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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, dass man damit einen
sicheren Massstab gewonnen hätte, mit welchem sich nun alle Grenz-
streitigkeiten von selbst lösten.

Wann ist das der Fall, dass der Staat privatwirtschaftlich auf-
tritt, wie ein Privater? Wenn er z. B. Waren verkauft, ist es leicht
einzusehen und umgekehrt, wenn er Steuern auflegt und dergleichen,
ist das Gegenteil unverkennbar. Die Schwierigkeit liegt auf dem
Zwischengebiet: wenn der Staat Leute in seinen Dienst nimmt mit
ihrer Einwilligung, öffentliche Unternehmungen oder besondere
Nutzungen an öffentlichen Sachen verleiht, die Benutzung öffentlicher
Anstalten gewährt und Gebühren dafür in Anspruch nimmt, Ent-
schädigungen schuldig wird, Unterstützungen zusagt u. s. w., -- da
lässt uns die schöne allgemeine Formel meist im Stich; sie passt
wohl, aber sie passt für die eine wie für die andere Entscheidung.
Wer behaupten will, der Staat trete hier überall privatwirtschaftlich
auf, kann mordicus darauf stehen bleiben, und wer das Gegenteil sagt,
ist auch nicht zu widerlegen. Daher sehen wir, trotz aller Einigkeit
über den massgebenden Unterscheidungsgrundsatz, bei der Zuteilung
der einzelnen Erscheinung zur einen oder zur andern Seite nichts
als den hellen Zwiespalt.

Dieser Zwiespalt ist freilich in den allermeisten Fällen ziemlich
unschädlich, deshalb weil man mit der Aussage: Verwaltungsrechts-
institut oder nicht, ohnehin keinen so scharfen Gegensatz verbindet.
Wir aber thun das und müssen es thun nach der oben gegebenen
Begriffsbestimmung. Uns giebt aber zugleich eben dieser Begriff des
Verwaltungsrechtsinstituts ein sicheres Mittel in die Hand, um die
Grenze zu bestimmen.

Der Unterscheidungsgrundsatz, wie er gewöhnlich aufgestellt
wird, ist richtig und im geltenden Rechte begründet. Aber die
richtige Anwendung davon ist nicht die, zu welcher wir uns je nach
unserer grösseren Neigung zu civilrechtlicher oder zu öffentlichrecht-
licher Auffassung der Staatsthätigkeit bestimmen lassen, sondern auch

verkehr der Einzelnen möglich ist"; Leuthold in Annalen 1884 S. 361: "Rechts-
verhältnisse ... inhaltlich so beschaffen, dass sie an sich ... auch zwischen
Privatpersonen bestehen können". Sehr häufig allerdings geht man bei diesen
Sätzen im Kreise herum, indem man für die Anwendbarkeit des Civilrechts ver-
langt, der Staat müsse schon privatrechtlich aufgetreten sein; privatwirtschaftlich
muss es heissen. So namentlich Thon, Rechtsnorm S. 140, und besonders schroff
Muth, Beiträge zur Lehre von den Pfarrgemeinden I S. 21, wonach es "fast all-
gemein als feststehend angenommener Satz" ist: "auf dem Gebiete des Privatrechts
unterliegt die Kirche dem Civilrecht".
§ 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht.

Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, daſs man damit einen
sicheren Maſsstab gewonnen hätte, mit welchem sich nun alle Grenz-
streitigkeiten von selbst lösten.

Wann ist das der Fall, daſs der Staat privatwirtschaftlich auf-
tritt, wie ein Privater? Wenn er z. B. Waren verkauft, ist es leicht
einzusehen und umgekehrt, wenn er Steuern auflegt und dergleichen,
ist das Gegenteil unverkennbar. Die Schwierigkeit liegt auf dem
Zwischengebiet: wenn der Staat Leute in seinen Dienst nimmt mit
ihrer Einwilligung, öffentliche Unternehmungen oder besondere
Nutzungen an öffentlichen Sachen verleiht, die Benutzung öffentlicher
Anstalten gewährt und Gebühren dafür in Anspruch nimmt, Ent-
schädigungen schuldig wird, Unterstützungen zusagt u. s. w., — da
läſst uns die schöne allgemeine Formel meist im Stich; sie paſst
wohl, aber sie paſst für die eine wie für die andere Entscheidung.
Wer behaupten will, der Staat trete hier überall privatwirtschaftlich
auf, kann mordicus darauf stehen bleiben, und wer das Gegenteil sagt,
ist auch nicht zu widerlegen. Daher sehen wir, trotz aller Einigkeit
über den maſsgebenden Unterscheidungsgrundsatz, bei der Zuteilung
der einzelnen Erscheinung zur einen oder zur andern Seite nichts
als den hellen Zwiespalt.

Dieser Zwiespalt ist freilich in den allermeisten Fällen ziemlich
unschädlich, deshalb weil man mit der Aussage: Verwaltungsrechts-
institut oder nicht, ohnehin keinen so scharfen Gegensatz verbindet.
Wir aber thun das und müssen es thun nach der oben gegebenen
Begriffsbestimmung. Uns giebt aber zugleich eben dieser Begriff des
Verwaltungsrechtsinstituts ein sicheres Mittel in die Hand, um die
Grenze zu bestimmen.

Der Unterscheidungsgrundsatz, wie er gewöhnlich aufgestellt
wird, ist richtig und im geltenden Rechte begründet. Aber die
richtige Anwendung davon ist nicht die, zu welcher wir uns je nach
unserer gröſseren Neigung zu civilrechtlicher oder zu öffentlichrecht-
licher Auffassung der Staatsthätigkeit bestimmen lassen, sondern auch

verkehr der Einzelnen möglich ist“; Leuthold in Annalen 1884 S. 361: „Rechts-
verhältnisse … inhaltlich so beschaffen, daſs sie an sich … auch zwischen
Privatpersonen bestehen können“. Sehr häufig allerdings geht man bei diesen
Sätzen im Kreise herum, indem man für die Anwendbarkeit des Civilrechts ver-
langt, der Staat müsse schon privatrechtlich aufgetreten sein; privatwirtschaftlich
muſs es heiſsen. So namentlich Thon, Rechtsnorm S. 140, und besonders schroff
Muth, Beiträge zur Lehre von den Pfarrgemeinden I S. 21, wonach es „fast all-
gemein als feststehend angenommener Satz“ ist: „auf dem Gebiete des Privatrechts
unterliegt die Kirche dem Civilrecht“.
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[139/0159] § 11. Das Verwaltungsrechtsinstitut und die Scheidung vom Civilrecht. Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, daſs man damit einen sicheren Maſsstab gewonnen hätte, mit welchem sich nun alle Grenz- streitigkeiten von selbst lösten. Wann ist das der Fall, daſs der Staat privatwirtschaftlich auf- tritt, wie ein Privater? Wenn er z. B. Waren verkauft, ist es leicht einzusehen und umgekehrt, wenn er Steuern auflegt und dergleichen, ist das Gegenteil unverkennbar. Die Schwierigkeit liegt auf dem Zwischengebiet: wenn der Staat Leute in seinen Dienst nimmt mit ihrer Einwilligung, öffentliche Unternehmungen oder besondere Nutzungen an öffentlichen Sachen verleiht, die Benutzung öffentlicher Anstalten gewährt und Gebühren dafür in Anspruch nimmt, Ent- schädigungen schuldig wird, Unterstützungen zusagt u. s. w., — da läſst uns die schöne allgemeine Formel meist im Stich; sie paſst wohl, aber sie paſst für die eine wie für die andere Entscheidung. Wer behaupten will, der Staat trete hier überall privatwirtschaftlich auf, kann mordicus darauf stehen bleiben, und wer das Gegenteil sagt, ist auch nicht zu widerlegen. Daher sehen wir, trotz aller Einigkeit über den maſsgebenden Unterscheidungsgrundsatz, bei der Zuteilung der einzelnen Erscheinung zur einen oder zur andern Seite nichts als den hellen Zwiespalt. Dieser Zwiespalt ist freilich in den allermeisten Fällen ziemlich unschädlich, deshalb weil man mit der Aussage: Verwaltungsrechts- institut oder nicht, ohnehin keinen so scharfen Gegensatz verbindet. Wir aber thun das und müssen es thun nach der oben gegebenen Begriffsbestimmung. Uns giebt aber zugleich eben dieser Begriff des Verwaltungsrechtsinstituts ein sicheres Mittel in die Hand, um die Grenze zu bestimmen. Der Unterscheidungsgrundsatz, wie er gewöhnlich aufgestellt wird, ist richtig und im geltenden Rechte begründet. Aber die richtige Anwendung davon ist nicht die, zu welcher wir uns je nach unserer gröſseren Neigung zu civilrechtlicher oder zu öffentlichrecht- licher Auffassung der Staatsthätigkeit bestimmen lassen, sondern auch 5 5 verkehr der Einzelnen möglich ist“; Leuthold in Annalen 1884 S. 361: „Rechts- verhältnisse … inhaltlich so beschaffen, daſs sie an sich … auch zwischen Privatpersonen bestehen können“. Sehr häufig allerdings geht man bei diesen Sätzen im Kreise herum, indem man für die Anwendbarkeit des Civilrechts ver- langt, der Staat müsse schon privatrechtlich aufgetreten sein; privatwirtschaftlich muſs es heiſsen. So namentlich Thon, Rechtsnorm S. 140, und besonders schroff Muth, Beiträge zur Lehre von den Pfarrgemeinden I S. 21, wonach es „fast all- gemein als feststehend angenommener Satz“ ist: „auf dem Gebiete des Privatrechts unterliegt die Kirche dem Civilrecht“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/159>, abgerufen am 30.04.2024.