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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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auf den Scheik sowohl als auch auf den Bey von Gumri
ausübte? Der Umstand, daß sie Königin gewesen war,
konnte an und für sich von keiner solchen Wirkung sein.
Es gehörte mehr als dies dazu, um in so kurzer Zeit
zwei Gegner zu versöhnen, die sich in Beziehung sowohl
auf ihre Abstammung als auch auf ihren Glauben so
schroff gegenüber standen. Und fast ebenso wunderbar war
es, aus dem wilden, ungefügen Nedschir-Bey so schnell einen
freundlichen, lammfrommen Mann zu machen. Warum
sollte dies alles Geheimnis bleiben, auch für mich?
Ein anderes Menschenkind hätte sich mit einem solchen
Einflusse, mit einer solchen Macht gebrüstet. Diese Marah
Durimeh war nicht nur ein geheimnisvolles Menschenkind,
sondern jedenfalls auch ein ungewöhnlicher, außerordent-
licher Charakter. Welch ein Sujet für einen neugierigen
Menschen, der sich in der weiten Welt umhertreibt,
um interessante Gegenstände für seine Feder zu finden!
Ich gestehe, daß mir jetzt das Geheimnis der alten Königin
weit mehr am Herzen lag, als vorher die Streitigkeit
zwischen den Kurden und Chaldani.

Als wir die Lichter von Lizan wieder vor uns er-
blickten, meinte der Rais von Schohrd:

"Jetzt muß ich mich von euch trennen."

"Warum?" fragte der Melek.

"Ich muß an den Versammlungsort meiner Leute,
um ihnen zu sagen, daß Frieden ist, sonst könnten sie un-
geduldig werden und noch vor dem Morgen gegen die
Kurden losbrechen."

"So gehe."

Er ritt von uns rechts ab, und wir waren in zehn
Minuten in Lizan. Die Leute empfingen uns mit neu-
gierigen Gesichtern. Die laute Stimme des Melek rief
sie zusammen, und dann richtete er sich in dem Sattel

auf den Scheik ſowohl als auch auf den Bey von Gumri
ausübte? Der Umſtand, daß ſie Königin geweſen war,
konnte an und für ſich von keiner ſolchen Wirkung ſein.
Es gehörte mehr als dies dazu, um in ſo kurzer Zeit
zwei Gegner zu verſöhnen, die ſich in Beziehung ſowohl
auf ihre Abſtammung als auch auf ihren Glauben ſo
ſchroff gegenüber ſtanden. Und faſt ebenſo wunderbar war
es, aus dem wilden, ungefügen Nedſchir-Bey ſo ſchnell einen
freundlichen, lammfrommen Mann zu machen. Warum
ſollte dies alles Geheimnis bleiben, auch für mich?
Ein anderes Menſchenkind hätte ſich mit einem ſolchen
Einfluſſe, mit einer ſolchen Macht gebrüſtet. Dieſe Marah
Durimeh war nicht nur ein geheimnisvolles Menſchenkind,
ſondern jedenfalls auch ein ungewöhnlicher, außerordent-
licher Charakter. Welch ein Sujet für einen neugierigen
Menſchen, der ſich in der weiten Welt umhertreibt,
um intereſſante Gegenſtände für ſeine Feder zu finden!
Ich geſtehe, daß mir jetzt das Geheimnis der alten Königin
weit mehr am Herzen lag, als vorher die Streitigkeit
zwiſchen den Kurden und Chaldani.

Als wir die Lichter von Lizan wieder vor uns er-
blickten, meinte der Raïs von Schohrd:

„Jetzt muß ich mich von euch trennen.“

„Warum?“ fragte der Melek.

„Ich muß an den Verſammlungsort meiner Leute,
um ihnen zu ſagen, daß Frieden iſt, ſonſt könnten ſie un-
geduldig werden und noch vor dem Morgen gegen die
Kurden losbrechen.“

„So gehe.“

Er ritt von uns rechts ab, und wir waren in zehn
Minuten in Lizan. Die Leute empfingen uns mit neu-
gierigen Geſichtern. Die laute Stimme des Melek rief
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[619/0633] auf den Scheik ſowohl als auch auf den Bey von Gumri ausübte? Der Umſtand, daß ſie Königin geweſen war, konnte an und für ſich von keiner ſolchen Wirkung ſein. Es gehörte mehr als dies dazu, um in ſo kurzer Zeit zwei Gegner zu verſöhnen, die ſich in Beziehung ſowohl auf ihre Abſtammung als auch auf ihren Glauben ſo ſchroff gegenüber ſtanden. Und faſt ebenſo wunderbar war es, aus dem wilden, ungefügen Nedſchir-Bey ſo ſchnell einen freundlichen, lammfrommen Mann zu machen. Warum ſollte dies alles Geheimnis bleiben, auch für mich? Ein anderes Menſchenkind hätte ſich mit einem ſolchen Einfluſſe, mit einer ſolchen Macht gebrüſtet. Dieſe Marah Durimeh war nicht nur ein geheimnisvolles Menſchenkind, ſondern jedenfalls auch ein ungewöhnlicher, außerordent- licher Charakter. Welch ein Sujet für einen neugierigen Menſchen, der ſich in der weiten Welt umhertreibt, um intereſſante Gegenſtände für ſeine Feder zu finden! Ich geſtehe, daß mir jetzt das Geheimnis der alten Königin weit mehr am Herzen lag, als vorher die Streitigkeit zwiſchen den Kurden und Chaldani. Als wir die Lichter von Lizan wieder vor uns er- blickten, meinte der Raïs von Schohrd: „Jetzt muß ich mich von euch trennen.“ „Warum?“ fragte der Melek. „Ich muß an den Verſammlungsort meiner Leute, um ihnen zu ſagen, daß Frieden iſt, ſonſt könnten ſie un- geduldig werden und noch vor dem Morgen gegen die Kurden losbrechen.“ „So gehe.“ Er ritt von uns rechts ab, und wir waren in zehn Minuten in Lizan. Die Leute empfingen uns mit neu- gierigen Geſichtern. Die laute Stimme des Melek rief ſie zuſammen, und dann richtete er ſich in dem Sattel

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 619. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/633>, abgerufen am 25.11.2024.