Auch ich wurde umringt und mit manchem freundschaft- lichen Händedruck bewillkommnet. Nur der bisherige Anführer stand von ferne und beobachtete die Scene mit finsterem Blick. Er sah, daß seine Macht am Ende sei. Endlich aber trat er doch herbei und reichte dem Bey die Hand.
"Willkommen!" sagte er. "Du bist entronnen?"
"Nein. Man hat mich freiwillig freigegeben."
"Bey, das ist das größte Wunder, welches ich erlebe."
"Es ist kein Wunder. Ich habe mit den Chaldani Frieden geschlossen."
"Du hast zu schnell gehandelt! Ich habe nach Gumri gesandt, und in der Frühe werden viele Hunderte von Berwari zu uns stoßen."
"Dann bist du selbst es, der zu schnell gehandelt hat. Hast du nicht gewußt, daß dieser Emir nach Lizan ging, um Frieden zu machen."
"Er wurde überfallen."
"Aber du erfuhrst dann später, daß es nicht der Melek war, der ihn überfallen ließ."
"Was bekommst du von den Chaldani für den Frieden?"
"Nichts."
"Nichts? O Bey, du hast zu unklug gehandelt! Sie haben dich überfallen und mehrere der Unserigen getötet. Giebt es keine Blutrache und kein Blutgeld mehr im Lande?"
Der Bey blickte ihm ruhig lächelnd in das Gesicht; aber dieses Lächeln war beängstigend.
"Du bist der Rais von Dalascha, nicht?" fragte er mit sehr freundlicher Stimme.
"Ja," antwortete der andere verwundert.
"Und mich kennst du wohl?"
"Warum sollte ich dich nicht kennen!"
Auch ich wurde umringt und mit manchem freundſchaft- lichen Händedruck bewillkommnet. Nur der bisherige Anführer ſtand von ferne und beobachtete die Scene mit finſterem Blick. Er ſah, daß ſeine Macht am Ende ſei. Endlich aber trat er doch herbei und reichte dem Bey die Hand.
„Willkommen!“ ſagte er. „Du biſt entronnen?“
„Nein. Man hat mich freiwillig freigegeben.“
„Bey, das iſt das größte Wunder, welches ich erlebe.“
„Es iſt kein Wunder. Ich habe mit den Chaldani Frieden geſchloſſen.“
„Du haſt zu ſchnell gehandelt! Ich habe nach Gumri geſandt, und in der Frühe werden viele Hunderte von Berwari zu uns ſtoßen.“
„Dann biſt du ſelbſt es, der zu ſchnell gehandelt hat. Haſt du nicht gewußt, daß dieſer Emir nach Lizan ging, um Frieden zu machen.“
„Er wurde überfallen.“
„Aber du erfuhrſt dann ſpäter, daß es nicht der Melek war, der ihn überfallen ließ.“
„Was bekommſt du von den Chaldani für den Frieden?“
„Nichts.“
„Nichts? O Bey, du haſt zu unklug gehandelt! Sie haben dich überfallen und mehrere der Unſerigen getötet. Giebt es keine Blutrache und kein Blutgeld mehr im Lande?“
Der Bey blickte ihm ruhig lächelnd in das Geſicht; aber dieſes Lächeln war beängſtigend.
„Du biſt der Raïs von Dalaſcha, nicht?“ fragte er mit ſehr freundlicher Stimme.
„Ja,“ antwortete der andere verwundert.
„Und mich kennſt du wohl?“
„Warum ſollte ich dich nicht kennen!“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0636"n="622"/>
Auch ich wurde umringt und mit manchem freundſchaft-<lb/>
lichen Händedruck bewillkommnet. Nur der bisherige<lb/>
Anführer ſtand von ferne und beobachtete die Scene mit<lb/>
finſterem Blick. Er ſah, daß ſeine Macht am Ende ſei.<lb/>
Endlich aber trat er doch herbei und reichte dem Bey<lb/>
die Hand.</p><lb/><p>„Willkommen!“ſagte er. „Du biſt entronnen?“</p><lb/><p>„Nein. Man hat mich freiwillig freigegeben.“</p><lb/><p>„Bey, das iſt das größte Wunder, welches ich erlebe.“</p><lb/><p>„Es iſt kein Wunder. Ich habe mit den Chaldani<lb/>
Frieden geſchloſſen.“</p><lb/><p>„Du haſt zu ſchnell gehandelt! Ich habe nach Gumri<lb/>
geſandt, und in der Frühe werden viele Hunderte von<lb/>
Berwari zu uns ſtoßen.“</p><lb/><p>„Dann biſt du ſelbſt es, der zu ſchnell gehandelt hat.<lb/>
Haſt du nicht gewußt, daß dieſer Emir nach Lizan ging,<lb/>
um Frieden zu machen.“</p><lb/><p>„Er wurde überfallen.“</p><lb/><p>„Aber du erfuhrſt dann ſpäter, daß es nicht der<lb/>
Melek war, der ihn überfallen ließ.“</p><lb/><p>„Was bekommſt du von den Chaldani für den Frieden?“</p><lb/><p>„Nichts.“</p><lb/><p>„Nichts? O Bey, du haſt zu unklug gehandelt! Sie<lb/>
haben dich überfallen und mehrere der Unſerigen getötet.<lb/>
Giebt es keine Blutrache und kein Blutgeld mehr im<lb/>
Lande?“</p><lb/><p>Der Bey blickte ihm ruhig lächelnd in das Geſicht;<lb/>
aber dieſes Lächeln war beängſtigend.</p><lb/><p>„Du biſt der Raïs von Dalaſcha, nicht?“ fragte er<lb/>
mit ſehr freundlicher Stimme.</p><lb/><p>„Ja,“ antwortete der andere verwundert.</p><lb/><p>„Und mich kennſt du wohl?“</p><lb/><p>„Warum ſollte ich dich nicht kennen!“</p><lb/></div></body></text></TEI>
[622/0636]
Auch ich wurde umringt und mit manchem freundſchaft-
lichen Händedruck bewillkommnet. Nur der bisherige
Anführer ſtand von ferne und beobachtete die Scene mit
finſterem Blick. Er ſah, daß ſeine Macht am Ende ſei.
Endlich aber trat er doch herbei und reichte dem Bey
die Hand.
„Willkommen!“ ſagte er. „Du biſt entronnen?“
„Nein. Man hat mich freiwillig freigegeben.“
„Bey, das iſt das größte Wunder, welches ich erlebe.“
„Es iſt kein Wunder. Ich habe mit den Chaldani
Frieden geſchloſſen.“
„Du haſt zu ſchnell gehandelt! Ich habe nach Gumri
geſandt, und in der Frühe werden viele Hunderte von
Berwari zu uns ſtoßen.“
„Dann biſt du ſelbſt es, der zu ſchnell gehandelt hat.
Haſt du nicht gewußt, daß dieſer Emir nach Lizan ging,
um Frieden zu machen.“
„Er wurde überfallen.“
„Aber du erfuhrſt dann ſpäter, daß es nicht der
Melek war, der ihn überfallen ließ.“
„Was bekommſt du von den Chaldani für den Frieden?“
„Nichts.“
„Nichts? O Bey, du haſt zu unklug gehandelt! Sie
haben dich überfallen und mehrere der Unſerigen getötet.
Giebt es keine Blutrache und kein Blutgeld mehr im
Lande?“
Der Bey blickte ihm ruhig lächelnd in das Geſicht;
aber dieſes Lächeln war beängſtigend.
„Du biſt der Raïs von Dalaſcha, nicht?“ fragte er
mit ſehr freundlicher Stimme.
„Ja,“ antwortete der andere verwundert.
„Und mich kennſt du wohl?“
„Warum ſollte ich dich nicht kennen!“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 622. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/636>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.