"So ist dieser Ruh 'i kulyan ein sehr unvorsichtiger Geist. Komm, Sihdi, laß uns den Menschen sofort wieder binden!"
"Nein. Er hat mich um Verzeihung gebeten, und ich habe ihm verziehen!"
"Sihdi, du bist ebenso unvorsichtig wie der Geist! Aber ich werde klüger sein: ich bin Hadschi Halef Omar und verzeihe ihm nicht."
"Du hast ihm nichts zu verzeihen!"
"Ich? Nicht?" fragte er verwundert. "O viel, sehr viel, Sihdi!"
"Was denn?"
"Er hat sich an dir vergriffen, an dir, dessen Freund und Beschützer ich bin, und das ist viel ärger, als wenn er mich selbst gefangen genommen hätte. Wenn ich ihm verzeihen soll, so mag er auch mich um Verzeihung bitten. Ich bin ein Türke, kein Kurde und kein feiger Nasarah, sondern ein Radschul el arab *), der seinen Sihdi nicht beleidigen und nicht kränken läßt. Sage ihm das!"
"Vielleicht giebt es Gelegenheit dazu. Jetzt aber steige auf! Du siehst, die andern sitzen bereits zu Pferde."
Der Melek hatte neue Fackeln angebrannt, und der Rückweg wurde angetreten. Man war jetzt nicht so schweigsam wie aufwärts, und nur ich beteiligte mich nicht an dem Gespräche, das von den drei Eingeborenen in fließendem Kurdisch, zwischen Lindsay und Halef aber mittelst englischer und arabischer Sprachbrocken geführt wurde, von denen die beiden gegenseitig kaum den hun- dertsten Teil verstanden.
Unser Besuch auf dem Berge gab mir viel zu denken. Worin bestand die Macht, die diese Marah Durimeh
*) Arabischer Mann.
„Der Geiſt der Höhle hat ihn befreit, Halef.“
„So iſt dieſer Ruh 'i kulyan ein ſehr unvorſichtiger Geiſt. Komm, Sihdi, laß uns den Menſchen ſofort wieder binden!“
„Nein. Er hat mich um Verzeihung gebeten, und ich habe ihm verziehen!“
„Sihdi, du biſt ebenſo unvorſichtig wie der Geiſt! Aber ich werde klüger ſein: ich bin Hadſchi Halef Omar und verzeihe ihm nicht.“
„Du haſt ihm nichts zu verzeihen!“
„Ich? Nicht?“ fragte er verwundert. „O viel, ſehr viel, Sihdi!“
„Was denn?“
„Er hat ſich an dir vergriffen, an dir, deſſen Freund und Beſchützer ich bin, und das iſt viel ärger, als wenn er mich ſelbſt gefangen genommen hätte. Wenn ich ihm verzeihen ſoll, ſo mag er auch mich um Verzeihung bitten. Ich bin ein Türke, kein Kurde und kein feiger Naſarah, ſondern ein Radſchul el arab *), der ſeinen Sihdi nicht beleidigen und nicht kränken läßt. Sage ihm das!“
„Vielleicht giebt es Gelegenheit dazu. Jetzt aber ſteige auf! Du ſiehſt, die andern ſitzen bereits zu Pferde.“
Der Melek hatte neue Fackeln angebrannt, und der Rückweg wurde angetreten. Man war jetzt nicht ſo ſchweigſam wie aufwärts, und nur ich beteiligte mich nicht an dem Geſpräche, das von den drei Eingeborenen in fließendem Kurdiſch, zwiſchen Lindſay und Halef aber mittelſt engliſcher und arabiſcher Sprachbrocken geführt wurde, von denen die beiden gegenſeitig kaum den hun- dertſten Teil verſtanden.
Unſer Beſuch auf dem Berge gab mir viel zu denken. Worin beſtand die Macht, die dieſe Marah Durimeh
*) Arabiſcher Mann.
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„Der Geiſt der Höhle hat ihn befreit, Halef.“
„So iſt dieſer Ruh 'i kulyan ein ſehr unvorſichtiger
Geiſt. Komm, Sihdi, laß uns den Menſchen ſofort wieder
binden!“
„Nein. Er hat mich um Verzeihung gebeten, und
ich habe ihm verziehen!“
„Sihdi, du biſt ebenſo unvorſichtig wie der Geiſt!
Aber ich werde klüger ſein: ich bin Hadſchi Halef Omar
und verzeihe ihm nicht.“
„Du haſt ihm nichts zu verzeihen!“
„Ich? Nicht?“ fragte er verwundert. „O viel, ſehr
viel, Sihdi!“
„Was denn?“
„Er hat ſich an dir vergriffen, an dir, deſſen Freund
und Beſchützer ich bin, und das iſt viel ärger, als wenn
er mich ſelbſt gefangen genommen hätte. Wenn ich ihm
verzeihen ſoll, ſo mag er auch mich um Verzeihung bitten.
Ich bin ein Türke, kein Kurde und kein feiger Naſarah,
ſondern ein Radſchul el arab *), der ſeinen Sihdi nicht
beleidigen und nicht kränken läßt. Sage ihm das!“
„Vielleicht giebt es Gelegenheit dazu. Jetzt aber
ſteige auf! Du ſiehſt, die andern ſitzen bereits zu Pferde.“
Der Melek hatte neue Fackeln angebrannt, und der
Rückweg wurde angetreten. Man war jetzt nicht ſo
ſchweigſam wie aufwärts, und nur ich beteiligte mich nicht
an dem Geſpräche, das von den drei Eingeborenen in
fließendem Kurdiſch, zwiſchen Lindſay und Halef aber
mittelſt engliſcher und arabiſcher Sprachbrocken geführt
wurde, von denen die beiden gegenſeitig kaum den hun-
dertſten Teil verſtanden.
Unſer Beſuch auf dem Berge gab mir viel zu denken.
Worin beſtand die Macht, die dieſe Marah Durimeh
*) Arabiſcher Mann.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 618. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/632>, abgerufen am 25.11.2024.
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