wurde zu groß. Ich sah nur die feierlichen Gesten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der erstere die Hände in den Haufen steckte, und einige Sekunden später züngelte eine Flamme blitzschnell an demselben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, sollte er ein solches Opfer, eine solche Strafe, eine solche Rache an dem Mörder seiner Söhne und seines Weibes gemeint haben!
Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggerissen, aber bereits war es zu spät, die Flamme zu löschen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war sie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel schlug.
Der Pir stand umringt und festgehalten; der Miralai schien den Platz verlassen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Priester zurück. Sie sprachen zu- sammen, der Oberst erregt, der Pir aber ruhig und mit geschlossenen Augen. Doch plötzlich öffnete er sie, warf die zwei, welche ihn hielten, von sich und packte den Oberst. Mit der Körperkraft eines Riesen hob er ihn empor -- zwei Sprünge, und er stand vor dem Scheiterhaufen; noch einer -- sie verschwanden in der lohenden Glut, die über ihnen zusammenschlug. Eine Bewegung im Innern derselben ließ vermuten, daß die beiden dem Flammen- tode Geweihten miteinander kämpften; der eine, um sein Leben zu retten, der andere, um ihn sterbend festzuhalten.
Es war mir, als sei ich bei der grimmigsten Winter- kälte in das Wasser gestürzt. Also darum war dieser Tag "der wichtigste seines Lebens", wie er, der Priester, zu mir gesagt hatte! Ja, der wichtigste Tag des Lebens ist derjenige, an welchem man dieses Leben verläßt, um sich den brandenden Fluten der Ewigkeit anzuvertrauen. Also diese fürchterliche Rache an dem Miralai war das
wurde zu groß. Ich ſah nur die feierlichen Geſten des Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich, daß der erſtere die Hände in den Haufen ſteckte, und einige Sekunden ſpäter züngelte eine Flamme blitzſchnell an demſelben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer Gott, ſollte er ein ſolches Opfer, eine ſolche Strafe, eine ſolche Rache an dem Mörder ſeiner Söhne und ſeines Weibes gemeint haben!
Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggeriſſen, aber bereits war es zu ſpät, die Flamme zu löſchen, die in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte. In der Zeit von kaum einer Minute war ſie bereits zur hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel ſchlug.
Der Pir ſtand umringt und feſtgehalten; der Miralai ſchien den Platz verlaſſen zu wollen. Da aber kehrte er um und ging zu dem Prieſter zurück. Sie ſprachen zu- ſammen, der Oberſt erregt, der Pir aber ruhig und mit geſchloſſenen Augen. Doch plötzlich öffnete er ſie, warf die zwei, welche ihn hielten, von ſich und packte den Oberſt. Mit der Körperkraft eines Rieſen hob er ihn empor — zwei Sprünge, und er ſtand vor dem Scheiterhaufen; noch einer — ſie verſchwanden in der lohenden Glut, die über ihnen zuſammenſchlug. Eine Bewegung im Innern derſelben ließ vermuten, daß die beiden dem Flammen- tode Geweihten miteinander kämpften; der eine, um ſein Leben zu retten, der andere, um ihn ſterbend feſtzuhalten.
Es war mir, als ſei ich bei der grimmigſten Winter- kälte in das Waſſer geſtürzt. Alſo darum war dieſer Tag „der wichtigſte ſeines Lebens“, wie er, der Prieſter, zu mir geſagt hatte! Ja, der wichtigſte Tag des Lebens iſt derjenige, an welchem man dieſes Leben verläßt, um ſich den brandenden Fluten der Ewigkeit anzuvertrauen. Alſo dieſe fürchterliche Rache an dem Miralai war das
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wurde zu groß. Ich ſah nur die feierlichen Geſten des
Pir und die zornigen des Miralai. Dann bemerkte ich,
daß der erſtere die Hände in den Haufen ſteckte, und
einige Sekunden ſpäter züngelte eine Flamme blitzſchnell
an demſelben empor. Eine Ahnung durchzuckte mich. Großer
Gott, ſollte er ein ſolches Opfer, eine ſolche Strafe, eine
ſolche Rache an dem Mörder ſeiner Söhne und ſeines
Weibes gemeint haben!
Er wurde ergriffen und von dem Haufen weggeriſſen,
aber bereits war es zu ſpät, die Flamme zu löſchen, die
in dem Erdpeche eine furchtbare Nahrung gefunden hatte.
In der Zeit von kaum einer Minute war ſie bereits zur
hellen Lohe geworden, welche hoch zum Himmel ſchlug.
Der Pir ſtand umringt und feſtgehalten; der Miralai
ſchien den Platz verlaſſen zu wollen. Da aber kehrte er
um und ging zu dem Prieſter zurück. Sie ſprachen zu-
ſammen, der Oberſt erregt, der Pir aber ruhig und mit
geſchloſſenen Augen. Doch plötzlich öffnete er ſie, warf
die zwei, welche ihn hielten, von ſich und packte den Oberſt.
Mit der Körperkraft eines Rieſen hob er ihn empor —
zwei Sprünge, und er ſtand vor dem Scheiterhaufen;
noch einer — ſie verſchwanden in der lohenden Glut, die
über ihnen zuſammenſchlug. Eine Bewegung im Innern
derſelben ließ vermuten, daß die beiden dem Flammen-
tode Geweihten miteinander kämpften; der eine, um ſein
Leben zu retten, der andere, um ihn ſterbend feſtzuhalten.
Es war mir, als ſei ich bei der grimmigſten Winter-
kälte in das Waſſer geſtürzt. Alſo darum war dieſer
Tag „der wichtigſte ſeines Lebens“, wie er, der Prieſter,
zu mir geſagt hatte! Ja, der wichtigſte Tag des Lebens
iſt derjenige, an welchem man dieſes Leben verläßt, um
ſich den brandenden Fluten der Ewigkeit anzuvertrauen.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/70>, abgerufen am 23.12.2024.
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