"Rais, du folgst dem Melek und dem Bey. Ich gehe hinter dir. Zauderst du, so lernst du die Zähne dieses Hundes doch noch kennen!"
Mit diesen Worten gab ich das Zeichen, unsern Weg nun fortzusetzen. Die angegebene Reihenfolge wurde bei- behalten, und Nedschir-Bey weigerte sich nicht im min- desten, meiner Weisung Folge zu leisten. Wir schritten quer über den Bergkamm hinüber und dann eine Steilung hinab, von der aus ich die Felsen unter uns liegen sah. Nach kaum mehr als fünf Minuten standen wir an demselben Orte, an dem Ingdscha während meiner Unterredung mit dem Ruh 'i kulyan auf mich gewartet hatte.
"Ihr sollt in die Höhle treten und dann so lange gradaus gehen, bis ihr Licht findet," bemerkte ich.
Das Abenteuer schien die Beteiligten doch nicht so ganz gleichgültig zu lassen, wie ich aus ihren langen, tiefen Atemzügen schloß; denn ihre Gesichter konnte ich nicht deutlich sehen.
"Emir, binde mir die Arme los!" bat da der Rais.
"Das wollen wir nicht wagen," antwortete ich.
"Ich entfliehe nicht; ich gehe mit hinein!"
"Schmerzen sie dich?"
"Gar sehr."
"Du hast sie mir ganz ebenso binden lassen, und ich mußte die gleichen Schmerzen noch viermal länger ertragen, als du. Dennoch würde ich die Schnur lösen, aber ich glaube deiner Versicherung nicht."
Er schwieg; mein Mißtrauen war also wohl be- gründet gewesen. Die beiden andern nahmen ihn in ihre Mitte.
"Herr, bleibst du hier, oder gehest du zu den Pferden zurück?" fragte der Bey.
„Raïs, du folgſt dem Melek und dem Bey. Ich gehe hinter dir. Zauderſt du, ſo lernſt du die Zähne dieſes Hundes doch noch kennen!“
Mit dieſen Worten gab ich das Zeichen, unſern Weg nun fortzuſetzen. Die angegebene Reihenfolge wurde bei- behalten, und Nedſchir-Bey weigerte ſich nicht im min- deſten, meiner Weiſung Folge zu leiſten. Wir ſchritten quer über den Bergkamm hinüber und dann eine Steilung hinab, von der aus ich die Felſen unter uns liegen ſah. Nach kaum mehr als fünf Minuten ſtanden wir an demſelben Orte, an dem Ingdſcha während meiner Unterredung mit dem Ruh 'i kulyan auf mich gewartet hatte.
„Ihr ſollt in die Höhle treten und dann ſo lange gradaus gehen, bis ihr Licht findet,“ bemerkte ich.
Das Abenteuer ſchien die Beteiligten doch nicht ſo ganz gleichgültig zu laſſen, wie ich aus ihren langen, tiefen Atemzügen ſchloß; denn ihre Geſichter konnte ich nicht deutlich ſehen.
„Emir, binde mir die Arme los!“ bat da der Raïs.
„Das wollen wir nicht wagen,“ antwortete ich.
„Ich entfliehe nicht; ich gehe mit hinein!“
„Schmerzen ſie dich?“
„Gar ſehr.“
„Du haſt ſie mir ganz ebenſo binden laſſen, und ich mußte die gleichen Schmerzen noch viermal länger ertragen, als du. Dennoch würde ich die Schnur löſen, aber ich glaube deiner Verſicherung nicht.“
Er ſchwieg; mein Mißtrauen war alſo wohl be- gründet geweſen. Die beiden andern nahmen ihn in ihre Mitte.
„Herr, bleibſt du hier, oder geheſt du zu den Pferden zurück?“ fragte der Bey.
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„Raïs, du folgſt dem Melek und dem Bey. Ich gehe
hinter dir. Zauderſt du, ſo lernſt du die Zähne dieſes
Hundes doch noch kennen!“
Mit dieſen Worten gab ich das Zeichen, unſern Weg
nun fortzuſetzen. Die angegebene Reihenfolge wurde bei-
behalten, und Nedſchir-Bey weigerte ſich nicht im min-
deſten, meiner Weiſung Folge zu leiſten. Wir ſchritten
quer über den Bergkamm hinüber und dann eine Steilung
hinab, von der aus ich die Felſen unter uns liegen
ſah. Nach kaum mehr als fünf Minuten ſtanden wir an
demſelben Orte, an dem Ingdſcha während meiner
Unterredung mit dem Ruh 'i kulyan auf mich gewartet
hatte.
„Ihr ſollt in die Höhle treten und dann ſo lange
gradaus gehen, bis ihr Licht findet,“ bemerkte ich.
Das Abenteuer ſchien die Beteiligten doch nicht ſo
ganz gleichgültig zu laſſen, wie ich aus ihren langen,
tiefen Atemzügen ſchloß; denn ihre Geſichter konnte ich
nicht deutlich ſehen.
„Emir, binde mir die Arme los!“ bat da der Raïs.
„Das wollen wir nicht wagen,“ antwortete ich.
„Ich entfliehe nicht; ich gehe mit hinein!“
„Schmerzen ſie dich?“
„Gar ſehr.“
„Du haſt ſie mir ganz ebenſo binden laſſen, und ich
mußte die gleichen Schmerzen noch viermal länger ertragen,
als du. Dennoch würde ich die Schnur löſen, aber ich
glaube deiner Verſicherung nicht.“
Er ſchwieg; mein Mißtrauen war alſo wohl be-
gründet geweſen. Die beiden andern nahmen ihn in ihre
Mitte.
„Herr, bleibſt du hier, oder geheſt du zu den Pferden
zurück?“ fragte der Bey.
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 613. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/627>, abgerufen am 25.11.2024.
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