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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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nugthuung entgegennahm. Der Tag war bereits ange-
brochen, als ich mich mit den Gefährten in den oberen
Raum des Hauses begab, um einige Stunden zu schlafen.

Als ich erwachte, hörte ich unten die bekannte Stimme
des Rais von Schohrd. Ich eilte hinab und wurde von
ihm mit großer Freundlichkeit begrüßt. Er hatte mir
alles mitgebracht, was mir abgenommen worden war; es
fehlte nicht das geringste, und dazu sagte er mir, daß er
zu jeder Genugthuung bereit sei, die ich von ihm
fordern möchte. Natürlich wies ich das entschieden ab.

Vor dem Hause lagen Kurden und Chaldani wirr
durcheinander. Sie schlummerten noch friedlich.

Da sah ich von unten herauf zwei weibliche Gestalten
langsam nahen. Ich legte die Hand wie einen Schirm
über die Augen und erkannte Ingdscha mit der holden
"Petersilie". Die alte, süße Madana hatte sich wahrhaft
prachtvoll herausgeputzt, wie ich sah, als sie näher kamen.
Ihr Haupt wurde beschattet von einem Hut, der bloß
noch aus einer unendlich breiten Krämpe bestand, und
um den übrigen Teil zu ersetzen, war ein großer Busch
von Hahnenfedern über die klaffende runde Oeffnung ge-
bunden. An Stelle der Schuhe aber waren zwei pracht-
voll rote Fußlappen um die Füße gewickelt, leider aber
war die Farbe nicht mehr zu erkennen. Von ihren Hüften
wallte ein buntscheckiger Teppich hernieder, der die
Stelle des Rockes zu vertreten hatte und von einer Schärpe
festgehalten wurde, die ich an einem andern Ort für
ein altes Küchenhandtuch gehalten hätte. Ihr Ober-
körper war eingehüllt in ein Ding, für das den richtigen
Namen zu entdecken selbst dem gründlichsten Garderobe-
kenner nicht gelungen wäre. Es war teils Kasawiaka,
teils Kartoffelsack, teils Beduine und teils lateinisches
Segel, teils Konzerttuch und teils Stuhlkappe, teils Sa-

II. 40

nugthuung entgegennahm. Der Tag war bereits ange-
brochen, als ich mich mit den Gefährten in den oberen
Raum des Hauſes begab, um einige Stunden zu ſchlafen.

Als ich erwachte, hörte ich unten die bekannte Stimme
des Raïs von Schohrd. Ich eilte hinab und wurde von
ihm mit großer Freundlichkeit begrüßt. Er hatte mir
alles mitgebracht, was mir abgenommen worden war; es
fehlte nicht das geringſte, und dazu ſagte er mir, daß er
zu jeder Genugthuung bereit ſei, die ich von ihm
fordern möchte. Natürlich wies ich das entſchieden ab.

Vor dem Hauſe lagen Kurden und Chaldani wirr
durcheinander. Sie ſchlummerten noch friedlich.

Da ſah ich von unten herauf zwei weibliche Geſtalten
langſam nahen. Ich legte die Hand wie einen Schirm
über die Augen und erkannte Ingdſcha mit der holden
„Peterſilie“. Die alte, ſüße Madana hatte ſich wahrhaft
prachtvoll herausgeputzt, wie ich ſah, als ſie näher kamen.
Ihr Haupt wurde beſchattet von einem Hut, der bloß
noch aus einer unendlich breiten Krämpe beſtand, und
um den übrigen Teil zu erſetzen, war ein großer Buſch
von Hahnenfedern über die klaffende runde Oeffnung ge-
bunden. An Stelle der Schuhe aber waren zwei pracht-
voll rote Fußlappen um die Füße gewickelt, leider aber
war die Farbe nicht mehr zu erkennen. Von ihren Hüften
wallte ein buntſcheckiger Teppich hernieder, der die
Stelle des Rockes zu vertreten hatte und von einer Schärpe
feſtgehalten wurde, die ich an einem andern Ort für
ein altes Küchenhandtuch gehalten hätte. Ihr Ober-
körper war eingehüllt in ein Ding, für das den richtigen
Namen zu entdecken ſelbſt dem gründlichſten Garderobe-
kenner nicht gelungen wäre. Es war teils Kaſawiaka,
teils Kartoffelſack, teils Beduine und teils lateiniſches
Segel, teils Konzerttuch und teils Stuhlkappe, teils Sa-

II. 40
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[625/0639] nugthuung entgegennahm. Der Tag war bereits ange- brochen, als ich mich mit den Gefährten in den oberen Raum des Hauſes begab, um einige Stunden zu ſchlafen. Als ich erwachte, hörte ich unten die bekannte Stimme des Raïs von Schohrd. Ich eilte hinab und wurde von ihm mit großer Freundlichkeit begrüßt. Er hatte mir alles mitgebracht, was mir abgenommen worden war; es fehlte nicht das geringſte, und dazu ſagte er mir, daß er zu jeder Genugthuung bereit ſei, die ich von ihm fordern möchte. Natürlich wies ich das entſchieden ab. Vor dem Hauſe lagen Kurden und Chaldani wirr durcheinander. Sie ſchlummerten noch friedlich. Da ſah ich von unten herauf zwei weibliche Geſtalten langſam nahen. Ich legte die Hand wie einen Schirm über die Augen und erkannte Ingdſcha mit der holden „Peterſilie“. Die alte, ſüße Madana hatte ſich wahrhaft prachtvoll herausgeputzt, wie ich ſah, als ſie näher kamen. Ihr Haupt wurde beſchattet von einem Hut, der bloß noch aus einer unendlich breiten Krämpe beſtand, und um den übrigen Teil zu erſetzen, war ein großer Buſch von Hahnenfedern über die klaffende runde Oeffnung ge- bunden. An Stelle der Schuhe aber waren zwei pracht- voll rote Fußlappen um die Füße gewickelt, leider aber war die Farbe nicht mehr zu erkennen. Von ihren Hüften wallte ein buntſcheckiger Teppich hernieder, der die Stelle des Rockes zu vertreten hatte und von einer Schärpe feſtgehalten wurde, die ich an einem andern Ort für ein altes Küchenhandtuch gehalten hätte. Ihr Ober- körper war eingehüllt in ein Ding, für das den richtigen Namen zu entdecken ſelbſt dem gründlichſten Garderobe- kenner nicht gelungen wäre. Es war teils Kaſawiaka, teils Kartoffelſack, teils Beduine und teils lateiniſches Segel, teils Konzerttuch und teils Stuhlkappe, teils Sa- II. 40

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 625. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/639>, abgerufen am 25.11.2024.