"letzte Wort", welches seine Hand verzeichnen sollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet steht die blutige Ge- schichte der Dschesidi, der Verachteten und Verfolgten? Also dieses Feuer war das "Element", in dem sein Leib begraben werden sollte, und dem er darum auch sein Kleid überlassen wollte?
Schrecklich! Ich schloß die Augen. Ich mochte nichts mehr sehen, nichts mehr wissen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polster, mit dem Gesicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz sicher benachrichtigen. Ich sah nur die langen weißen Haare, den wallenden schwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verschwinden. Mein Gott, wie wertvoll, wie unendlich kostbar ist ein Menschenleben, und dennoch -- dennoch -- dennoch -- -- --!
So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.
"Sihdi, du sollst auf das Dach kommen!"
"Weshalb?"
"Ein Offizier verlangt nach dir."
Ich stand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dschesidi hielten nicht mehr die Höhen besetzt, sie waren vielmehr nach und nach hernieder gestiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt sich einer verborgen, um aus dieser sichern Stellung seine Kugel zu versenden. Im untern Teile des Thales hatten sie sogar, durch die Geschütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und sich in dem Gebüsch am Bache eingenistet.
„letzte Wort“, welches ſeine Hand verzeichnen ſollte in jenes Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Ge- ſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten? Alſo dieſes Feuer war das „Element“, in dem ſein Leib begraben werden ſollte, und dem er darum auch ſein Kleid überlaſſen wollte?
Schrecklich! Ich ſchloß die Augen. Ich mochte nichts mehr ſehen, nichts mehr wiſſen; ich ging hinunter in die Stube und legte mich auf das Polſter, mit dem Geſicht an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr drohte, würde mich Halef ganz ſicher benachrichtigen. Ich ſah nur die langen weißen Haare, den wallenden ſchwarzen Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des Scheiterhaufens verſchwinden. Mein Gott, wie wertvoll, wie unendlich koſtbar iſt ein Menſchenleben, und dennoch — dennoch — dennoch — — —!
So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef trat ein.
„Sihdi, du ſollſt auf das Dach kommen!“
„Weshalb?“
„Ein Offizier verlangt nach dir.“
Ich ſtand auf und begab mich wieder hinauf. Ein einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge. Die Dſcheſidi hielten nicht mehr die Höhen beſetzt, ſie waren vielmehr nach und nach hernieder geſtiegen. Hinter jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt ſich einer verborgen, um aus dieſer ſichern Stellung ſeine Kugel zu verſenden. Im untern Teile des Thales hatten ſie ſogar, durch die Geſchütze gedeckt, bereits die Sohle erreicht und ſich in dem Gebüſch am Bache eingeniſtet.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0071"n="57"/>„letzte Wort“, welches ſeine Hand verzeichnen ſollte in<lb/>
jenes Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Ge-<lb/>ſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten?<lb/>
Alſo dieſes Feuer war das „Element“, in dem ſein Leib<lb/>
begraben werden ſollte, und dem er darum auch ſein Kleid<lb/>
überlaſſen wollte?</p><lb/><p>Schrecklich! Ich ſchloß die Augen. Ich mochte nichts<lb/>
mehr ſehen, nichts mehr wiſſen; ich ging hinunter in die<lb/>
Stube und legte mich auf das Polſter, mit dem Geſicht<lb/>
an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen<lb/>
verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen<lb/>
von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr<lb/>
drohte, würde mich Halef ganz ſicher benachrichtigen. Ich<lb/>ſah nur die langen weißen Haare, den wallenden ſchwarzen<lb/>
Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des<lb/>
Scheiterhaufens verſchwinden. Mein Gott, wie wertvoll,<lb/>
wie unendlich koſtbar iſt ein Menſchenleben, und dennoch<lb/>— dennoch — dennoch ———!</p><lb/><p>So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen<lb/>
auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef<lb/>
trat ein.</p><lb/><p>„Sihdi, du ſollſt auf das Dach kommen!“</p><lb/><p>„Weshalb?“</p><lb/><p>„Ein Offizier verlangt nach dir.“</p><lb/><p>Ich ſtand auf und begab mich wieder hinauf. Ein<lb/>
einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge.<lb/>
Die Dſcheſidi hielten nicht mehr die Höhen beſetzt, ſie<lb/>
waren vielmehr nach und nach hernieder geſtiegen. Hinter<lb/>
jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt ſich<lb/>
einer verborgen, um aus dieſer ſichern Stellung ſeine<lb/>
Kugel zu verſenden. Im untern Teile des Thales hatten<lb/>ſie ſogar, durch die Geſchütze gedeckt, bereits die Sohle<lb/>
erreicht und ſich in dem Gebüſch am Bache eingeniſtet.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0071]
„letzte Wort“, welches ſeine Hand verzeichnen ſollte in
jenes Buch, darinnen verzeichnet ſteht die blutige Ge-
ſchichte der Dſcheſidi, der Verachteten und Verfolgten?
Alſo dieſes Feuer war das „Element“, in dem ſein Leib
begraben werden ſollte, und dem er darum auch ſein Kleid
überlaſſen wollte?
Schrecklich! Ich ſchloß die Augen. Ich mochte nichts
mehr ſehen, nichts mehr wiſſen; ich ging hinunter in die
Stube und legte mich auf das Polſter, mit dem Geſicht
an die Wand. Noch einige Zeit lang war es draußen
verhältnismäßig ruhig, dann aber begann das Schießen
von neuem. Mich ging das nichts an. Wenn mir Gefahr
drohte, würde mich Halef ganz ſicher benachrichtigen. Ich
ſah nur die langen weißen Haare, den wallenden ſchwarzen
Bart und die goldblitzende Uniform in dem Brodem des
Scheiterhaufens verſchwinden. Mein Gott, wie wertvoll,
wie unendlich koſtbar iſt ein Menſchenleben, und dennoch
— dennoch — dennoch — — —!
So verging eine geraume Zeit; da hörte das Schießen
auf, und ich vernahm Schritte auf der Treppe. Halef
trat ein.
„Sihdi, du ſollſt auf das Dach kommen!“
„Weshalb?“
„Ein Offizier verlangt nach dir.“
Ich ſtand auf und begab mich wieder hinauf. Ein
einziger Blick belehrte mich über den Stand der Dinge.
Die Dſcheſidi hielten nicht mehr die Höhen beſetzt, ſie
waren vielmehr nach und nach hernieder geſtiegen. Hinter
jedem Stein, hinter jedem Baum oder Strauch hielt ſich
einer verborgen, um aus dieſer ſichern Stellung ſeine
Kugel zu verſenden. Im untern Teile des Thales hatten
ſie ſogar, durch die Geſchütze gedeckt, bereits die Sohle
erreicht und ſich in dem Gebüſch am Bache eingeniſtet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/71>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.