"Ein Mann erschrickt nie vor dem Tode, denn der Tod ist der Freund des Menschen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer ist es?"
"Pir Kamek."
Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber keiner sagte ein Wort. Auch jetzt sprach Mir Scheik Khan zuerst wieder.
"Ewlija dejischtirmis -- der Heilige ist verwandelt. Chüda bujurdi -- Gott hat es gewollt! Erzähle uns seinen Tod!"
Ich berichtete so ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:
"Brüder, laßt uns seiner gedenken!"
Sie senkten die Köpfe tief herab. Beteten sie? Ich weiß es nicht; aber ich sah, daß die Augen mehrerer sich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war. Man hat behauptet, daß nur der Deutsche das besitze, was man "Gemüt" nennt. Wenn dies wahr sein sollte, so waren diese Dschesidi den Deutschen sehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die gött- liche Milde und Klarheit des Christentums die Schatten ihrer Thäler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge ver- golden dürfte!
Erst nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, so daß ich wieder zu ihnen reden konnte.
"Nun sendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen. Er will es versuchen, ob die Ueberreste des Heiligen noch zu finden seien, damit sie in diesem Falle heute noch be- graben werden."
"Ja, das ist eine wichtige Aufgabe, welche wir zu lösen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen!"
„Ein Mann erſchrickt nie vor dem Tode, denn der Tod iſt der Freund des Menſchen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer iſt es?“
„Pir Kamek.“
Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber keiner ſagte ein Wort. Auch jetzt ſprach Mir Scheik Khan zuerſt wieder.
„Ewlija dejiſchtirmis — der Heilige iſt verwandelt. Chüda bujurdi — Gott hat es gewollt! Erzähle uns ſeinen Tod!“
Ich berichtete ſo ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:
„Brüder, laßt uns ſeiner gedenken!“
Sie ſenkten die Köpfe tief herab. Beteten ſie? Ich weiß es nicht; aber ich ſah, daß die Augen mehrerer ſich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war. Man hat behauptet, daß nur der Deutſche das beſitze, was man „Gemüt“ nennt. Wenn dies wahr ſein ſollte, ſo waren dieſe Dſcheſidi den Deutſchen ſehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die gött- liche Milde und Klarheit des Chriſtentums die Schatten ihrer Thäler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge ver- golden dürfte!
Erſt nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, ſo daß ich wieder zu ihnen reden konnte.
„Nun ſendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen. Er will es verſuchen, ob die Ueberreſte des Heiligen noch zu finden ſeien, damit ſie in dieſem Falle heute noch be- graben werden.“
„Ja, das iſt eine wichtige Aufgabe, welche wir zu löſen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen!“
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„Ein Mann erſchrickt nie vor dem Tode, denn der
Tod iſt der Freund des Menſchen, das Ende der Sünde
und der Anfang der Seligkeit. Wer iſt es?“
„Pir Kamek.“
Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen
Schmerze, aber keiner ſagte ein Wort. Auch jetzt ſprach
Mir Scheik Khan zuerſt wieder.
„Ewlija dejiſchtirmis — der Heilige iſt verwandelt.
Chüda bujurdi — Gott hat es gewollt! Erzähle uns
ſeinen Tod!“
Ich berichtete ſo ausführlich, als ich nur konnte. Sie
hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:
„Brüder, laßt uns ſeiner gedenken!“
Sie ſenkten die Köpfe tief herab. Beteten ſie? Ich
weiß es nicht; aber ich ſah, daß die Augen mehrerer ſich
befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und
herzliche war. Man hat behauptet, daß nur der Deutſche
das beſitze, was man „Gemüt“ nennt. Wenn dies wahr
ſein ſollte, ſo waren dieſe Dſcheſidi den Deutſchen ſehr
ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die gött-
liche Milde und Klarheit des Chriſtentums die Schatten
ihrer Thäler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge ver-
golden dürfte!
Erſt nach einer längeren Weile wich ihre Andacht
der gewöhnlichen Stimmung, ſo daß ich wieder zu ihnen
reden konnte.
„Nun ſendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen.
Er will es verſuchen, ob die Ueberreſte des Heiligen noch
zu finden ſeien, damit ſie in dieſem Falle heute noch be-
graben werden.“
„Ja, das iſt eine wichtige Aufgabe, welche wir zu
löſen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen,
wo diejenigen des Miralai liegen!“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/97>, abgerufen am 25.11.2024.
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