;
wenn dieses in irgend einer Weise ohne rechtskräftige
Entscheidung in der Sache selbst zu Ende kommt, durch Zurück-
nahme der Klage, Einstellung der eingeleiteten Verwaltungsmaſsregeln,
so kann dort gegen ein neues Vorgehen auf Grund des nämlichen
Sachverhaltes die rechtskraftmäſsige Gebundenheit der anzuwendenden
Rechtsanschauung nicht mehr geltend gemacht werden17.

Teilurteile dieser Art erzeugt die beschränkte Rechtspflege des
bayrischen Rechts; es wird an der Sache nur erledigt, was Recht-
sprechung daran ist, der Rechtspunkt; aber das geschieht rechtskräftig
und bindend zu Gunsten der Partei, so daſs nur, was das freie Er-
messen zur Erledigung des Falles noch hinzufügt, ihr gegenüber frei
und beweglich bleibt18.

Ebenso sind auch zu behandeln, im Gegensatz zur Revision, die
Anfechtungsklagen wegen Gesetzesverletzung und wegen mangelnder
thatsächlicher Voraussetzungen, wie sie das preuſsische, badische,
württembergische und österreichische Recht kennt. Es wird rechts-

17 Über den neuen Fall, auf welchen die Gebundenheit der Rechtsanschauung
sich nicht erstreckt: Bernatzik, Rechtskraft S. 168 ff., S. 169 Note 1.
18 Beispiele bei Seydel, Bayr. St.R. II S. 442 Note 2. Besonders klar
V.G.H. 7. Dez. 1880 (Samml. II S. 285, Reger, I S. 440): Ein Gesuch um Wirt-
schaftserlaubnis war abgewiesen worden, indem die Kreisregierung annahm, daſs
ein erst nach der ersten Verbescheidung ergangenes Ortsstatut auf dieses Gesuch
anzuwenden und demgemäſs die Bedürfnisfrage zu würdigen war. Mit Erkenntnis
v. 1. Juni 1880 war dieser Beschluſs als rechtswidrig aufgehoben worden, weil das
Gesuch nach altem Rechte behandelt werden muſste. Die Vorinstanz, an welche
die Sache zurückgeht, erneuert ihren Beschluſs; sie sei, meint sie, durch die von
dem V.G.H. aufgestellte Rechtsanschauung nicht gebunden. Darauf erwidert jetzt
der V.G.H.: er sei nicht Kassationshof, sondern Instanzgericht; er habe über die
„verwaltungsrechtliche Seite der Angelegenheit“ rechtskräftig entschieden und zwar
dahin, daſs die Beschluſsfassung darüber auf Grundlage des alten Rechtes zu er-
folgen habe. In dem Verfahren war hin und her gestritten worden, ob eine „ge-
bundene Rechtsanschauung“ vorliege oder nicht; ein Rechtssatz, der dies anordnet,
wie bei der Revision, besteht allerdings nicht; aber bei der Auffassung des V.G.H.
ist er auch gar nicht nötig; der V.G.H. nennt sein Erkenntnis ganz richtig eine
Teilentscheidung.
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[203/0223] § 15. Umfang der Rechtskraft. liche Bestimmung, nicht bloſs eine anzuwendende Rechtsanschauung. Darum nimmt es auch den Thatbestand nicht schlechthin in seiner von der vorausgehenden Behörde überlieferten Gestalt (oben § 14 S. 195); der Fall, für den sein Ausspruch gegeben und der Partei gegenüber gebunden ist, ist das bestimmte Stück Wirklichkeit und eadem res, wofür die Gebundenheit wirken soll, überall, wo dieses Stück Wirklichkeit wieder Gegenstand obrigkeitlicher Behandlung wird. Für die Revision dagegen ist eadem res nur das anhängige Verfahren; wenn dieses in irgend einer Weise ohne rechtskräftige Entscheidung in der Sache selbst zu Ende kommt, durch Zurück- nahme der Klage, Einstellung der eingeleiteten Verwaltungsmaſsregeln, so kann dort gegen ein neues Vorgehen auf Grund des nämlichen Sachverhaltes die rechtskraftmäſsige Gebundenheit der anzuwendenden Rechtsanschauung nicht mehr geltend gemacht werden 17. Teilurteile dieser Art erzeugt die beschränkte Rechtspflege des bayrischen Rechts; es wird an der Sache nur erledigt, was Recht- sprechung daran ist, der Rechtspunkt; aber das geschieht rechtskräftig und bindend zu Gunsten der Partei, so daſs nur, was das freie Er- messen zur Erledigung des Falles noch hinzufügt, ihr gegenüber frei und beweglich bleibt 18. Ebenso sind auch zu behandeln, im Gegensatz zur Revision, die Anfechtungsklagen wegen Gesetzesverletzung und wegen mangelnder thatsächlicher Voraussetzungen, wie sie das preuſsische, badische, württembergische und österreichische Recht kennt. Es wird rechts- 17 Über den neuen Fall, auf welchen die Gebundenheit der Rechtsanschauung sich nicht erstreckt: Bernatzik, Rechtskraft S. 168 ff., S. 169 Note 1. 18 Beispiele bei Seydel, Bayr. St.R. II S. 442 Note 2. Besonders klar V.G.H. 7. Dez. 1880 (Samml. II S. 285, Reger, I S. 440): Ein Gesuch um Wirt- schaftserlaubnis war abgewiesen worden, indem die Kreisregierung annahm, daſs ein erst nach der ersten Verbescheidung ergangenes Ortsstatut auf dieses Gesuch anzuwenden und demgemäſs die Bedürfnisfrage zu würdigen war. Mit Erkenntnis v. 1. Juni 1880 war dieser Beschluſs als rechtswidrig aufgehoben worden, weil das Gesuch nach altem Rechte behandelt werden muſste. Die Vorinstanz, an welche die Sache zurückgeht, erneuert ihren Beschluſs; sie sei, meint sie, durch die von dem V.G.H. aufgestellte Rechtsanschauung nicht gebunden. Darauf erwidert jetzt der V.G.H.: er sei nicht Kassationshof, sondern Instanzgericht; er habe über die „verwaltungsrechtliche Seite der Angelegenheit“ rechtskräftig entschieden und zwar dahin, daſs die Beschluſsfassung darüber auf Grundlage des alten Rechtes zu er- folgen habe. In dem Verfahren war hin und her gestritten worden, ob eine „ge- bundene Rechtsanschauung“ vorliege oder nicht; ein Rechtssatz, der dies anordnet, wie bei der Revision, besteht allerdings nicht; aber bei der Auffassung des V.G.H. ist er auch gar nicht nötig; der V.G.H. nennt sein Erkenntnis ganz richtig eine Teilentscheidung.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/223>, abgerufen am 02.05.2024.