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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

Es kann unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sach-
erledigend
erkannt werden, weil die Sache "reif" ist; dann unter-
scheidet sich der Umfang der Rechtskraft in nichts von dem in der
vollen Rechtspflege.

Es kann die Revision zurückgewiesen werden; damit ist
festgestellt, dass das angefochtene Urteil wegen Gesetzesverletzung
nicht aufgehoben werden kann, und die Rechtskraft dieses Ausspruches
kann einem etwaigen Gegner des Revisionsklägers zu gute kommen.

Die Eigenart des Revisionsurteils zeigt sich im dritten Falle:
wenn eine Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgt, ohne dass
das Revisionsgericht selbst sofort schon sacherledigend erkennt, dieses
vielmehr die Sache an das Untergericht verweist zur weiteren
Behandlung;
dann ist diese Erledigung gebunden an die Art, wie
das Revisionsgericht das Gesetz hat verstanden wissen wollen. Und
zwar gebunden der Partei gegenüber; die Partei hat ein Recht darauf
erworben, dass die anhängige Sache erledigt werde unter Anwendung
dieser Grundsätze, vom Untergericht und bei einer neuen Revision
vom Revisionsgericht selbst. Diese gebundene Rechtsanschauung
macht hier den Inhalt der Rechtskraft aus15.

Für die Revision, welche unsere Gesetze gegen verwaltungs-
gerichtliche Urteile zulassen, gilt das nämliche16.

Ganz anders die sonstigen Fälle gesetzlich beschränkter Ver-
waltungsrechtspflege. Ihnen ist das civilgerichtliche Teilurteil ver-
wandt, namentlich in der Gestalt, von welcher C.Pr.O. § 276 handelt,
wo zunächst über den Grund der Sache allein entschieden wird mit
Vorbehalt späterer Feststellung des Betrages. Hier bemächtigt sich
das Urteil eines Teiles des zu bestimmenden Verhältnisses; es er-
kennt in der Sache selbst und giebt ihr unmittelbar eine recht-

15 C.Pr.O. § 528 Abs. 2. Über die Ausdrücke: Rechtsansicht, Rechtsgrund-
sätze, Rechtsanschauung oder rechtliche Beurteilung vgl. Motive zu § 504 des
Entw. (Hahn, Mat. I S. 372). -- Erst dadurch, dass das Ges. v. 1. April 1837
die Gebundenheit der Rechtsanschauung hinzugefügt hat, ist das französische Kassa-
tionsurteil nachträglich rechtskraftfähig gemacht worden. Vorher ging die Sache
immer ganz frisch von vorne an; vgl. oben § 14 Note 18.
16 Oben § 14 Note 24. Unter den "in dem Aufhebungsbeschlusse aufgestellten
Grundsätzen", welche massgebend sind für das Untergericht, sind nur "Rechts-
grundsätze" verstanden; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 101 Note 172. Gerade
für derartige Fälle ist von einleuchtender Richtigkeit, was v. Stengel, Organis.
S. 525, bemerkt, dass nämlich "ohne die durch die Gründe dem Tenor gegebene
Auslegung häufig gar nicht festgestellt werden kann, was eigentlich entschieden ist".
Das gilt auch für die nun folgenden Arten von Urteilen; V.G.H. 7. Dez. 1880 giebt
darüber treffende Ausführungen.
Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.

Es kann unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sach-
erledigend
erkannt werden, weil die Sache „reif“ ist; dann unter-
scheidet sich der Umfang der Rechtskraft in nichts von dem in der
vollen Rechtspflege.

Es kann die Revision zurückgewiesen werden; damit ist
festgestellt, daſs das angefochtene Urteil wegen Gesetzesverletzung
nicht aufgehoben werden kann, und die Rechtskraft dieses Ausspruches
kann einem etwaigen Gegner des Revisionsklägers zu gute kommen.

Die Eigenart des Revisionsurteils zeigt sich im dritten Falle:
wenn eine Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgt, ohne daſs
das Revisionsgericht selbst sofort schon sacherledigend erkennt, dieses
vielmehr die Sache an das Untergericht verweist zur weiteren
Behandlung;
dann ist diese Erledigung gebunden an die Art, wie
das Revisionsgericht das Gesetz hat verstanden wissen wollen. Und
zwar gebunden der Partei gegenüber; die Partei hat ein Recht darauf
erworben, daſs die anhängige Sache erledigt werde unter Anwendung
dieser Grundsätze, vom Untergericht und bei einer neuen Revision
vom Revisionsgericht selbst. Diese gebundene Rechtsanschauung
macht hier den Inhalt der Rechtskraft aus15.

Für die Revision, welche unsere Gesetze gegen verwaltungs-
gerichtliche Urteile zulassen, gilt das nämliche16.

Ganz anders die sonstigen Fälle gesetzlich beschränkter Ver-
waltungsrechtspflege. Ihnen ist das civilgerichtliche Teilurteil ver-
wandt, namentlich in der Gestalt, von welcher C.Pr.O. § 276 handelt,
wo zunächst über den Grund der Sache allein entschieden wird mit
Vorbehalt späterer Feststellung des Betrages. Hier bemächtigt sich
das Urteil eines Teiles des zu bestimmenden Verhältnisses; es er-
kennt in der Sache selbst und giebt ihr unmittelbar eine recht-

15 C.Pr.O. § 528 Abs. 2. Über die Ausdrücke: Rechtsansicht, Rechtsgrund-
sätze, Rechtsanschauung oder rechtliche Beurteilung vgl. Motive zu § 504 des
Entw. (Hahn, Mat. I S. 372). — Erst dadurch, daſs das Ges. v. 1. April 1837
die Gebundenheit der Rechtsanschauung hinzugefügt hat, ist das französische Kassa-
tionsurteil nachträglich rechtskraftfähig gemacht worden. Vorher ging die Sache
immer ganz frisch von vorne an; vgl. oben § 14 Note 18.
16 Oben § 14 Note 24. Unter den „in dem Aufhebungsbeschlusse aufgestellten
Grundsätzen“, welche maſsgebend sind für das Untergericht, sind nur „Rechts-
grundsätze“ verstanden; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 101 Note 172. Gerade
für derartige Fälle ist von einleuchtender Richtigkeit, was v. Stengel, Organis.
S. 525, bemerkt, daſs nämlich „ohne die durch die Gründe dem Tenor gegebene
Auslegung häufig gar nicht festgestellt werden kann, was eigentlich entschieden ist“.
Das gilt auch für die nun folgenden Arten von Urteilen; V.G.H. 7. Dez. 1880 giebt
darüber treffende Ausführungen.
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[202/0222] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. Es kann unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sach- erledigend erkannt werden, weil die Sache „reif“ ist; dann unter- scheidet sich der Umfang der Rechtskraft in nichts von dem in der vollen Rechtspflege. Es kann die Revision zurückgewiesen werden; damit ist festgestellt, daſs das angefochtene Urteil wegen Gesetzesverletzung nicht aufgehoben werden kann, und die Rechtskraft dieses Ausspruches kann einem etwaigen Gegner des Revisionsklägers zu gute kommen. Die Eigenart des Revisionsurteils zeigt sich im dritten Falle: wenn eine Aufhebung des angefochtenen Urteils erfolgt, ohne daſs das Revisionsgericht selbst sofort schon sacherledigend erkennt, dieses vielmehr die Sache an das Untergericht verweist zur weiteren Behandlung; dann ist diese Erledigung gebunden an die Art, wie das Revisionsgericht das Gesetz hat verstanden wissen wollen. Und zwar gebunden der Partei gegenüber; die Partei hat ein Recht darauf erworben, daſs die anhängige Sache erledigt werde unter Anwendung dieser Grundsätze, vom Untergericht und bei einer neuen Revision vom Revisionsgericht selbst. Diese gebundene Rechtsanschauung macht hier den Inhalt der Rechtskraft aus 15. Für die Revision, welche unsere Gesetze gegen verwaltungs- gerichtliche Urteile zulassen, gilt das nämliche 16. Ganz anders die sonstigen Fälle gesetzlich beschränkter Ver- waltungsrechtspflege. Ihnen ist das civilgerichtliche Teilurteil ver- wandt, namentlich in der Gestalt, von welcher C.Pr.O. § 276 handelt, wo zunächst über den Grund der Sache allein entschieden wird mit Vorbehalt späterer Feststellung des Betrages. Hier bemächtigt sich das Urteil eines Teiles des zu bestimmenden Verhältnisses; es er- kennt in der Sache selbst und giebt ihr unmittelbar eine recht- 15 C.Pr.O. § 528 Abs. 2. Über die Ausdrücke: Rechtsansicht, Rechtsgrund- sätze, Rechtsanschauung oder rechtliche Beurteilung vgl. Motive zu § 504 des Entw. (Hahn, Mat. I S. 372). — Erst dadurch, daſs das Ges. v. 1. April 1837 die Gebundenheit der Rechtsanschauung hinzugefügt hat, ist das französische Kassa- tionsurteil nachträglich rechtskraftfähig gemacht worden. Vorher ging die Sache immer ganz frisch von vorne an; vgl. oben § 14 Note 18. 16 Oben § 14 Note 24. Unter den „in dem Aufhebungsbeschlusse aufgestellten Grundsätzen“, welche maſsgebend sind für das Untergericht, sind nur „Rechts- grundsätze“ verstanden; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 101 Note 172. Gerade für derartige Fälle ist von einleuchtender Richtigkeit, was v. Stengel, Organis. S. 525, bemerkt, daſs nämlich „ohne die durch die Gründe dem Tenor gegebene Auslegung häufig gar nicht festgestellt werden kann, was eigentlich entschieden ist“. Das gilt auch für die nun folgenden Arten von Urteilen; V.G.H. 7. Dez. 1880 giebt darüber treffende Ausführungen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/222>, abgerufen am 02.05.2024.