Dann trat er zu Ingdscha und reichte ihr die Hand:
"Lebe wohl, du schönste unter den Schönen! Wir sehen uns wohl wieder."
Auch der guten ,Petersilie' reichte er die Hand:
"Lebe wohl, auch du, liebliche Mutter der Chaldani! Meine Augenblicke bei dir waren süß, und wenn du dir auch einen Löffel wünschest, so werde ich dir sehr gern einen schnitzen, damit du denken kannst an deinen Freund, der von dir geht. Sallam, du Kluge, du Treue, Sallam!"
Sie verstanden zwar beide nicht, was er sagte, aber sie nahmen seine Worte freundlich auf, und Madana ver- ließ sogar mit ihm die Hütte, um ihn eine Strecke zu begleiten.
Ich blickte durch den Eingang, um an dem Stand der Sterne die Zeit zu bemessen; denn auch die Uhr war mir abgenommen worden. Es mochte vielleicht zehn Uhr sein.
"Es ist zwei Stunden vor Mitternacht. Wann gehen wir?" fragte ich das Mädchen.
"In einer Stunde."
"Meine Zeit ist sehr kostbar. Kann man mit dem Geist der Höhle nicht eher sprechen?"
"Die rechte Zeit ist genau um Mitternacht. Er wird zornig, wenn man eher kommt."
"Bei mir wird er nicht zornig werden."
"Weißt du das gewiß?"
"Ganz gewiß."
"So laß uns gehen, sobald Madana zurückgekehrt ist."
"Haben wir ein Licht?"
Sie zeigte mir schweigend einige kurze Binsenflechten, die mit Hammeltalg getränkt waren. Auch Feuerzeug hatte sie bei sich. Dann fragte sie:
"Herr, ich habe eine Bitte."
"Sprich!"
Dann trat er zu Ingdſcha und reichte ihr die Hand:
„Lebe wohl, du ſchönſte unter den Schönen! Wir ſehen uns wohl wieder.“
Auch der guten ‚Peterſilie‘ reichte er die Hand:
„Lebe wohl, auch du, liebliche Mutter der Chaldani! Meine Augenblicke bei dir waren ſüß, und wenn du dir auch einen Löffel wünſcheſt, ſo werde ich dir ſehr gern einen ſchnitzen, damit du denken kannſt an deinen Freund, der von dir geht. Sallam, du Kluge, du Treue, Sallam!“
Sie verſtanden zwar beide nicht, was er ſagte, aber ſie nahmen ſeine Worte freundlich auf, und Madana ver- ließ ſogar mit ihm die Hütte, um ihn eine Strecke zu begleiten.
Ich blickte durch den Eingang, um an dem Stand der Sterne die Zeit zu bemeſſen; denn auch die Uhr war mir abgenommen worden. Es mochte vielleicht zehn Uhr ſein.
„Es iſt zwei Stunden vor Mitternacht. Wann gehen wir?“ fragte ich das Mädchen.
„In einer Stunde.“
„Meine Zeit iſt ſehr koſtbar. Kann man mit dem Geiſt der Höhle nicht eher ſprechen?“
„Die rechte Zeit iſt genau um Mitternacht. Er wird zornig, wenn man eher kommt.“
„Bei mir wird er nicht zornig werden.“
„Weißt du das gewiß?“
„Ganz gewiß.“
„So laß uns gehen, ſobald Madana zurückgekehrt iſt.“
„Haben wir ein Licht?“
Sie zeigte mir ſchweigend einige kurze Binſenflechten, die mit Hammeltalg getränkt waren. Auch Feuerzeug hatte ſie bei ſich. Dann fragte ſie:
„Herr, ich habe eine Bitte.“
„Sprich!“
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[589/0603]
Dann trat er zu Ingdſcha und reichte ihr die Hand:
„Lebe wohl, du ſchönſte unter den Schönen! Wir
ſehen uns wohl wieder.“
Auch der guten ‚Peterſilie‘ reichte er die Hand:
„Lebe wohl, auch du, liebliche Mutter der Chaldani!
Meine Augenblicke bei dir waren ſüß, und wenn du dir
auch einen Löffel wünſcheſt, ſo werde ich dir ſehr gern
einen ſchnitzen, damit du denken kannſt an deinen Freund,
der von dir geht. Sallam, du Kluge, du Treue, Sallam!“
Sie verſtanden zwar beide nicht, was er ſagte, aber
ſie nahmen ſeine Worte freundlich auf, und Madana ver-
ließ ſogar mit ihm die Hütte, um ihn eine Strecke zu
begleiten.
Ich blickte durch den Eingang, um an dem Stand
der Sterne die Zeit zu bemeſſen; denn auch die Uhr war
mir abgenommen worden. Es mochte vielleicht zehn Uhr ſein.
„Es iſt zwei Stunden vor Mitternacht. Wann gehen
wir?“ fragte ich das Mädchen.
„In einer Stunde.“
„Meine Zeit iſt ſehr koſtbar. Kann man mit dem
Geiſt der Höhle nicht eher ſprechen?“
„Die rechte Zeit iſt genau um Mitternacht. Er wird
zornig, wenn man eher kommt.“
„Bei mir wird er nicht zornig werden.“
„Weißt du das gewiß?“
„Ganz gewiß.“
„So laß uns gehen, ſobald Madana zurückgekehrt iſt.“
„Haben wir ein Licht?“
Sie zeigte mir ſchweigend einige kurze Binſenflechten,
die mit Hammeltalg getränkt waren. Auch Feuerzeug
hatte ſie bei ſich. Dann fragte ſie:
„Herr, ich habe eine Bitte.“
„Sprich!“
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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/603>, abgerufen am 25.11.2024.
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