"Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes verletzt worden sei. Zwei allerdings sind tot, doch starben sie nicht im Streite."
"Wer ist es?"
"Der Sarradsch *) Hesi aus Baazoni und -- --"
"Hesi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie starb er denn?"
"Der Bey sandte ihn als Parlamentär zu den Os- manly, und sie erschossen ihn. Ich mußte zusehen, ohne ihn retten zu können."
Die Priester neigten die Häupter, falteten die Hände und schwiegen. Nur Mir Scheik Khan sagte mit ernster, tiefer Stimme:
"Er ist verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiedersehen werden. Dort giebt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort ist ewig Licht und Wonne; denn er ist bei Gott!"
Diese Art und Weise, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böses Wort traf die Mörder. Diese Priester trauerten, aber sie gönnten dem Toten seine Verwandlung. Einer solchen Ergebenheit ist der Islam niemals fähig; sie konnte nur eine Folge der christlichen Ideen und Anschau- ungen sein, welche die Dschesidi aufgenommen und fest- gehalten haben.
"Und wer ist der andere?" fragte nun der Khan.
"Du wirst erschrecken!"
*) Sattelmacher.
„Nur das der Osmanly.“
„Und die Unſrigen?“
„Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes verletzt worden ſei. Zwei allerdings ſind tot, doch ſtarben ſie nicht im Streite.“
„Wer iſt es?“
„Der Sarradſch *) Heſi aus Baazoni und — —“
„Heſi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie ſtarb er denn?“
„Der Bey ſandte ihn als Parlamentär zu den Os- manly, und ſie erſchoſſen ihn. Ich mußte zuſehen, ohne ihn retten zu können.“
Die Prieſter neigten die Häupter, falteten die Hände und ſchwiegen. Nur Mir Scheik Khan ſagte mit ernſter, tiefer Stimme:
„Er iſt verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiederſehen werden. Dort giebt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort iſt ewig Licht und Wonne; denn er iſt bei Gott!“
Dieſe Art und Weiſe, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böſes Wort traf die Mörder. Dieſe Prieſter trauerten, aber ſie gönnten dem Toten ſeine Verwandlung. Einer ſolchen Ergebenheit iſt der Islam niemals fähig; ſie konnte nur eine Folge der chriſtlichen Ideen und Anſchau- ungen ſein, welche die Dſcheſidi aufgenommen und feſt- gehalten haben.
„Und wer iſt der andere?“ fragte nun der Khan.
„Du wirſt erſchrecken!“
*) Sattelmacher.
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„Nur das der Osmanly.“
„Und die Unſrigen?“
„Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes
verletzt worden ſei. Zwei allerdings ſind tot, doch ſtarben
ſie nicht im Streite.“
„Wer iſt es?“
„Der Sarradſch *) Heſi aus Baazoni und — —“
„Heſi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und
tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie ſtarb er denn?“
„Der Bey ſandte ihn als Parlamentär zu den Os-
manly, und ſie erſchoſſen ihn. Ich mußte zuſehen, ohne
ihn retten zu können.“
Die Prieſter neigten die Häupter, falteten die Hände
und ſchwiegen. Nur Mir Scheik Khan ſagte mit ernſter,
tiefer Stimme:
„Er iſt verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht
mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer
höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiederſehen
werden. Dort giebt es weder Tod noch Grab, weder
Schmerz noch Kummer; dort iſt ewig Licht und Wonne;
denn er iſt bei Gott!“
Dieſe Art und Weiſe, die Nachricht von dem Tode
eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein
böſes Wort traf die Mörder. Dieſe Prieſter trauerten,
aber ſie gönnten dem Toten ſeine Verwandlung. Einer
ſolchen Ergebenheit iſt der Islam niemals fähig; ſie
konnte nur eine Folge der chriſtlichen Ideen und Anſchau-
ungen ſein, welche die Dſcheſidi aufgenommen und feſt-
gehalten haben.
„Und wer iſt der andere?“ fragte nun der Khan.
„Du wirſt erſchrecken!“
*) Sattelmacher.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/96>, abgerufen am 25.11.2024.
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