ohne ein weiteres Wort zu Pferde stieg und schweigend davonritt. Dann wandte sich der Bey zu den andern:
"Holt die Wachen herbei, und folgt uns nach Lizan! Ihr sollt von unsern Freunden bewirtet werden."
Mehrere eilten fort; die andern löschten die Feuer aus, und ohne daß ein Wort der Frage oder des Wider- spruchs gefallen war, hatten wir bereits nach zehn Mi- nuten die Lichtung verlassen und ritten auf Lizan zu.
Als wir dort anlangten, bot sich uns eine sehr lebendige Scene dar. Man hatte mächtige Haufen Holzes errichtet, um die Feuer zu vermehren und zu vergrößern; viele Chaldani waren beschäftigt, Hammel zu schlachten, und sogar zwei prächtige Ochsen lagen am Boden, um abgehäutet, ausgenommen, zerstückelt und dann an den Feuern gebraten zu werden. Dazu waren alle Uejütasch *) des Ortes zusammengeschleppt worden; sie bildeten eine lange Reihe, und an ihnen saßen die Frauen und Mäd- chen, um Körner in Mehl zu verwandeln und aus dem Mehl dann breite Brotfladen herzustellen.
Man begrüßte sich zunächst still, und die eine Schar mengte sich vorsichtig und noch mißtrauisch unter die andere; aber bereits nach einer Viertelstunde hatte man sich in Freundschaft vereinigt, und überall erklangen fröh- liche Stimmen, die den Geist der Höhle lobten, weil er das Leid in Freude verwandelt hatte.
Wir Honoratioren (ich gebrauche dieses Wort natür- lich mit ungeheurem Stolze) saßen im Parterre des Melek vereint, um beim Schmause über die Begebenheiten der letzten Tage zu reden. Natürlich war auch mein wackerer Halef dabei, der meine öffentliche Anerkennung seiner Treue und seines mutigen Verhaltens mit sichtlicher Ge-
*) Mahlsteine.
ohne ein weiteres Wort zu Pferde ſtieg und ſchweigend davonritt. Dann wandte ſich der Bey zu den andern:
„Holt die Wachen herbei, und folgt uns nach Lizan! Ihr ſollt von unſern Freunden bewirtet werden.“
Mehrere eilten fort; die andern löſchten die Feuer aus, und ohne daß ein Wort der Frage oder des Wider- ſpruchs gefallen war, hatten wir bereits nach zehn Mi- nuten die Lichtung verlaſſen und ritten auf Lizan zu.
Als wir dort anlangten, bot ſich uns eine ſehr lebendige Scene dar. Man hatte mächtige Haufen Holzes errichtet, um die Feuer zu vermehren und zu vergrößern; viele Chaldani waren beſchäftigt, Hammel zu ſchlachten, und ſogar zwei prächtige Ochſen lagen am Boden, um abgehäutet, ausgenommen, zerſtückelt und dann an den Feuern gebraten zu werden. Dazu waren alle Uejütaſch *) des Ortes zuſammengeſchleppt worden; ſie bildeten eine lange Reihe, und an ihnen ſaßen die Frauen und Mäd- chen, um Körner in Mehl zu verwandeln und aus dem Mehl dann breite Brotfladen herzuſtellen.
Man begrüßte ſich zunächſt ſtill, und die eine Schar mengte ſich vorſichtig und noch mißtrauiſch unter die andere; aber bereits nach einer Viertelſtunde hatte man ſich in Freundſchaft vereinigt, und überall erklangen fröh- liche Stimmen, die den Geiſt der Höhle lobten, weil er das Leid in Freude verwandelt hatte.
Wir Honoratioren (ich gebrauche dieſes Wort natür- lich mit ungeheurem Stolze) ſaßen im Parterre des Melek vereint, um beim Schmauſe über die Begebenheiten der letzten Tage zu reden. Natürlich war auch mein wackerer Halef dabei, der meine öffentliche Anerkennung ſeiner Treue und ſeines mutigen Verhaltens mit ſichtlicher Ge-
*) Mahlſteine.
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ohne ein weiteres Wort zu Pferde ſtieg und ſchweigend
davonritt. Dann wandte ſich der Bey zu den andern:
„Holt die Wachen herbei, und folgt uns nach Lizan!
Ihr ſollt von unſern Freunden bewirtet werden.“
Mehrere eilten fort; die andern löſchten die Feuer
aus, und ohne daß ein Wort der Frage oder des Wider-
ſpruchs gefallen war, hatten wir bereits nach zehn Mi-
nuten die Lichtung verlaſſen und ritten auf Lizan zu.
Als wir dort anlangten, bot ſich uns eine ſehr
lebendige Scene dar. Man hatte mächtige Haufen Holzes
errichtet, um die Feuer zu vermehren und zu vergrößern;
viele Chaldani waren beſchäftigt, Hammel zu ſchlachten,
und ſogar zwei prächtige Ochſen lagen am Boden, um
abgehäutet, ausgenommen, zerſtückelt und dann an den
Feuern gebraten zu werden. Dazu waren alle Uejütaſch *)
des Ortes zuſammengeſchleppt worden; ſie bildeten eine
lange Reihe, und an ihnen ſaßen die Frauen und Mäd-
chen, um Körner in Mehl zu verwandeln und aus dem
Mehl dann breite Brotfladen herzuſtellen.
Man begrüßte ſich zunächſt ſtill, und die eine Schar
mengte ſich vorſichtig und noch mißtrauiſch unter die
andere; aber bereits nach einer Viertelſtunde hatte man
ſich in Freundſchaft vereinigt, und überall erklangen fröh-
liche Stimmen, die den Geiſt der Höhle lobten, weil
er das Leid in Freude verwandelt hatte.
Wir Honoratioren (ich gebrauche dieſes Wort natür-
lich mit ungeheurem Stolze) ſaßen im Parterre des Melek
vereint, um beim Schmauſe über die Begebenheiten der
letzten Tage zu reden. Natürlich war auch mein wackerer
Halef dabei, der meine öffentliche Anerkennung ſeiner
Treue und ſeines mutigen Verhaltens mit ſichtlicher Ge-
*) Mahlſteine.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 624. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/638>, abgerufen am 25.11.2024.
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