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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
eröffnet ist, der Weg vor den ordentlichen Gerichten (unten § 16
und 17)4.

I. Es handelt sich bei der Beschwerde um die Beseitigung
eines Nachteils, welcher dem Einzelnen aus der Verwaltung zugeht.
Und zwar soll es nicht geschehen, weil neue Beweggründe eintreten,
um das Verfahren anders zu bestimmen, sondern weil das eingehaltene
nicht hätte sein sollen. Eine Missbilligung und daraus hervor-
gehende Abänderung ist in Frage. Die Missbilligung kann ge-
schehen wegen Rechtswidrigkeit oder wegen Nichtübereinstimmung mit
den wohlverstandenen Aufgaben der Verwaltung in Bezug auf Wahrung
des öffentlichen und Schonung des Privatinteresses. Der Nachteil
kann zugefügt sein durch thatsächliches Vorgehen oder durch Un-
thätigkeit oder durch eine Willensäusserung, einen Beschluss. Unter
dem Namen Beschluss erscheint hier in der Lehre vom Verfahren
und vom Rechtsschutz der Verwaltungsakt. Wir halten uns der Ein-
fachheit halber an diesen Hauptfall.

1. Die Beschlüsse, welche eine Verwaltungsbehörde fasst, sind
auch ohne Beschwerde abänderbar auf verschiedenen Wegen.

Sie kann sie selbst zurücknehmen. Darin ist sie nur soweit
beschränkt, als etwa das Gesetz die Zurücknahme ausschliesst oder
Rechte durch ihren Beschluss begründet worden sind (oben § 9, III
n. 1). Die Zurücknahme kann insbesondere auch erfolgen mit
Rücksicht auf den Nachteil, der daraus einem Einzelnen entsteht und
weil der Beschluss deshalb nicht hätte ergehen sollen, von Rechts-
wegen oder nach richtiger Erwägung der Umstände. Insofern wird
diese Zurücknahmemöglichkeit ein Schutz der Einzelinteressen, aber
deshalb ist sie noch kein Rechtsschutzinstitut.

Die Verwaltungsorganisation hat aber ausserdem noch den ver-
waltenden Behörden durchweg ihre ordentlichen Oberbehörden
gegeben, die ihnen gegenüber mit einer gewissen Macht ausgestattet
sind, um eine Änderung ihrer Beschlüsse herbeizuführen. Diese
Macht ist eine doppelte. Die Oberbehörde ist Dienstbehörde der unter-
geordneten und kann ihr durch Dienstbefehl bestimmen, was sie
zu thun hat. Sie kann also insbesondere auch die Zurücknahme eines
Beschlusses anordnen, der einen Einzelnen beschwert. Sodann aber

4 Rechtsweg bedeutet ursprünglich nichts anderes als Gerichtsweg. Ordent-
liche Gerichte sind die Civilgerichte eigentlich nur in Civilsachen. Parey, Preuss.
V.R. I S. 3 Note, hat nicht Unrecht, wenn er sich namens der Verwaltungs-
gerichte gegen die verallgemeinernde Titulierung verwahrt. Sie ist eben geschicht-
lich überkommen.

Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen.
eröffnet ist, der Weg vor den ordentlichen Gerichten (unten § 16
und 17)4.

I. Es handelt sich bei der Beschwerde um die Beseitigung
eines Nachteils, welcher dem Einzelnen aus der Verwaltung zugeht.
Und zwar soll es nicht geschehen, weil neue Beweggründe eintreten,
um das Verfahren anders zu bestimmen, sondern weil das eingehaltene
nicht hätte sein sollen. Eine Miſsbilligung und daraus hervor-
gehende Abänderung ist in Frage. Die Miſsbilligung kann ge-
schehen wegen Rechtswidrigkeit oder wegen Nichtübereinstimmung mit
den wohlverstandenen Aufgaben der Verwaltung in Bezug auf Wahrung
des öffentlichen und Schonung des Privatinteresses. Der Nachteil
kann zugefügt sein durch thatsächliches Vorgehen oder durch Un-
thätigkeit oder durch eine Willensäuſserung, einen Beschluſs. Unter
dem Namen Beschluſs erscheint hier in der Lehre vom Verfahren
und vom Rechtsschutz der Verwaltungsakt. Wir halten uns der Ein-
fachheit halber an diesen Hauptfall.

1. Die Beschlüsse, welche eine Verwaltungsbehörde faſst, sind
auch ohne Beschwerde abänderbar auf verschiedenen Wegen.

Sie kann sie selbst zurücknehmen. Darin ist sie nur soweit
beschränkt, als etwa das Gesetz die Zurücknahme ausschlieſst oder
Rechte durch ihren Beschluſs begründet worden sind (oben § 9, III
n. 1). Die Zurücknahme kann insbesondere auch erfolgen mit
Rücksicht auf den Nachteil, der daraus einem Einzelnen entsteht und
weil der Beschluſs deshalb nicht hätte ergehen sollen, von Rechts-
wegen oder nach richtiger Erwägung der Umstände. Insofern wird
diese Zurücknahmemöglichkeit ein Schutz der Einzelinteressen, aber
deshalb ist sie noch kein Rechtsschutzinstitut.

Die Verwaltungsorganisation hat aber auſserdem noch den ver-
waltenden Behörden durchweg ihre ordentlichen Oberbehörden
gegeben, die ihnen gegenüber mit einer gewissen Macht ausgestattet
sind, um eine Änderung ihrer Beschlüsse herbeizuführen. Diese
Macht ist eine doppelte. Die Oberbehörde ist Dienstbehörde der unter-
geordneten und kann ihr durch Dienstbefehl bestimmen, was sie
zu thun hat. Sie kann also insbesondere auch die Zurücknahme eines
Beschlusses anordnen, der einen Einzelnen beschwert. Sodann aber

4 Rechtsweg bedeutet ursprünglich nichts anderes als Gerichtsweg. Ordent-
liche Gerichte sind die Civilgerichte eigentlich nur in Civilsachen. Parey, Preuſs.
V.R. I S. 3 Note, hat nicht Unrecht, wenn er sich namens der Verwaltungs-
gerichte gegen die verallgemeinernde Titulierung verwahrt. Sie ist eben geschicht-
lich überkommen.
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[150/0170] Der Rechtsschutz in Verwaltungssachen. eröffnet ist, der Weg vor den ordentlichen Gerichten (unten § 16 und 17) 4. I. Es handelt sich bei der Beschwerde um die Beseitigung eines Nachteils, welcher dem Einzelnen aus der Verwaltung zugeht. Und zwar soll es nicht geschehen, weil neue Beweggründe eintreten, um das Verfahren anders zu bestimmen, sondern weil das eingehaltene nicht hätte sein sollen. Eine Miſsbilligung und daraus hervor- gehende Abänderung ist in Frage. Die Miſsbilligung kann ge- schehen wegen Rechtswidrigkeit oder wegen Nichtübereinstimmung mit den wohlverstandenen Aufgaben der Verwaltung in Bezug auf Wahrung des öffentlichen und Schonung des Privatinteresses. Der Nachteil kann zugefügt sein durch thatsächliches Vorgehen oder durch Un- thätigkeit oder durch eine Willensäuſserung, einen Beschluſs. Unter dem Namen Beschluſs erscheint hier in der Lehre vom Verfahren und vom Rechtsschutz der Verwaltungsakt. Wir halten uns der Ein- fachheit halber an diesen Hauptfall. 1. Die Beschlüsse, welche eine Verwaltungsbehörde faſst, sind auch ohne Beschwerde abänderbar auf verschiedenen Wegen. Sie kann sie selbst zurücknehmen. Darin ist sie nur soweit beschränkt, als etwa das Gesetz die Zurücknahme ausschlieſst oder Rechte durch ihren Beschluſs begründet worden sind (oben § 9, III n. 1). Die Zurücknahme kann insbesondere auch erfolgen mit Rücksicht auf den Nachteil, der daraus einem Einzelnen entsteht und weil der Beschluſs deshalb nicht hätte ergehen sollen, von Rechts- wegen oder nach richtiger Erwägung der Umstände. Insofern wird diese Zurücknahmemöglichkeit ein Schutz der Einzelinteressen, aber deshalb ist sie noch kein Rechtsschutzinstitut. Die Verwaltungsorganisation hat aber auſserdem noch den ver- waltenden Behörden durchweg ihre ordentlichen Oberbehörden gegeben, die ihnen gegenüber mit einer gewissen Macht ausgestattet sind, um eine Änderung ihrer Beschlüsse herbeizuführen. Diese Macht ist eine doppelte. Die Oberbehörde ist Dienstbehörde der unter- geordneten und kann ihr durch Dienstbefehl bestimmen, was sie zu thun hat. Sie kann also insbesondere auch die Zurücknahme eines Beschlusses anordnen, der einen Einzelnen beschwert. Sodann aber 4 Rechtsweg bedeutet ursprünglich nichts anderes als Gerichtsweg. Ordent- liche Gerichte sind die Civilgerichte eigentlich nur in Civilsachen. Parey, Preuſs. V.R. I S. 3 Note, hat nicht Unrecht, wenn er sich namens der Verwaltungs- gerichte gegen die verallgemeinernde Titulierung verwahrt. Sie ist eben geschicht- lich überkommen.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/170>, abgerufen am 30.04.2024.