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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 12. Das Beschwerderecht.
ist sie die höhere Verwaltungsstufe, die Oberinstanz, die auch von
Amtswegen berufen sein kann, einzugreifen in die Thätigkeit der
unteren, um an ihrer Stelle mit rechtlich überwiegendem Willen
zu bestimmen, was Rechtens sein soll. Dann ändert sie durch ihren
Beschluss den der unteren Behörde unmittelbar und setzt gegebenen
Falles an seine Stelle das Neue, das sie bestimmt hat.

Die eine wie die andere Art von Eingreifen der Oberbehörde hat
ihre Grenzen an denen der eigenen Zuständigkeiten der Unterbehörde:
sie kann Abänderungen weder befehlen, noch selbst vornehmen, die
diese nicht machen könnte, von besonderen gesetzlichen Ermächtig-
ungen natürlich abgesehen. Ihr Abänderungsrecht in beiderlei Ge-
stalt kann sie ausüben zum Schutz eines benachteiligten Einzelnen,
ob er in seinen Rechten oder ob er bloss in seinen Interessen ver-
letzt ist. Einen Rechtsschutz gemäss unserem Begriff stellt jeden-
falls auch das nicht vor.

Für alle diese Abänderungsmöglichkeiten gilt aber eine oberste
Regel: die nämlich, dass nicht leichthin davon Gebrauch gemacht
werden soll. Das versteht sich auch ohne besondere Vorschrift nach
der ganzen Absicht der Behördeneinrichtung. Wenn eine Behörde
einen Beschluss fasst oder sonst eine Massregel trifft, so hat sie die
Sache geprüft in rechtlicher und thatsächlicher Hinsicht und will sie
demgemäss erledigt haben. Es wäre gegen die gute Ordnung, wenn
sie jeden Augenblick wieder auf diese Prüfung zurückkommen wollte,
um nötigen Falls abzuändern. Damit sie überhaupt noch einmal da-
ran gehe, bedarf es eines besonderen Grundes, der sie dazu ver-
anlasst, eines erheblichen Bedenkens, das gegen die Richtigkeit ihres
Beschlusses entsteht. Und die nämliche Zurückhaltung wird auch die
obere Behörde mit ihrem Abänderungsrechte beobachten; ohne be-
sonderen Anlass nimmt sie keine Nachprüfung und folglich keine Ab-
änderung vor5.

2. Der Beteiligte kann sich mit geeigneten Vorstellungen an die
abänderungsberechtigte Behörde wenden, damit sie von dieser Zu-
ständigkeit zu seinen Gunsten Gebrauch macht.

5 Dieser Grundsatz wird in der bayrischen Praxis damit ausgedrückt, dass
ein Eingreifen von Amtswegen in unterbehördliche Entscheidungen nur zulässig
sein soll "bei offenbarer und ernstlicher Gefährdung öffentlicher Interessen" (Krais,
Handb. der inneren V. I S. 62), oder "wenn durch einen Akt der Unterbehörde
das öffentliche Interesse oder das bestehende Recht in erheblichem Masse verletzt
worden ist" (Seydel, Bayr. St.R. II S. 394).

§ 12. Das Beschwerderecht.
ist sie die höhere Verwaltungsstufe, die Oberinstanz, die auch von
Amtswegen berufen sein kann, einzugreifen in die Thätigkeit der
unteren, um an ihrer Stelle mit rechtlich überwiegendem Willen
zu bestimmen, was Rechtens sein soll. Dann ändert sie durch ihren
Beschluſs den der unteren Behörde unmittelbar und setzt gegebenen
Falles an seine Stelle das Neue, das sie bestimmt hat.

Die eine wie die andere Art von Eingreifen der Oberbehörde hat
ihre Grenzen an denen der eigenen Zuständigkeiten der Unterbehörde:
sie kann Abänderungen weder befehlen, noch selbst vornehmen, die
diese nicht machen könnte, von besonderen gesetzlichen Ermächtig-
ungen natürlich abgesehen. Ihr Abänderungsrecht in beiderlei Ge-
stalt kann sie ausüben zum Schutz eines benachteiligten Einzelnen,
ob er in seinen Rechten oder ob er bloſs in seinen Interessen ver-
letzt ist. Einen Rechtsschutz gemäſs unserem Begriff stellt jeden-
falls auch das nicht vor.

Für alle diese Abänderungsmöglichkeiten gilt aber eine oberste
Regel: die nämlich, daſs nicht leichthin davon Gebrauch gemacht
werden soll. Das versteht sich auch ohne besondere Vorschrift nach
der ganzen Absicht der Behördeneinrichtung. Wenn eine Behörde
einen Beschluſs faſst oder sonst eine Maſsregel trifft, so hat sie die
Sache geprüft in rechtlicher und thatsächlicher Hinsicht und will sie
demgemäſs erledigt haben. Es wäre gegen die gute Ordnung, wenn
sie jeden Augenblick wieder auf diese Prüfung zurückkommen wollte,
um nötigen Falls abzuändern. Damit sie überhaupt noch einmal da-
ran gehe, bedarf es eines besonderen Grundes, der sie dazu ver-
anlaſst, eines erheblichen Bedenkens, das gegen die Richtigkeit ihres
Beschlusses entsteht. Und die nämliche Zurückhaltung wird auch die
obere Behörde mit ihrem Abänderungsrechte beobachten; ohne be-
sonderen Anlaſs nimmt sie keine Nachprüfung und folglich keine Ab-
änderung vor5.

2. Der Beteiligte kann sich mit geeigneten Vorstellungen an die
abänderungsberechtigte Behörde wenden, damit sie von dieser Zu-
ständigkeit zu seinen Gunsten Gebrauch macht.

5 Dieser Grundsatz wird in der bayrischen Praxis damit ausgedrückt, daſs
ein Eingreifen von Amtswegen in unterbehördliche Entscheidungen nur zulässig
sein soll „bei offenbarer und ernstlicher Gefährdung öffentlicher Interessen“ (Krais,
Handb. der inneren V. I S. 62), oder „wenn durch einen Akt der Unterbehörde
das öffentliche Interesse oder das bestehende Recht in erheblichem Maſse verletzt
worden ist“ (Seydel, Bayr. St.R. II S. 394).
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[151/0171] § 12. Das Beschwerderecht. ist sie die höhere Verwaltungsstufe, die Oberinstanz, die auch von Amtswegen berufen sein kann, einzugreifen in die Thätigkeit der unteren, um an ihrer Stelle mit rechtlich überwiegendem Willen zu bestimmen, was Rechtens sein soll. Dann ändert sie durch ihren Beschluſs den der unteren Behörde unmittelbar und setzt gegebenen Falles an seine Stelle das Neue, das sie bestimmt hat. Die eine wie die andere Art von Eingreifen der Oberbehörde hat ihre Grenzen an denen der eigenen Zuständigkeiten der Unterbehörde: sie kann Abänderungen weder befehlen, noch selbst vornehmen, die diese nicht machen könnte, von besonderen gesetzlichen Ermächtig- ungen natürlich abgesehen. Ihr Abänderungsrecht in beiderlei Ge- stalt kann sie ausüben zum Schutz eines benachteiligten Einzelnen, ob er in seinen Rechten oder ob er bloſs in seinen Interessen ver- letzt ist. Einen Rechtsschutz gemäſs unserem Begriff stellt jeden- falls auch das nicht vor. Für alle diese Abänderungsmöglichkeiten gilt aber eine oberste Regel: die nämlich, daſs nicht leichthin davon Gebrauch gemacht werden soll. Das versteht sich auch ohne besondere Vorschrift nach der ganzen Absicht der Behördeneinrichtung. Wenn eine Behörde einen Beschluſs faſst oder sonst eine Maſsregel trifft, so hat sie die Sache geprüft in rechtlicher und thatsächlicher Hinsicht und will sie demgemäſs erledigt haben. Es wäre gegen die gute Ordnung, wenn sie jeden Augenblick wieder auf diese Prüfung zurückkommen wollte, um nötigen Falls abzuändern. Damit sie überhaupt noch einmal da- ran gehe, bedarf es eines besonderen Grundes, der sie dazu ver- anlaſst, eines erheblichen Bedenkens, das gegen die Richtigkeit ihres Beschlusses entsteht. Und die nämliche Zurückhaltung wird auch die obere Behörde mit ihrem Abänderungsrechte beobachten; ohne be- sonderen Anlaſs nimmt sie keine Nachprüfung und folglich keine Ab- änderung vor 5. 2. Der Beteiligte kann sich mit geeigneten Vorstellungen an die abänderungsberechtigte Behörde wenden, damit sie von dieser Zu- ständigkeit zu seinen Gunsten Gebrauch macht. 5 Dieser Grundsatz wird in der bayrischen Praxis damit ausgedrückt, daſs ein Eingreifen von Amtswegen in unterbehördliche Entscheidungen nur zulässig sein soll „bei offenbarer und ernstlicher Gefährdung öffentlicher Interessen“ (Krais, Handb. der inneren V. I S. 62), oder „wenn durch einen Akt der Unterbehörde das öffentliche Interesse oder das bestehende Recht in erheblichem Maſse verletzt worden ist“ (Seydel, Bayr. St.R. II S. 394).

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/171>, abgerufen am 30.04.2024.