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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
pflege: wir haben ihn bereits kennen gelernt im Beschwerderecht
(oben § 12, I n. 3). Die Verwaltungsrechtspflege muss dem gegen-
über ein Mehr bedeuten.

Wenn das Vorbild des Klägers, der das Urteil verursacht, für die
Verwaltungsrechtspflege nicht ausreicht, so bietet der Civilprozess einen
umfassenderen Grundsatz, der auch die Rechtsstellung des Beklagten
begreift: den Anspruch auf rechtliches Gehör. Über niemand
darf ein Urteil gesprochen werden, ohne dass er vor der urteilenden
Behörde zu Worte gekommen wäre oder, wenn er wollte, dazu hätte
kommen können, um seine Interessen zu vertreten. Ist die Nicht-
beachtung des Anspruchs auf Rechtshülfe ein Unrecht gegen den
Berechtigten, als Rechtsverweigerung, so ist die Versagung des recht-
lichen Gehörs ein Unrecht, das die Rechtsungültigkeit des unter solchen
Umständen erlassenen Aktes herbeiführt. Allein die gleiche Form-
bedingung kann die Anhörung der Beteiligten auch ausserhalb der
Verwaltungsrechtspflege bedeuten. Das Gesetz schreibt sie bei mancher-
lei Verwaltungsakten vor mit der Wirkung, dass sie ungültig sind,
wenn diese Form nicht erfüllt ist; und doch werden diese Akte da-
durch nicht zu Akten der Verwaltungsrechtspflege, nicht zu Urteilen25.
Das rechtliche Gehör, das die Verwaltungsrechtspflege den Beteiligten
eröffnet, muss also mehr sein als eine blosse Bedingung der Gültigkeit.

Was der Anspruch auf rechtliches Gehör für die Verwaltungs-
rechtspflege wirklich bedeutet, wird erst klar durch einen anderen
Begriff, der mit ihr zusammenhängt, durch den Begriff der Rechts-
kraft
. Der in der Verwaltungsrechtspflege erzeugte Akt, das Ver-
waltungsurteil soll der Rechtskraft fähig sein wie das Civilurteil. Es
kann angefochten werden im Instanzenzug der Verwaltungsrechtspflege,
wie jenes in dem seinigen. Sofern das nicht geschieht oder nicht
mehr möglich ist, wird es rechtskräftig. Diese Rechtskraftfähigkeit
als eine besondere Eigenschaft des Verwaltungsurteils, mit der es sich
auszeichnet vor einfachen Verwaltungsakten, ist eine Thatsache,
über welche kein Streit besteht. Sie wird allgemein anerkannt26.

25 Über Ungültigkeit wegen Versagung des Gehörs innerhalb wie ausserhalb
der Verwaltungsrechtspflege: Krais, Handb. I S. 63; Seydel, Bayr. St.R. II
S. 394; V.G.H. 12. Okt. 1870 (Samml. II S. 94).
26 G. Meyer, V.R. I S. 65; Loening, V.R. S. 245 Note 2; v. Stengel
in Wörterbuch S. 792; v. Sarwey, Öff. u. V.R.Pfl. S. 733; Roesler in Grünh.
Ztschft. IV S. 268; v. Stengel, Preuss. Organis.Ges. S. 524; Seydel, Bayr. St.R.
II S. 393; Schmitt, Grundlagen der Verw.R.Pfl. S. 128; Laband, St.R. I
S. 397. Besonders kräftig Bad. V.G.H. 14. März 1871 (Samml. S. 92).

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
pflege: wir haben ihn bereits kennen gelernt im Beschwerderecht
(oben § 12, I n. 3). Die Verwaltungsrechtspflege muſs dem gegen-
über ein Mehr bedeuten.

Wenn das Vorbild des Klägers, der das Urteil verursacht, für die
Verwaltungsrechtspflege nicht ausreicht, so bietet der Civilprozeſs einen
umfassenderen Grundsatz, der auch die Rechtsstellung des Beklagten
begreift: den Anspruch auf rechtliches Gehör. Über niemand
darf ein Urteil gesprochen werden, ohne daſs er vor der urteilenden
Behörde zu Worte gekommen wäre oder, wenn er wollte, dazu hätte
kommen können, um seine Interessen zu vertreten. Ist die Nicht-
beachtung des Anspruchs auf Rechtshülfe ein Unrecht gegen den
Berechtigten, als Rechtsverweigerung, so ist die Versagung des recht-
lichen Gehörs ein Unrecht, das die Rechtsungültigkeit des unter solchen
Umständen erlassenen Aktes herbeiführt. Allein die gleiche Form-
bedingung kann die Anhörung der Beteiligten auch auſserhalb der
Verwaltungsrechtspflege bedeuten. Das Gesetz schreibt sie bei mancher-
lei Verwaltungsakten vor mit der Wirkung, daſs sie ungültig sind,
wenn diese Form nicht erfüllt ist; und doch werden diese Akte da-
durch nicht zu Akten der Verwaltungsrechtspflege, nicht zu Urteilen25.
Das rechtliche Gehör, das die Verwaltungsrechtspflege den Beteiligten
eröffnet, muſs also mehr sein als eine bloſse Bedingung der Gültigkeit.

Was der Anspruch auf rechtliches Gehör für die Verwaltungs-
rechtspflege wirklich bedeutet, wird erst klar durch einen anderen
Begriff, der mit ihr zusammenhängt, durch den Begriff der Rechts-
kraft
. Der in der Verwaltungsrechtspflege erzeugte Akt, das Ver-
waltungsurteil soll der Rechtskraft fähig sein wie das Civilurteil. Es
kann angefochten werden im Instanzenzug der Verwaltungsrechtspflege,
wie jenes in dem seinigen. Sofern das nicht geschieht oder nicht
mehr möglich ist, wird es rechtskräftig. Diese Rechtskraftfähigkeit
als eine besondere Eigenschaft des Verwaltungsurteils, mit der es sich
auszeichnet vor einfachen Verwaltungsakten, ist eine Thatsache,
über welche kein Streit besteht. Sie wird allgemein anerkannt26.

25 Über Ungültigkeit wegen Versagung des Gehörs innerhalb wie auſserhalb
der Verwaltungsrechtspflege: Krais, Handb. I S. 63; Seydel, Bayr. St.R. II
S. 394; V.G.H. 12. Okt. 1870 (Samml. II S. 94).
26 G. Meyer, V.R. I S. 65; Loening, V.R. S. 245 Note 2; v. Stengel
in Wörterbuch S. 792; v. Sarwey, Öff. u. V.R.Pfl. S. 733; Roesler in Grünh.
Ztschft. IV S. 268; v. Stengel, Preuſs. Organis.Ges. S. 524; Seydel, Bayr. St.R.
II S. 393; Schmitt, Grundlagen der Verw.R.Pfl. S. 128; Laband, St.R. I
S. 397. Besonders kräftig Bad. V.G.H. 14. März 1871 (Samml. S. 92).
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[174/0194] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. pflege: wir haben ihn bereits kennen gelernt im Beschwerderecht (oben § 12, I n. 3). Die Verwaltungsrechtspflege muſs dem gegen- über ein Mehr bedeuten. Wenn das Vorbild des Klägers, der das Urteil verursacht, für die Verwaltungsrechtspflege nicht ausreicht, so bietet der Civilprozeſs einen umfassenderen Grundsatz, der auch die Rechtsstellung des Beklagten begreift: den Anspruch auf rechtliches Gehör. Über niemand darf ein Urteil gesprochen werden, ohne daſs er vor der urteilenden Behörde zu Worte gekommen wäre oder, wenn er wollte, dazu hätte kommen können, um seine Interessen zu vertreten. Ist die Nicht- beachtung des Anspruchs auf Rechtshülfe ein Unrecht gegen den Berechtigten, als Rechtsverweigerung, so ist die Versagung des recht- lichen Gehörs ein Unrecht, das die Rechtsungültigkeit des unter solchen Umständen erlassenen Aktes herbeiführt. Allein die gleiche Form- bedingung kann die Anhörung der Beteiligten auch auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege bedeuten. Das Gesetz schreibt sie bei mancher- lei Verwaltungsakten vor mit der Wirkung, daſs sie ungültig sind, wenn diese Form nicht erfüllt ist; und doch werden diese Akte da- durch nicht zu Akten der Verwaltungsrechtspflege, nicht zu Urteilen 25. Das rechtliche Gehör, das die Verwaltungsrechtspflege den Beteiligten eröffnet, muſs also mehr sein als eine bloſse Bedingung der Gültigkeit. Was der Anspruch auf rechtliches Gehör für die Verwaltungs- rechtspflege wirklich bedeutet, wird erst klar durch einen anderen Begriff, der mit ihr zusammenhängt, durch den Begriff der Rechts- kraft. Der in der Verwaltungsrechtspflege erzeugte Akt, das Ver- waltungsurteil soll der Rechtskraft fähig sein wie das Civilurteil. Es kann angefochten werden im Instanzenzug der Verwaltungsrechtspflege, wie jenes in dem seinigen. Sofern das nicht geschieht oder nicht mehr möglich ist, wird es rechtskräftig. Diese Rechtskraftfähigkeit als eine besondere Eigenschaft des Verwaltungsurteils, mit der es sich auszeichnet vor einfachen Verwaltungsakten, ist eine Thatsache, über welche kein Streit besteht. Sie wird allgemein anerkannt 26. 25 Über Ungültigkeit wegen Versagung des Gehörs innerhalb wie auſserhalb der Verwaltungsrechtspflege: Krais, Handb. I S. 63; Seydel, Bayr. St.R. II S. 394; V.G.H. 12. Okt. 1870 (Samml. II S. 94). 26 G. Meyer, V.R. I S. 65; Loening, V.R. S. 245 Note 2; v. Stengel in Wörterbuch S. 792; v. Sarwey, Öff. u. V.R.Pfl. S. 733; Roesler in Grünh. Ztschft. IV S. 268; v. Stengel, Preuſs. Organis.Ges. S. 524; Seydel, Bayr. St.R. II S. 393; Schmitt, Grundlagen der Verw.R.Pfl. S. 128; Laband, St.R. I S. 397. Besonders kräftig Bad. V.G.H. 14. März 1871 (Samml. S. 92).

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/194>, abgerufen am 30.04.2024.