fährlich, den Bey mitzunehmen? Wenn er uns entflieht, so sind wir ohne Geisel."
"Er muß uns versprechen, nicht zu entfliehen, und er wird sein Wort halten."
"Ich hole ihn."
Er ging und brachte nach wenigen Augenblicken den Bey mit sich herein.
Als der Herrscher von Gumri mich erblickte, eilte er auf mich zu.
"Du bist wieder da, Herr!" rief er. "Alochhem d'Allah -- Gott sei Dank, der dich mir wiedergegeben hat! Ich habe die Kunde von deinem Verschwinden mit großer Betrübnis vernommen, denn ich wußte, daß meine Hoffnung nur auf dich allein zu setzen sei."
"Auch ich habe an dich mit banger Sorge gedacht, o Bey," antwortete ich ihm. "Ich wußte, daß du wünschest, mich frei zu sehen, und Allah, der immer gütig ist, hat mich aus der Gewalt des Feindes errettet und mich wieder zu dir geführt."
"Wer war der Feind? Dieser hier?"
Er deutete bei diesen Worten auf Nedschir-Bey.
"Ja," antwortete ich ihm.
"Allah verderbe ihn und seine Kinder nebst den Kin- dern seiner Kinder! Bist du nicht der Freund dieser Leute gewesen, so wie du der meinige gewesen bist? Hast du nicht gesprochen und gehandelt, wie es zu ihrem Besten diente? Und dafür hat er dich überfallen und gefangen genommen! Siehst du nun, was du von der Freundschaft eines Nasarah zu erwarten hast?"
"Es giebt überall gute und böse Leute, unter den Muselmännern und unter den Christen, o Bey; darum soll der Freund nicht mit dem Feinde leiden."
"Emir," entgegnete er, "ich liebe dich. Du hattest
fährlich, den Bey mitzunehmen? Wenn er uns entflieht, ſo ſind wir ohne Geiſel.“
„Er muß uns verſprechen, nicht zu entfliehen, und er wird ſein Wort halten.“
„Ich hole ihn.“
Er ging und brachte nach wenigen Augenblicken den Bey mit ſich herein.
Als der Herrſcher von Gumri mich erblickte, eilte er auf mich zu.
„Du biſt wieder da, Herr!“ rief er. „Alochhem d'Allah — Gott ſei Dank, der dich mir wiedergegeben hat! Ich habe die Kunde von deinem Verſchwinden mit großer Betrübnis vernommen, denn ich wußte, daß meine Hoffnung nur auf dich allein zu ſetzen ſei.“
„Auch ich habe an dich mit banger Sorge gedacht, o Bey,“ antwortete ich ihm. „Ich wußte, daß du wünſcheſt, mich frei zu ſehen, und Allah, der immer gütig iſt, hat mich aus der Gewalt des Feindes errettet und mich wieder zu dir geführt.“
„Wer war der Feind? Dieſer hier?“
Er deutete bei dieſen Worten auf Nedſchir-Bey.
„Ja,“ antwortete ich ihm.
„Allah verderbe ihn und ſeine Kinder nebſt den Kin- dern ſeiner Kinder! Biſt du nicht der Freund dieſer Leute geweſen, ſo wie du der meinige geweſen biſt? Haſt du nicht geſprochen und gehandelt, wie es zu ihrem Beſten diente? Und dafür hat er dich überfallen und gefangen genommen! Siehſt du nun, was du von der Freundſchaft eines Naſarah zu erwarten haſt?“
„Es giebt überall gute und böſe Leute, unter den Muſelmännern und unter den Chriſten, o Bey; darum ſoll der Freund nicht mit dem Feinde leiden.“
„Emir,“ entgegnete er, „ich liebe dich. Du hatteſt
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fährlich, den Bey mitzunehmen? Wenn er uns entflieht,
ſo ſind wir ohne Geiſel.“
„Er muß uns verſprechen, nicht zu entfliehen, und
er wird ſein Wort halten.“
„Ich hole ihn.“
Er ging und brachte nach wenigen Augenblicken den
Bey mit ſich herein.
Als der Herrſcher von Gumri mich erblickte, eilte
er auf mich zu.
„Du biſt wieder da, Herr!“ rief er. „Alochhem
d'Allah — Gott ſei Dank, der dich mir wiedergegeben
hat! Ich habe die Kunde von deinem Verſchwinden mit
großer Betrübnis vernommen, denn ich wußte, daß meine
Hoffnung nur auf dich allein zu ſetzen ſei.“
„Auch ich habe an dich mit banger Sorge gedacht,
o Bey,“ antwortete ich ihm. „Ich wußte, daß du
wünſcheſt, mich frei zu ſehen, und Allah, der immer gütig
iſt, hat mich aus der Gewalt des Feindes errettet und
mich wieder zu dir geführt.“
„Wer war der Feind? Dieſer hier?“
Er deutete bei dieſen Worten auf Nedſchir-Bey.
„Ja,“ antwortete ich ihm.
„Allah verderbe ihn und ſeine Kinder nebſt den Kin-
dern ſeiner Kinder! Biſt du nicht der Freund dieſer
Leute geweſen, ſo wie du der meinige geweſen biſt?
Haſt du nicht geſprochen und gehandelt, wie es zu ihrem
Beſten diente? Und dafür hat er dich überfallen und
gefangen genommen! Siehſt du nun, was du von der
Freundſchaft eines Naſarah zu erwarten haſt?“
„Es giebt überall gute und böſe Leute, unter den
Muſelmännern und unter den Chriſten, o Bey; darum
ſoll der Freund nicht mit dem Feinde leiden.“
„Emir,“ entgegnete er, „ich liebe dich. Du hatteſt
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 605. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/619>, abgerufen am 25.11.2024.
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