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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
öffentlichen Interesses" bestellt wird, kann sich ergeben, dass es sich
hier nicht um Vertretung einer Partei handelt, sondern nur um Aus-
füllung der entsprechenden Rolle im Prozessverfahren13. Manche
Gesetzgebungen, welche auf die kontradiktorische Verhandlung weniger
Wert legen, sehen aber von der Zuziehung eines derartigen staats-
anwaltartigen Beamten überhaupt ab. Dann ist es ganz klar. Der
Einzelne, der hier eine Verwaltungsmassregel vor dem Verwaltungs-
gericht anficht oder sich wehrt gegen einen Nachteil, der ihm in Form
der Verwaltungsrechtspflege auferlegt wird, findet niemand sich gegen-
über als das Gericht selbst. Dann ist der Staat in dem Verfahren
als Partei nicht vertreten und soll nicht vertreten sei; freilich durch
das Gericht selbst ist er vertreten, aber das Gericht ist doch das
Gegenteil eines Parteivertreters. Es giebt wohl Parteirollen der Form
halber ohne Partei dahinter; aber soll hier eine Partei sein, für die
es gar keine Parteirolle giebt? Wie soll für eine solche "Partei"
Rechtskraft entstehen? Sie entsteht auch gar nicht für sie (unten
§ 15). Der Staat wird hier lediglich zur Ausfüllung des civilprozess-
rechtlichen Schemas von der Theorie als Partei fingiert14. Die Ver-

327 und vor allem sehr klar und treffend v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl.
S. 712.
13 Preuss. L.V.G. § 74 Abs. 1 u. 2; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 82
Note 134 u. 135; Parey, V.R. I S. 113.
14 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 712 schliesst mit Recht aus der
Thatsache, dass nach württemb. Recht für die wichtigste Gruppe von Verwaltungs-
streitsachen die Person eines Beklagten gar nicht zu bezeichnen ist, dass "das
Gesetz bei solchen keinen Beklagten in der Parteistellung kennt". Er verweist
S. 713 auf die bayr. Verwaltungsrechtspflege, in welcher sich ähnliche Erscheinungen
ergeben müssen. -- Seydel, Bayr. St.R. II S. 481, bestätigt die Thatsache, giebt
ihr aber eine andere Erklärung. Ein Rechtsstreit, sagt er, setzt notwendig streitende
Teile voraus. "Die beiden Streitteile können möglicherweise auch Prozessparteien
sein; aber notwendig ist dies nicht. Die Staatsgewalt als solche verzichtet in der
Regel ... auf die Stelle einer Partei im Prozess". Allein so steht die Sache
nicht. Der im Rechtsverband des Prozesses Begriffene, die Partei, kann ja darauf
verzichten, im Prozess vertreten zu sein; Partei bleibt er deshalb doch, und gerade
durch seine Unthätigkeit wirkt er, wie Bülow im Arch. f. civ. Pr. 62 S. 90 dies
schön ausführt, mit an der Gestaltung des Urteils. Der Verzicht aber, von dem
Seydel hier spricht, gehört zur ordentlichen Einrichtung des Verfahrens; die Staats-
gewalt soll darin keine Parteirolle führen, also hat ihr Fernbleiben auch keine
Wirkungen auf das Urteil. Eine Partei aber, deren Mitwirkung im Verfahren nicht
vermisst wird, ist keine. Und warum verzichtet die Staatsgewalt? Nach Seydel
deshalb, weil sie im Prozesse doch nichts anderes wollen kann als das Gericht
und weil wenigstens in den Unterinstanzen eben jene Behörde zugleich Ver-
waltungsgericht ist, durch deren in seinem Namen erlassenen Akt der Rechtsstreit
entstanden ist, weil er also nur zu gut schon vertreten ist. Mit diesem Gedanken-

§ 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen.
öffentlichen Interesses“ bestellt wird, kann sich ergeben, daſs es sich
hier nicht um Vertretung einer Partei handelt, sondern nur um Aus-
füllung der entsprechenden Rolle im Prozeſsverfahren13. Manche
Gesetzgebungen, welche auf die kontradiktorische Verhandlung weniger
Wert legen, sehen aber von der Zuziehung eines derartigen staats-
anwaltartigen Beamten überhaupt ab. Dann ist es ganz klar. Der
Einzelne, der hier eine Verwaltungsmaſsregel vor dem Verwaltungs-
gericht anficht oder sich wehrt gegen einen Nachteil, der ihm in Form
der Verwaltungsrechtspflege auferlegt wird, findet niemand sich gegen-
über als das Gericht selbst. Dann ist der Staat in dem Verfahren
als Partei nicht vertreten und soll nicht vertreten sei; freilich durch
das Gericht selbst ist er vertreten, aber das Gericht ist doch das
Gegenteil eines Parteivertreters. Es giebt wohl Parteirollen der Form
halber ohne Partei dahinter; aber soll hier eine Partei sein, für die
es gar keine Parteirolle giebt? Wie soll für eine solche „Partei“
Rechtskraft entstehen? Sie entsteht auch gar nicht für sie (unten
§ 15). Der Staat wird hier lediglich zur Ausfüllung des civilprozeſs-
rechtlichen Schemas von der Theorie als Partei fingiert14. Die Ver-

327 und vor allem sehr klar und treffend v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl.
S. 712.
13 Preuſs. L.V.G. § 74 Abs. 1 u. 2; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 82
Note 134 u. 135; Parey, V.R. I S. 113.
14 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 712 schlieſst mit Recht aus der
Thatsache, daſs nach württemb. Recht für die wichtigste Gruppe von Verwaltungs-
streitsachen die Person eines Beklagten gar nicht zu bezeichnen ist, daſs „das
Gesetz bei solchen keinen Beklagten in der Parteistellung kennt“. Er verweist
S. 713 auf die bayr. Verwaltungsrechtspflege, in welcher sich ähnliche Erscheinungen
ergeben müssen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 481, bestätigt die Thatsache, giebt
ihr aber eine andere Erklärung. Ein Rechtsstreit, sagt er, setzt notwendig streitende
Teile voraus. „Die beiden Streitteile können möglicherweise auch Prozeſsparteien
sein; aber notwendig ist dies nicht. Die Staatsgewalt als solche verzichtet in der
Regel … auf die Stelle einer Partei im Prozeſs“. Allein so steht die Sache
nicht. Der im Rechtsverband des Prozesses Begriffene, die Partei, kann ja darauf
verzichten, im Prozeſs vertreten zu sein; Partei bleibt er deshalb doch, und gerade
durch seine Unthätigkeit wirkt er, wie Bülow im Arch. f. civ. Pr. 62 S. 90 dies
schön ausführt, mit an der Gestaltung des Urteils. Der Verzicht aber, von dem
Seydel hier spricht, gehört zur ordentlichen Einrichtung des Verfahrens; die Staats-
gewalt soll darin keine Parteirolle führen, also hat ihr Fernbleiben auch keine
Wirkungen auf das Urteil. Eine Partei aber, deren Mitwirkung im Verfahren nicht
vermiſst wird, ist keine. Und warum verzichtet die Staatsgewalt? Nach Seydel
deshalb, weil sie im Prozesse doch nichts anderes wollen kann als das Gericht
und weil wenigstens in den Unterinstanzen eben jene Behörde zugleich Ver-
waltungsgericht ist, durch deren in seinem Namen erlassenen Akt der Rechtsstreit
entstanden ist, weil er also nur zu gut schon vertreten ist. Mit diesem Gedanken-
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[185/0205] § 14. Arten der Verwaltungsstreitsachen. öffentlichen Interesses“ bestellt wird, kann sich ergeben, daſs es sich hier nicht um Vertretung einer Partei handelt, sondern nur um Aus- füllung der entsprechenden Rolle im Prozeſsverfahren 13. Manche Gesetzgebungen, welche auf die kontradiktorische Verhandlung weniger Wert legen, sehen aber von der Zuziehung eines derartigen staats- anwaltartigen Beamten überhaupt ab. Dann ist es ganz klar. Der Einzelne, der hier eine Verwaltungsmaſsregel vor dem Verwaltungs- gericht anficht oder sich wehrt gegen einen Nachteil, der ihm in Form der Verwaltungsrechtspflege auferlegt wird, findet niemand sich gegen- über als das Gericht selbst. Dann ist der Staat in dem Verfahren als Partei nicht vertreten und soll nicht vertreten sei; freilich durch das Gericht selbst ist er vertreten, aber das Gericht ist doch das Gegenteil eines Parteivertreters. Es giebt wohl Parteirollen der Form halber ohne Partei dahinter; aber soll hier eine Partei sein, für die es gar keine Parteirolle giebt? Wie soll für eine solche „Partei“ Rechtskraft entstehen? Sie entsteht auch gar nicht für sie (unten § 15). Der Staat wird hier lediglich zur Ausfüllung des civilprozeſs- rechtlichen Schemas von der Theorie als Partei fingiert 14. Die Ver- 12 13 Preuſs. L.V.G. § 74 Abs. 1 u. 2; v. Brauchitsch, V.Gesetze I S. 82 Note 134 u. 135; Parey, V.R. I S. 113. 14 v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 712 schlieſst mit Recht aus der Thatsache, daſs nach württemb. Recht für die wichtigste Gruppe von Verwaltungs- streitsachen die Person eines Beklagten gar nicht zu bezeichnen ist, daſs „das Gesetz bei solchen keinen Beklagten in der Parteistellung kennt“. Er verweist S. 713 auf die bayr. Verwaltungsrechtspflege, in welcher sich ähnliche Erscheinungen ergeben müssen. — Seydel, Bayr. St.R. II S. 481, bestätigt die Thatsache, giebt ihr aber eine andere Erklärung. Ein Rechtsstreit, sagt er, setzt notwendig streitende Teile voraus. „Die beiden Streitteile können möglicherweise auch Prozeſsparteien sein; aber notwendig ist dies nicht. Die Staatsgewalt als solche verzichtet in der Regel … auf die Stelle einer Partei im Prozeſs“. Allein so steht die Sache nicht. Der im Rechtsverband des Prozesses Begriffene, die Partei, kann ja darauf verzichten, im Prozeſs vertreten zu sein; Partei bleibt er deshalb doch, und gerade durch seine Unthätigkeit wirkt er, wie Bülow im Arch. f. civ. Pr. 62 S. 90 dies schön ausführt, mit an der Gestaltung des Urteils. Der Verzicht aber, von dem Seydel hier spricht, gehört zur ordentlichen Einrichtung des Verfahrens; die Staats- gewalt soll darin keine Parteirolle führen, also hat ihr Fernbleiben auch keine Wirkungen auf das Urteil. Eine Partei aber, deren Mitwirkung im Verfahren nicht vermiſst wird, ist keine. Und warum verzichtet die Staatsgewalt? Nach Seydel deshalb, weil sie im Prozesse doch nichts anderes wollen kann als das Gericht und weil wenigstens in den Unterinstanzen eben jene Behörde zugleich Ver- waltungsgericht ist, durch deren in seinem Namen erlassenen Akt der Rechtsstreit entstanden ist, weil er also nur zu gut schon vertreten ist. Mit diesem Gedanken- 12 327 und vor allem sehr klar und treffend v. Sarwey, Öff. R. u. V.R.Pfl. S. 712.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/205>, abgerufen am 22.12.2024.