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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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für zwei nebeneinander gehende Pferde. Es war ein über-
aus phantastischer Ritt. Unter uns lag das bisher nur
von höchstens vier Europäern betretene Thal des Zab im
tiefsten, unheimlichen Dunkel. Diesseits, rechts von uns,
glänzte die blutrote Lohe der Fackeln von Lizan zu uns
herauf; links, jenseits des Wassers, zeigte ein mattheller
Fleck die Stelle an, wo die Kurden lagerten; über uns
dunkelte die Bergesmasse, auf deren Höhe der Geist hauste,
der selbst mir ein Rätsel war, obgleich er mir erlaubt
hatte, ihn zu ,rekognoszieren'; und was nun uns sechs
selbst betraf, so ritten wir zwischen den gespenstischen Re-
flexen unserer Kienbrände, bestanden aus einem Araber
der Sahara, einem Engländer, einem Kurden, zwei Na-
sarah und einem Deutschen und hatten einen Gefangenen
in der Mitte.

Da bogen wir um eine Felsenkante; das Thal ver-
schwand hinter uns, und vor uns tauchten die weit aus-
einander stehenden Stämme des Hochwaldes auf, auf dessen
weichem Boden wir aufwärts ritten. Das flackernde Licht
der beiden Flammen wanderte von Ast zu Ast, von Zweig
zu Zweig, von Blatt zu Blatt; neben, vor und hinter
uns huschte, schwirrte und flatterte es wie zwischen den
Spalten eines Gespensterromanes; der schlafende Wald
atmete schwer rauschend, und die Huftritte unserer Pferde
in dem tiefen Humusboden klangen wie die fernher tönen-
den Wirbel eines Trommler-Trauermarsches.

"Schauerlich! Yes!" meinte der Engländer halblaut,
indem er sich schüttelte. "Möchte nicht allein da zu dem
Geiste reiten. Well! Ihr wart allein?"

"Nein."

"Nicht? Wer war dabei?"

"Ein Mädchen."

"A maid! Good lack! Jung?"

für zwei nebeneinander gehende Pferde. Es war ein über-
aus phantaſtiſcher Ritt. Unter uns lag das bisher nur
von höchſtens vier Europäern betretene Thal des Zab im
tiefſten, unheimlichen Dunkel. Diesſeits, rechts von uns,
glänzte die blutrote Lohe der Fackeln von Lizan zu uns
herauf; links, jenſeits des Waſſers, zeigte ein mattheller
Fleck die Stelle an, wo die Kurden lagerten; über uns
dunkelte die Bergesmaſſe, auf deren Höhe der Geiſt hauſte,
der ſelbſt mir ein Rätſel war, obgleich er mir erlaubt
hatte, ihn zu ‚rekognoszieren‘; und was nun uns ſechs
ſelbſt betraf, ſo ritten wir zwiſchen den geſpenſtiſchen Re-
flexen unſerer Kienbrände, beſtanden aus einem Araber
der Sahara, einem Engländer, einem Kurden, zwei Na-
ſarah und einem Deutſchen und hatten einen Gefangenen
in der Mitte.

Da bogen wir um eine Felſenkante; das Thal ver-
ſchwand hinter uns, und vor uns tauchten die weit aus-
einander ſtehenden Stämme des Hochwaldes auf, auf deſſen
weichem Boden wir aufwärts ritten. Das flackernde Licht
der beiden Flammen wanderte von Aſt zu Aſt, von Zweig
zu Zweig, von Blatt zu Blatt; neben, vor und hinter
uns huſchte, ſchwirrte und flatterte es wie zwiſchen den
Spalten eines Geſpenſterromanes; der ſchlafende Wald
atmete ſchwer rauſchend, und die Huftritte unſerer Pferde
in dem tiefen Humusboden klangen wie die fernher tönen-
den Wirbel eines Trommler-Trauermarſches.

„Schauerlich! Yes!“ meinte der Engländer halblaut,
indem er ſich ſchüttelte. „Möchte nicht allein da zu dem
Geiſte reiten. Well! Ihr wart allein?“

„Nein.“

„Nicht? Wer war dabei?“

„Ein Mädchen.“

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[611/0625] für zwei nebeneinander gehende Pferde. Es war ein über- aus phantaſtiſcher Ritt. Unter uns lag das bisher nur von höchſtens vier Europäern betretene Thal des Zab im tiefſten, unheimlichen Dunkel. Diesſeits, rechts von uns, glänzte die blutrote Lohe der Fackeln von Lizan zu uns herauf; links, jenſeits des Waſſers, zeigte ein mattheller Fleck die Stelle an, wo die Kurden lagerten; über uns dunkelte die Bergesmaſſe, auf deren Höhe der Geiſt hauſte, der ſelbſt mir ein Rätſel war, obgleich er mir erlaubt hatte, ihn zu ‚rekognoszieren‘; und was nun uns ſechs ſelbſt betraf, ſo ritten wir zwiſchen den geſpenſtiſchen Re- flexen unſerer Kienbrände, beſtanden aus einem Araber der Sahara, einem Engländer, einem Kurden, zwei Na- ſarah und einem Deutſchen und hatten einen Gefangenen in der Mitte. Da bogen wir um eine Felſenkante; das Thal ver- ſchwand hinter uns, und vor uns tauchten die weit aus- einander ſtehenden Stämme des Hochwaldes auf, auf deſſen weichem Boden wir aufwärts ritten. Das flackernde Licht der beiden Flammen wanderte von Aſt zu Aſt, von Zweig zu Zweig, von Blatt zu Blatt; neben, vor und hinter uns huſchte, ſchwirrte und flatterte es wie zwiſchen den Spalten eines Geſpenſterromanes; der ſchlafende Wald atmete ſchwer rauſchend, und die Huftritte unſerer Pferde in dem tiefen Humusboden klangen wie die fernher tönen- den Wirbel eines Trommler-Trauermarſches. „Schauerlich! Yes!“ meinte der Engländer halblaut, indem er ſich ſchüttelte. „Möchte nicht allein da zu dem Geiſte reiten. Well! Ihr wart allein?“ „Nein.“ „Nicht? Wer war dabei?“ „Ein Mädchen.“ „A maid! Good lack! Jung?“

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/625>, abgerufen am 10.05.2024.