Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

Bild:
<< vorherige Seite

"Nein. Er wird jetzt nach Lizan zurückkehren, um
meine Gefährten zu beruhigen."

"Das mag er thun, denn ihnen droht Gefahr."

"Welche?" fragte ich anscheinend ruhig.

"Es waren vorhin zwei Männer hier. Der eine ritt
zu dir, und der andere blieb im Dorfe zurück. Mit die-
sem habe ich gesprochen. Er sollte niemand etwas sagen,
aber er hat mir doch genug verraten, was ich dir erzählen
muß. Du glaubst, daß der Streit bis morgen mittag
ruhen soll?"

"Ich hoffe es."

"Es giebt viele Leute, die dies nicht wünschen, und
diese Männer haben sich meinen Vater zum Anführer
gewählt. Er hat Eilboten nach Murghi, Minijanisch und
Aschitha, auch das Thal abwärts bis nach Biridschai und
Ghissa gesandt, um alle waffenfähigen Männer herbeizu-
rufen. Sie werden sich noch während der Nacht ver-
sammeln und dann am Morgen über die Berwari her-
fallen."

"Welche Unvorsichtigkeit! Dein Vater wird das ganze
Thal unglücklich machen!"

"Glaubst du, daß die Berwari uns überlegen sind?"

"An Kriegstüchtigkeit, ja, wenn auch heute noch nicht
an Zahl. Aber wenn einmal der Kampf entbrannt ist,
so wird er an allen Orten auflodern, und dann sind die
Kurden euch hundertfach überlegen; denn die Chaldani
sind von den Stämmen der Kurden auf allen Seiten ein-
geschlossen."

"O Gott, wenn du recht hättest!"

"Ich habe recht, das darfst du mir glauben! Wenn
es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu stande
zu bringen, so brechen noch viel schlimmere Zeiten über
euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-

„Nein. Er wird jetzt nach Lizan zurückkehren, um
meine Gefährten zu beruhigen.“

„Das mag er thun, denn ihnen droht Gefahr.“

„Welche?“ fragte ich anſcheinend ruhig.

„Es waren vorhin zwei Männer hier. Der eine ritt
zu dir, und der andere blieb im Dorfe zurück. Mit die-
ſem habe ich geſprochen. Er ſollte niemand etwas ſagen,
aber er hat mir doch genug verraten, was ich dir erzählen
muß. Du glaubſt, daß der Streit bis morgen mittag
ruhen ſoll?“

„Ich hoffe es.“

„Es giebt viele Leute, die dies nicht wünſchen, und
dieſe Männer haben ſich meinen Vater zum Anführer
gewählt. Er hat Eilboten nach Murghi, Minijaniſch und
Aſchitha, auch das Thal abwärts bis nach Biridſchai und
Ghiſſa geſandt, um alle waffenfähigen Männer herbeizu-
rufen. Sie werden ſich noch während der Nacht ver-
ſammeln und dann am Morgen über die Berwari her-
fallen.“

„Welche Unvorſichtigkeit! Dein Vater wird das ganze
Thal unglücklich machen!“

„Glaubſt du, daß die Berwari uns überlegen ſind?“

„An Kriegstüchtigkeit, ja, wenn auch heute noch nicht
an Zahl. Aber wenn einmal der Kampf entbrannt iſt,
ſo wird er an allen Orten auflodern, und dann ſind die
Kurden euch hundertfach überlegen; denn die Chaldani
ſind von den Stämmen der Kurden auf allen Seiten ein-
geſchloſſen.“

„O Gott, wenn du recht hätteſt!“

„Ich habe recht, das darfſt du mir glauben! Wenn
es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu ſtande
zu bringen, ſo brechen noch viel ſchlimmere Zeiten über
euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0600" n="586"/>
        <p>&#x201E;Nein. Er wird jetzt nach Lizan zurückkehren, um<lb/>
meine Gefährten zu beruhigen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das mag er thun, denn ihnen droht Gefahr.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welche?&#x201C; fragte ich an&#x017F;cheinend ruhig.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es waren vorhin zwei Männer hier. Der eine ritt<lb/>
zu dir, und der andere blieb im Dorfe zurück. Mit die-<lb/>
&#x017F;em habe ich ge&#x017F;prochen. Er &#x017F;ollte niemand etwas &#x017F;agen,<lb/>
aber er hat mir doch genug verraten, was ich dir erzählen<lb/>
muß. Du glaub&#x017F;t, daß der Streit bis morgen mittag<lb/>
ruhen &#x017F;oll?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich hoffe es.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es giebt viele Leute, die dies nicht wün&#x017F;chen, und<lb/>
die&#x017F;e Männer haben &#x017F;ich meinen Vater zum Anführer<lb/>
gewählt. Er hat Eilboten nach Murghi, Minijani&#x017F;ch und<lb/>
A&#x017F;chitha, auch das Thal abwärts bis nach Birid&#x017F;chai und<lb/>
Ghi&#x017F;&#x017F;a ge&#x017F;andt, um alle waffenfähigen Männer herbeizu-<lb/>
rufen. Sie werden &#x017F;ich noch während der Nacht ver-<lb/>
&#x017F;ammeln und dann am Morgen über die Berwari her-<lb/>
fallen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Welche Unvor&#x017F;ichtigkeit! Dein Vater wird das ganze<lb/>
Thal unglücklich machen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Glaub&#x017F;t du, daß die Berwari uns überlegen &#x017F;ind?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;An Kriegstüchtigkeit, ja, wenn auch heute noch nicht<lb/>
an Zahl. Aber wenn einmal der Kampf entbrannt i&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o wird er an allen Orten auflodern, und dann &#x017F;ind die<lb/>
Kurden euch hundertfach überlegen; denn die Chaldani<lb/>
&#x017F;ind von den Stämmen der Kurden auf allen Seiten ein-<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;O Gott, wenn du recht hätte&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe recht, das darf&#x017F;t du mir glauben! Wenn<lb/>
es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu &#x017F;tande<lb/>
zu bringen, &#x017F;o brechen noch viel &#x017F;chlimmere Zeiten über<lb/>
euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[586/0600] „Nein. Er wird jetzt nach Lizan zurückkehren, um meine Gefährten zu beruhigen.“ „Das mag er thun, denn ihnen droht Gefahr.“ „Welche?“ fragte ich anſcheinend ruhig. „Es waren vorhin zwei Männer hier. Der eine ritt zu dir, und der andere blieb im Dorfe zurück. Mit die- ſem habe ich geſprochen. Er ſollte niemand etwas ſagen, aber er hat mir doch genug verraten, was ich dir erzählen muß. Du glaubſt, daß der Streit bis morgen mittag ruhen ſoll?“ „Ich hoffe es.“ „Es giebt viele Leute, die dies nicht wünſchen, und dieſe Männer haben ſich meinen Vater zum Anführer gewählt. Er hat Eilboten nach Murghi, Minijaniſch und Aſchitha, auch das Thal abwärts bis nach Biridſchai und Ghiſſa geſandt, um alle waffenfähigen Männer herbeizu- rufen. Sie werden ſich noch während der Nacht ver- ſammeln und dann am Morgen über die Berwari her- fallen.“ „Welche Unvorſichtigkeit! Dein Vater wird das ganze Thal unglücklich machen!“ „Glaubſt du, daß die Berwari uns überlegen ſind?“ „An Kriegstüchtigkeit, ja, wenn auch heute noch nicht an Zahl. Aber wenn einmal der Kampf entbrannt iſt, ſo wird er an allen Orten auflodern, und dann ſind die Kurden euch hundertfach überlegen; denn die Chaldani ſind von den Stämmen der Kurden auf allen Seiten ein- geſchloſſen.“ „O Gott, wenn du recht hätteſt!“ „Ich habe recht, das darfſt du mir glauben! Wenn es heut und morgen nicht gelingt, einen Frieden zu ſtande zu bringen, ſo brechen noch viel ſchlimmere Zeiten über euch herein, als zur Zeit von Beder-Khan und Nur-Ullah-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/600
Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 586. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/600>, abgerufen am 12.05.2024.