"So bleibe hier. Dieser Mann könnte es doch not- wendig machen, dich zu brauchen."
"So geht; ich werde euch hier erwarten."
Sie gingen, und ich ließ mich auf einen Stein nieder. Der Hund hatte seine Pflicht so gut begriffen, daß er dem Rais so lange folgte, bis ich ihn zurückrief. Nun kauerte er sich neben mir nieder, legte mir den feinen Kopf auf das Knie und ließ sich von meiner Hand streicheln.
So saß ich eine lange, lange Zeit allein im Dunkel. Meine Gedanken schweiften zurück über Berg und Thal, über Land und Meer zur Heimat. Wie mancher Forscher hätte viel dafür gegeben, hier an meiner Stelle sein zu können! Wie wunderbar hatte mich Gott bis hierher ge- leitet und beschützt, während ganze, große, wohlausgerüstete Expeditionen da zu Grunde gegangen und vernichtet wor- den waren, wo ich die freundlichste Aufnahme gefunden hatte! Woran lag dies? Wie viele Bücher hatte ich über fremde Länder und ihre Völker gelesen und dabei wie viele Vorurteile in mich aufgenommen! Ich hatte manches Land, manches Volk, manchen Stamm ganz anders -- und besser gefunden, als sie mir geschildert worden waren. Der Gottes- funken ist im Menschen niemals vollständig zu ersticken, und selbst der Wildeste achtet den Fremden, wenn er sich selbst von diesem geachtet sieht. Ausnahmen giebt es überall. Wer Liebe säet, der wird Liebe ernten, bei den Eskimos wie bei den Papuas, bei den Ainos wie bei den Botokuden. Mit so ganz heiler Haut war ich zwar auch nicht davongekommen, denn einige Schmarren, Schrammen und Löcher hatte diese Haut doch immerhin davongetra- gen; aber doch nur, weil ich sozusagen als ,armer Rei- sender' gewandert war, und man weiß ja, daß selbst der ,höflichste Handwerksbursche' zuweilen ein scharfes Wort
„Wie ihr es wollt.“
„So bleibe hier. Dieſer Mann könnte es doch not- wendig machen, dich zu brauchen.“
„So geht; ich werde euch hier erwarten.“
Sie gingen, und ich ließ mich auf einen Stein nieder. Der Hund hatte ſeine Pflicht ſo gut begriffen, daß er dem Raïs ſo lange folgte, bis ich ihn zurückrief. Nun kauerte er ſich neben mir nieder, legte mir den feinen Kopf auf das Knie und ließ ſich von meiner Hand ſtreicheln.
So ſaß ich eine lange, lange Zeit allein im Dunkel. Meine Gedanken ſchweiften zurück über Berg und Thal, über Land und Meer zur Heimat. Wie mancher Forſcher hätte viel dafür gegeben, hier an meiner Stelle ſein zu können! Wie wunderbar hatte mich Gott bis hierher ge- leitet und beſchützt, während ganze, große, wohlausgerüſtete Expeditionen da zu Grunde gegangen und vernichtet wor- den waren, wo ich die freundlichſte Aufnahme gefunden hatte! Woran lag dies? Wie viele Bücher hatte ich über fremde Länder und ihre Völker geleſen und dabei wie viele Vorurteile in mich aufgenommen! Ich hatte manches Land, manches Volk, manchen Stamm ganz anders — und beſſer gefunden, als ſie mir geſchildert worden waren. Der Gottes- funken iſt im Menſchen niemals vollſtändig zu erſticken, und ſelbſt der Wildeſte achtet den Fremden, wenn er ſich ſelbſt von dieſem geachtet ſieht. Ausnahmen giebt es überall. Wer Liebe ſäet, der wird Liebe ernten, bei den Eskimos wie bei den Papuas, bei den Aïnos wie bei den Botokuden. Mit ſo ganz heiler Haut war ich zwar auch nicht davongekommen, denn einige Schmarren, Schrammen und Löcher hatte dieſe Haut doch immerhin davongetra- gen; aber doch nur, weil ich ſozuſagen als ‚armer Rei- ſender‘ gewandert war, und man weiß ja, daß ſelbſt der ‚höflichſte Handwerksburſche‘ zuweilen ein ſcharfes Wort
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„Wie ihr es wollt.“
„So bleibe hier. Dieſer Mann könnte es doch not-
wendig machen, dich zu brauchen.“
„So geht; ich werde euch hier erwarten.“
Sie gingen, und ich ließ mich auf einen Stein nieder.
Der Hund hatte ſeine Pflicht ſo gut begriffen, daß er
dem Raïs ſo lange folgte, bis ich ihn zurückrief. Nun
kauerte er ſich neben mir nieder, legte mir den feinen Kopf
auf das Knie und ließ ſich von meiner Hand ſtreicheln.
So ſaß ich eine lange, lange Zeit allein im Dunkel.
Meine Gedanken ſchweiften zurück über Berg und Thal,
über Land und Meer zur Heimat. Wie mancher Forſcher
hätte viel dafür gegeben, hier an meiner Stelle ſein zu
können! Wie wunderbar hatte mich Gott bis hierher ge-
leitet und beſchützt, während ganze, große, wohlausgerüſtete
Expeditionen da zu Grunde gegangen und vernichtet wor-
den waren, wo ich die freundlichſte Aufnahme gefunden
hatte! Woran lag dies? Wie viele Bücher hatte ich über
fremde Länder und ihre Völker geleſen und dabei wie viele
Vorurteile in mich aufgenommen! Ich hatte manches Land,
manches Volk, manchen Stamm ganz anders — und beſſer
gefunden, als ſie mir geſchildert worden waren. Der Gottes-
funken iſt im Menſchen niemals vollſtändig zu erſticken,
und ſelbſt der Wildeſte achtet den Fremden, wenn er ſich
ſelbſt von dieſem geachtet ſieht. Ausnahmen giebt es
überall. Wer Liebe ſäet, der wird Liebe ernten, bei den
Eskimos wie bei den Papuas, bei den Aïnos wie bei den
Botokuden. Mit ſo ganz heiler Haut war ich zwar auch
nicht davongekommen, denn einige Schmarren, Schrammen
und Löcher hatte dieſe Haut doch immerhin davongetra-
gen; aber doch nur, weil ich ſozuſagen als ‚armer Rei-
ſender‘ gewandert war, und man weiß ja, daß ſelbſt der
‚höflichſte Handwerksburſche‘ zuweilen ein ſcharfes Wort
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/628>, abgerufen am 25.11.2024.
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